Sandra Markert

Weide oder Stall? Weide! Frisches Gras oder Silage? Frischgras! Eine faire Vergütung für den Landwirt, damit er auch in seinen Betrieb investieren kann? Klingt gut. Eine nachhaltig produzierte Verpackung für die Milch ebenfalls. Klick für Klick kann man bei der Verbraucherinitiative „Du bist hier der Chef“ bestimmen, welche Kriterien die Milch erfüllen soll, die man gern kaufen würde. Und man sieht sofort, dass solche Wünsche ihren Preis haben. Denn jeder Klick für eine bessere Haltung, für faire Löhne oder für mehr Umweltschutz macht die Wunschmilch ein paar Cent teurer. Als der Fragebogen ausgefüllt ist, kostet das gewählte Produkt 1,43 Euro – statt der 73 Cent, für die Milch sonst durchschnittlich im Regal steht.

Vom Erfolg überzeugt

Wenn bei Nicolas Barthelmé, Gründer der Verbraucherinitiative, mehr als 5000 solcher Fragebögen eingegangen sind, will er die Milch produzieren lassen –und zwar genau so, wie die Verbraucher es in ihrer Abstimmung entschieden haben. „Wir geben den Leuten die Macht über die Herstellung ihrer Lebensmittel zurück“, sagt Barthlemé. Und er ist überzeugt davon, dass das klappen wird. Immerhin hat die Initiative in seinem Heimatland Frankreich in den vergangenen Jahren mehr als 35 Produkte in die Supermärkte gebracht. Von Milch über Salat bis hin zu Pizza werden die Lebensmittel von den Kunden stark nachgefragt – weil sie ihren Wünschen entsprechen.

Das Design der Verpackung für die Wunschmilch sieht bewusst so schlicht aus, weil keinerlei Geld in Marketing und Werbung gesteckt wird.
Das Design der Verpackung für die Wunschmilch sieht bewusst so schlicht aus, weil keinerlei Geld in Marketing und Werbung gesteckt wird. | Bild: Initiative "Du bis hier der Chef"

Nun ist Frankreich aber nicht Deutschland. Die Franzosen geben traditionell bis zu einem Drittel mehr Geld für Lebensmittel aus als die Deutschen. Und sie solidarisieren sich stark mit den Problemen, mit denen ihre Landwirte zu kämpfen haben. Das alles sei in Deutschland sehr viel schwieriger, gibt der gelernte Betriebswirt Nicolas Barthlemé zu. „Die Preisorientierung ist sehr stark und die Distanz zwischen Bauern und Kunden groß.“ Trotzdem ist er überzeugt davon, dass auch den Deutschen ein weiteres Höfesterben nicht egal sein wird. Und dass sie ihre Kartoffeln lieber aus der Region beziehen wollen statt aus China. „Es wird vielleicht etwas länger dauern als in Frankreich, bis die Verbraucher sehen, dass auch sie diese Entwicklungen mit beeinflussen können. Aber es wird klappen.“

„Frustgrenze erreicht“

Tatsächlich mehren sich auch in Deutschland die Ansätze für eine Agrarwende von unten durch die Verbraucher. „Wir beobachten seit einiger Zeit, dass bei den Leuten eine Frustgrenze erreicht ist. Sie wollen nicht länger abwarten, bis die Politik etwas ändert, sie wollen sich selbst einbringen“, sagt Beatrice Walthall, die am Leibniz-Zentrum für Agrarlandforschung im Bereich alternative Ernährungsnetzwerke forscht.

Mehr als 400 Labels

Diesen Verbrauchern reichen die klassischen Label beim Einkaufen wie das Biosiegel oder das Regionalfenster nicht mehr. „Denn dabei können sie sich nur indirekt über die Nachfrage in die Art und Weise einbringen, wie ihr Essen produziert werden soll“, sagt Walthall. Hinzu kommt, dass es allein im Bereich Essen und Trinken heute mehr als 400 verschiedene Labels gibt – und viele Kunden hier längst den Überblick verloren haben. Zudem fehle oft die Transparenz, wohin etwa mehr bezahltes Geld fließe.

