Für die meisten beginnt es mit einem Brief. Post von Volkswagen. Im Namen des Konzerns fordert das Kraftfahrtbundesamt (KBA) die Fahrzeughalter der 2,6 Millionen in Deutschland vom Dieselskandal betroffenen Autos auf, am Rückruf teilzunehmen. Das KBA hatte den Rückruf gefordert, nachdem Volkswagen 2015 eingeräumt hatte, die Abgaswerte bei Umwelttests von Dieselfahrzeugen manipuliert zu haben. Die dafür genutzte Software wurde weltweit in 11 Millionen Fahrzeuge eingebaut.

Für viele Autofahrer bleiben durch die bloße Aufforderung zur Teilnahme am Rückruf allerdings viele Fragen offen. Was wird dabei mit meinem Auto genau gemacht? Verbraucht das Auto danach mehr Sprit? Verfallen durch die Teilnahme meine Rechte auf Schadenersatz? Mit diesen Fragen von Kunden ist Joachim Hafner, Niederlassungsleiter der VW-Vertragswerkstatt in Singen, regelmäßig konfrontiert. "Viele Kunden rufen vorher an und wollen wissen, welche Nachteile durch das Update entstehen würden. Natürlich können wir die Sorgen in allen Fällen auflösen."

Von den rund 3000 VW-Fahrzeugen im Einzugsgebiet des Autohauses in Singen seien bereits 1000 zum Rückruf in die Werkstatt gekommen, sagt Serviceleiter Sven Schreijäck. Eine, die ebenfalls am Rückruf teilnimmt, ist VW-Kundin Anita Martin aus Radolfzell. Den ersten Brief von Volkswagen hat sie bereits im Frühjahr 2016 bekommen. Diesen ignorierte sie. Es folgten mehrere Erinnerungsschreiben, das letzte im Dezember 2016. Nun ist sie an einem Mittwochvormittag mit ihrem Passat zur Vertragswerkstatt nach Singen gekommen. „Ich hatte keine andere Wahl, es ist ja vorgeschrieben“, sagt Martin.

Letztlich sei es ihr auch wichtig, dass ihr Auto nicht mehr Schadstoffe ausstoße als nötig. Laut Schreijäck ist Anita Martin momentan eine von zehn Kunden am Tag, die für den Rückruf nach Singen in die Werkstatt kommen. Insgesamt haben laut Konzern-Sprecher Nicolai Laude bereits 60 Prozent der 2,6 Millionen betroffenen Autos am Rückruf teilgenommen.

Inzwischen hat ein Mitarbeiter den Wagen von Kundin Anita Martin in die Werkstatt gefahren und für die Umrüstung vorbereitet. Kfz-Mechatroniker Cliff Wernick beginnt damit, den Laptop mit der Software über die Wartungsschnittstelle mit dem Wagen zu verbinden. Zudem schaltet er die Warnblinkanlage an und schließt die Autobatterie an ein Ladegerät. Das verhindere Spannungsschwankungen und sorge zudem dafür, dass sich die Batterie während des Updates nicht entleert.

Die Wartungssoftware erkennt sofort, um welches Fahrzeug es sich handelt und empfiehlt das passende Update der Motorsteuerung. Wernick bestätigt und startet die Maßnahmen mit der Kennnummer 23R7 – der internen Abkürzung für den Rückruf des Volkswagen-Konzerns. Während der Fortschrittbalken auf dem Bildschirm des Laptops langsam länger wird, geht Wernick zur Front des Passat. Hier bringt der Kfz-Mechatroniker eine Art Schutzweste fürs Auto an, da er nun im Motorraum arbeiten muss. An die Einspritzleitungen des Motors heftet er kleine Gewichte. Sie dienen als Schwingungstilger und sind nötig, da durch das Update der Motorsteuerung der Einspritzdruck erhöht wird. Ohne die zusätzlichen Gewichte könnte es künftig zu Schwingungen kommen, die winzige Haarrisse entstehen lassen könnten.
 

Nach dem Abschluss des Updates bringt Kfz-Mechatroniker Cliff Wernick einen Aufkleber auf der Unterseite des Kofferraumbodens an.
Nach dem Abschluss des Updates bringt Kfz-Mechatroniker Cliff Wernick einen Aufkleber auf der Unterseite des Kofferraumbodens an. | Bild: Sebastian Schlenker

Für den Wagen von Anita Martin ist der Umbau an dieser Stelle bereits abgeschlossen. „Bei anderen Modellen ist noch der Einbau eines veränderten Luftfilters nötig“, sagt Wernick. Welche Maßnahmen bei welchem Automodell genau notwendig sind, hängt laut Serviceleiter Schreijäck von vielen verschiedenen Faktoren ab. Mehr als diese drei möglichen seien es aber nicht. Nach dem Ende des Updates schickt Wernick die Angaben zum Fahrzeugtyp und den durchgeführten Maßnahmen an Volkswagen.

Über den VW-Konzern landen die Daten dann beim Kraftfahrtbundesamt. Als letzten Schritt bekommt jeder Wagen noch einen Aufkleber auf die Unterseite des Kofferraumbodens. „Das ist Vorgabe von Volkswagen und bestätigt die Teilnahme am Rückruf“, sagt Wernick. Insgesamt haben die Umbaumaßnahmen am Wagen von Anita Martin etwa 20 Minuten gedauert. Im Anschluss bekommt der Wagen noch eine Wäsche und wird ausgesaugt. Alles auf Kosten von VW.

