Wenn sich die Windbranche Baden-Württembergs Ende Mai zum alljährlichen Stelldichein – dem Windbranchentag – in Stuttgart trifft, wird die Stimmung wohl noch gedrückter sein als sonst. Seit 2017 stecken die Windmüller im Südwesten in der Krise. Um die vom Land selbstgesetzten Energie- und Klimaziele zu erreichen, gehen viel zu wenige Anlagen ans Netz.

Droht ein dauerhafter Stillstand beim Anlagenneubau?

Jetzt deutet sich ein weiterer empfindlicher Rückschlag für die Branche an. Im schlimmsten Fall sei mit einem "weitgehenden Stillstand bei der Neugenehmigung von Windrädern in Baden-Württemberg" zu rechnen, heißt es vom Bundesverband Windenergie (BWE) in Stuttgart. Die Verunsicherung in der Branche sei gerade enorm. Geht den Windmüllern in Baden-Württemberg also die Puste aus?

Große Verunsicherung in der Branche

Grund für die Alarmstimmung ist ein Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom Februar diesen Jahres. Eine Naturschutzorganisation hatte gegen den Bau zweier großer Windparks in der Nähe von Donaueschingen, unweit der Schweizer Grenze, geklagt. Die Richter gaben dem Kläger Recht. Für Wirbel weit jenseits des Südschwarzwaldes sorgt jetzt allerdings die Begründung der Richter: Diese stellten fest, dass die Genehmigungspraxis von Windanlagen in Baden-Württemberg grundsätzlich gegen Bundesrecht verstößt – zumindest sofern die Anlagen im Wald errichtet werden, was bei fast der Hälfte der Projekte der Fall ist.

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"Die Befürchtung ist, dass selbst die wenigen, im Genehmigungsverfahren befindlichen, Windkraftprojekte in Baden-Württemberg stecken bleiben", sagt Sandra Majer, Leiterin der Landesgeschäftsstelle des BWE in Stuttgart. Branchenweit herrsche Rätselraten, wie Windparks im Südesten künftig überhaupt genehmigt werden sollen, wenn Landesrecht und Bundesrecht sich widersprächen.

Ausschreibungsverfahren für Windparks hindert Neubau massiv

Tatsächlich verschlechtern sich die Rahmenbedingungen für den Bau von Windanlagen in Süddeutschland seit Jahren. Insbesondere Naturschutzbelange verzögern die Projekte oder würgen sie gleich ganz ab. Wo Rotmilan oder Bechsteinfledermaus am Himmel ihre Kreise ziehen, müssen Windkraftplaner oft die Waffen strecken. Dazu kommen Torismusverantwortliche oder Bürgerinitiativen die aus verschiedensten Gründen an nahezu allen Standorten gegen die Projekte mobil machen.

Ein massives Problem stellt aber auch eine Umstellung in der staatlichen Förderung dar. Seit 2017 erhalten Windradbetreiber keine feste Einspeisevergütung für ihren Windstrom mehr. Stattdessen müssen sie sich in einer Auktion mit ihren Projekten bei der Bundesnetzagentur durchsetzen. Der günstigste Anbieter erhält den Zuschlag zum Bau des Projekts und profitiert von öffentlichen Subventionen. Der Knackpunkt: Da in Süddeutschland generell weniger Wind weht als im Norden und die Standorte aufgrund der Topografie schwerer zu erschließen sind, kommen Anbieter südlich der Main-Linie fast nie zum Zug. Sie sind preislich nicht mit Starkwindstandorten im Norden wettbewerbsfähig.

Erneuerbarer-Energien-Pionier und Chef der Singener Firma Solarcomplex: Bene Müller. Solarcomplex baut den Windpark.
Erneuerbarer-Energien-Pionier und Chef der Singener Firma Solarcomplex: Bene Müller. Solarcomplex baut den Windpark. | Bild: Solarcomplex

"Deprimierend niedrig", nennt Bene Müller, Chef des Singener Wind- und Solarkraft-Projektierers Solarcomplex den Anlagenneubau in Baden-Württemberg. Ganze 35 Windräder sind im vergangenen Jahr nach Daten des Stuttgarter Umweltministeriums im Flächenland Baden-Württemberg ans Netz gegangen. Im ersten Quartal 2019 war es noch keine einzige. Und auch ob zu den seit Januar genehmigten sechs Windrädern noch neue hinzukommen ist fraglich. Die Lage für Investoren sei in Baden-Württemberg sowieso schon von Rechtsunsicherheit gekennzeichnet, sagt Solarcomplex-Chef Müller. Durch den Freiburger Richterspruch verschärfe sich die Situation erheblich.

Paradox: Eine zentrale Verwaltungsvorschrift der grünen Landesregierung blockiert die Projekte

Das Paradoxe dabei: Den rechtlichen Blindflug, in dem sich die Windbranche derzeit befindet, lasten Experten der jetzigen grünen Landesregierung an, die sich eigentlich den Ausbau der Ökoenergie auf die Fahnen geschrieben hat. Um die Windkraft zu fördern und Investoren Planungssicherheit zu bieten, schrieb das Land im Jahr 2012 im sogenannten Windenergieerlass fest, wie die Genehmigung von Anlagen möglichst reibungslos von Statten gehen solle. Das Problem: Just jene zentrale Verwaltungsvorschrift haben die Freiburger Richter nun kassiert, weil sie gegen Bundesrecht verstößt.

Es drohen monatelange Verzögerungen

Vom Stuttgarter Umweltministerium heißt es, man halte an seiner bisherigen Rechtsauffassung fest, dass die bisher übliche Genehmigungspraxis rechtskonform sei. Dafür will man auch juristisch kämpfen. Sowohl des Regierungspräsidium Freiburg als auch das Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis fechten das Freiburger Richter-Votum an. Auch der Windradplaner Solarkomplex sowie ein weiterer Investor haben Beschwerde gegen den Beschluss vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim eingelegt.

Bis die Mannheimer Richter über den für Baden-Württemberg richtungsweisenden Fall entschieden haben, kann es aber Monate dauern. Und jede Woche Verzögerung wirft das Land in seinen ambitionierten Plänen beim Windkraftausbau und Klimaschutz weiter zurück. Beim Windenergieverband BWE richtet man sich auf "Monate, wenn nicht Jahre Rechtsunsicherheit ein". In der Branche heißt es: "Das alles ist schlicht eine Katastrophe."

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