„Ob Afghanistan, Irak, Libyen oder Syrien: Der Westen hat in fremde Kriege und schwelende Konflikte eingegriffen und jeweils versucht, einem Gewinner nach eigenem Gusto an die Macht zu verhelfen. Der Vorwand war stets derselbe: Die jeweiligen Herrscher, die Taliban, Saddam, Gaddafi oder Assad, seien von dämonischer Bosheit, irre, fanatisch, gefährlich und genössen so gut wie keine Unterstützung unter der eigenen Bevölkerung.“ Die Folge dieser Interventionen seien überall Staatszerfall, Bürgerkrieg und – in diesem Kontext – der Aufstieg terroristischer Kräfte von nie da gewesener Reichweite, Durchschlagskraft, Gefährlichkeit gewesen. Das schreibt der einflussreiche deutsche Nahostexperte Michael Lüders in seiner vielgelesenen Schrift „Wer den Wind sät“ (2016 17.Auflage!). Der Text will eine grundsätzliche Kritik an der Politik der maßgeblichen westlichen Mächte – allen voran der USA – im Nahen und Mittleren Osten vortragen. Hier einige Fragen und Zweifel.

Was bitte war falsch an der gewaltsamen Entfernung Gaddafis von Macht? Regelmäßig verweist man in diesem Zusammenhang auf das Machtvakuum in Libyen nach Gaddafi, auf den anhaltenden Krieg radikaler Milizen ohne Sinn für nationale Verantwortung, auf die Verwandlung von schwarzafrikanischen Söldnern des Gaddafi-Regimes in marodierende Terrorformationen etwa in Mali und Nigeria. Regelmäßig unterschlägt man in diesem Zusammenhang, dass der Westen Libyen nach der Ausschaltung des Despoten im Stich gelassen hat. Hätte eine ernsthafte Kritik nicht hier anzusetzen, statt beim Regimewechsel? Die Sorge um die Zivilbevölkerung von Bengasi 2011 war echt und dringlich.

Wenn heute ein britischer Ausschuss die Sorge für unbegründet, hochgespielt oder hysterisch erklärt und behauptet, es habe keinen definitiven Beweis für die unmittelbare tödliche Bedrohung der Stadt gegeben, so fragt man sich, ob man in solchen Situationen auf definitive Beweise warten kann. Die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft vor dem Massenmord in Srebrenica war unbedingt zu vermeiden. Was sich dieser Sorte von westlicher Selbstkritik vollends verstellt, ist die Einsicht in die Kontinuität zwischen Regime und Staatszerfall – zwischen dem Clansystem Gaddafis und dem Fehlen von staatlichen Institutionen, an die das neue Libyen anknüpfen könnte.

Und wo hätte sich in Syrien nach 2011 wieder der alte hegemoniale Machtanspruch der USA manifestiert? In der Bombardierung des IS etwa? Die Regierung Obama und der gesamte Westen haben dem Krieg Assads gegen das eigene Land im Gegenteil jahrelang zugeschaut –hilflos oder zynisch. Es war dieses Nichthandeln der Weltmacht, das der russischen Möchtegernweltmacht das nötige Vakuum für ihre militärische Intervention in Syrien geboten hat. Hier kippt eine Imperialismuskritik à la Lüders ins Absurde. Es rächt sich, wenn man die syrischen Stimmen ausblendet. Wenn der westliche Kritiker des Westens monologisiert – als stehe er mutterseelenallein auf der weiten Flur der politischen Analyse. Was dabei herauskommt, ist ein nur scheinbar gnadenloses, in Wahrheit wohlfeiles Schuldeingeständnis, das sich glatt dem Mainstream westlicher Syrienpolitik einfügt.

Der Verfasser lebt und arbeitet als Historiker in Konstanz