Der Aufkleber bestätigt die Teilnahme am VW-Rückruf mit der internen Kennung 23R7.
Der Aufkleber bestätigt die Teilnahme am VW-Rückruf mit der internen Kennung 23R7. | Bild: Sebastian Schlenker

„Uns wäre es natürlich lieber, wenn die Kunden aus einem erfreulicheren Grund zu uns kommen würden“, sagt Niederlassungsleiter Hafner. „Doch letztlich sind das alles Leistungen, die wir VW in Rechnung stellen können.“ Wie viel der Rückruf den Autobauer insgesamt kostet, könne er nicht sagen, teilt Konzern-Sprecher Nicolai Laude mit. Diese Summe sei in die Rückstellungen von aktuell 18,2 Milliarden Euro einkalkuliert.

Der Großteil davon ist aber für Vergleichszahlungen in Prozessen in den USA vorgesehen. Die Summe der Vergleichszahlungen in den USA belief sich im Januar auf eine Höhe von umgerechnet rund 22 Milliarden Euro. Angesichts dieser Zahlen hat der Konzern bereits eingeräumt, dass das Geld nicht ausreichen wird. Darauf, dass auch sie Geld von Volkswagen erhalten wird, macht sich Kundin Anita Martin dabei wenig Hoffnung. „Ich kann als Einzelner ja nichts erreichen“, sagt sie. Wichtiger sei ihr, dass das Auto gut funktioniere. „Es heißt, das Auto würde nach dem Update nicht mehr Sprit verbrauchen als vorher. Das werde ich natürlich kontrollieren.“

Laut ADAC gibt es allerdings keinen Grund für Zweifel. Bei Abgas- und Verbrauchstests seien "keine nennenswerten Nachteile festgestellt" worden. Wenn für Volkswagen alles nach Plan läuft, soll der Rückruf im Herbst abgeschlossen sein. Bis dahin haben die Mitarbeiter in den Vertragswerkstätten noch viel zu tun.

 

Ablauf des Rückrufs und Schadenersatz

 
  1. Können bereits alle betroffenen Fahrzeuge am Rückruf teilnehmen? Nein, für Fahrzeuge mit der Umweltnorm Euro 6 gibt es bislang keine vom Kraftfahrtbundesamt freigegebenen Umrüstungsmaßnahmen. Laut Volkswagen betrifft dies weltweit rund 14 000 Fahrzeuge, in Deutschland seien es mehrere hundert.
  2. Bis wann soll der Rückruf in Deutschland abgeschlossen sein? Der Zeitplan von VW sieht vor, dass bis Herbst 2017 alle 2,6 Millionen betroffenen Fahrzeuge am Rückruf teilgenommen haben.
    Reinhard Kolke, Leiter Test und Technik beim ADAC, hält dies für realistisch. Allein in den vergangenen vier Wochen hätte rund eine Million Fahrzeuge am Rückruf teilgenommen. Es sei normal, dass sich das Tempo eines Rückrufs gegen Ende verlangsame, sagt VW-Sprecher Nicolai Laude. „Es könnte sein, dass eine kleine Anzahl von Fahrzeugen unser Ziel hinauszögern wird.“
  3. Gibt es Nachteile durch die Teilnahme am Rückruf? Bei den ersten Fahrzeugen, die am Rückruf teilgenommen haben, habe es noch kleinere Probleme gegeben, sagt Laude. Von diesen hätten nachfolgende Kunden bereits profitiert. Nachteile, wie höherer Spritverbrauch oder schlechtere Motorleistung, gebe es durch das Update der Motorsteuerung nachweislich keine. Tests des ADAC bestätigen dies. Der bayerische Innenminister hat inzwischen entschieden, die Dieselautos der bayerischen Polizei nicht am Rückruf teilnehmen zu lassen. Er befürchtet den Verlust von Schadenersatzansprüchen. Eine Garantie, dass durch das Update der Motorsteuerung keine Folgeschäden entstehen, gebe es von VW schließlich nicht.
  4. Wie sind die Chancen deutscher Kunden auf Schadenersatz? Bislang gab es rund 120 Entscheidungen vor Gericht. Die Urteile fielen dabei unterschiedlich aus. Die meisten Klagen wurden aber abgewiesen. „Eine eindeutige Empfehlung kann man den Verbrauchern nicht geben“, sagt Otmar Lell vom Verbraucherzentrale Bundesverband.
    Jura-Professor Florian Bien von der Universität Würzburg erklärt dazu: „Solange das nicht höchstrichterlich, am besten vom Bundesgerichtshof geklärt ist, ist jeder Richter frei, über den Rücktritt vom Kauf zu urteilen.“ Urteile zugunsten von Kunden seien deshalb mit Vorbehalt zu sehen.
  5. Wie lange haben Kunden Zeit, Ansprüche geltend zu machen? Grundsätzlich gilt die Gewährleistung in Deutschland zwei Jahre nach Übergabe des gekauften Autos. Bei Gebrauchtwagen wird die Frist oft auf ein Jahr verkürzt. „Eine Möglichkeit, diese zu umgehen, ist die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung“, sagt Jura-Professor Bien. Sie ist bis zu ein Jahr nach Entdeckung der Täuschung möglich. „Wird eine Schadensersatzhaftung der VW AG bejaht, dann endet die Verjährungsfrist erst Ende 2018.“ (ses/dpa)