Er zeigt sich überzeugt davon, dass die von ihm gegründete Verbraucherinitiative „Du bist hier der Chef“ ein Erfolg wird: ...
Er zeigt sich überzeugt davon, dass die von ihm gegründete Verbraucherinitiative „Du bist hier der Chef“ ein Erfolg wird: Nicolas Barhelmé. | Bild: Initiative "Du bist hier der Chef"

Also suchen die Verbraucher nach anderen Wegen, die Landwirtschaft nach ihren Vorstellungen direkt mitzugestalten. Statt sich über die Biozwiebeln aus Ägypten beim Discounter aufzuregen, bilden sie Ernährungsräte und überlegen dort gemeinsam mit Erzeugern, wie und wo regional mehr Zwiebeln angebaut werden könnten. Erzeugergemeinschaften oder solidarische Formen der Landwirtschaft werden gegründet, damit die Bauern ein vernünftiges Einkommen haben und nicht ein Großteil des Gewinns im Handel hängen bleibt. Andere Verbraucher schließen sich in landwirtschaftlichen Investitionsgenossenschaften zusammen und kaufen lokal Land auf, welches dann an Junglandwirte verpachtet wird.

Mehr Mitbestimmung

Die Initiative „Du bist hier der Chef“ greift das Kunden-Bedürfnis nach mehr Mitbestimmung auf. Gleichzeitig erfordert sie – abgesehen vom Ausfüllen des Fragebogens – vergleichsweise wenig Engagement. Und sie erreicht über die Supermärkte einen großen potenziellen Kundenkreis. „Das ist auch für den Einzelhandel eine spannende Möglichkeit, die Beziehung zu den Kunden und deren Zufriedenheit zu beeinflussen“, sagt Alena Bermes, Marketingexpertin von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Skepsis bleibt

Bermes bleibt allerdings skeptisch, ob der Kunde seine Wunschmilch im Supermarkt dann am Ende auch wirklich kauft. „Wenn man die Kunden fragt, ob sie faire Produktionsbedingungen gut finden, stimmen fast alle zu. Beim Einkauf aber zählt dann letztlich doch oft der Preis.“

Alternative Ernährungsnetzwerke – eine Auswahl

  • Solidarische Landwirtschaft: Beim Konzept der Solidarischen Landwirtschaft (SoLaWi) werden die Verbraucher Mitglieder eines bäuerlichen Betriebs. Sie zahlen den Bauern einen jährlichen Festbetrag und sichern ihn damit finanziell ab – egal ob die Ernte gut oder schlecht ausfällt, der Landwirt kann dadurch mit einer festen Summe kalkulieren. Im Gegenzug erhalten die Verbraucher einen Anteil an der Ernte. Sie haben auch einen Einfluss darauf, wie der Landwirt arbeitet und können je nach Betrieb etwa mitentscheiden, welches Futter die Kühe erhalten sollen. Bundesweit gibt es mehr als 250 SoLaWis, mehrere auch am Bodensee. www.solidarische-landwirtschaft.org
  • Regionalwert-AG: Über Bürgeraktien will die in der Region Freiburg gestartete Initiative den Verbrauchern die Souveränität über ihre Ernährung zurückgeben. Das so eingesammelte Geld wird beispielsweise verwendet, um Junglandwirten bei der Übernahme von Höfen oder dem Kauf von Land finanziell unter die Arme zu greifen. Auch die Ökonauten setzen sich mit einem ähnlichen Konzept für den Erhalt kleinstruktureller Landwirtschaft und für die Unterstützung von Jungbauern ein.
  • Ernährungsräte: Wie sieht eigentlich die Ernährungsversorgung der eigenen Stadt aus? Um solche Fragen zu beantworten und gemeinsam an einem besseren Ernährungssystem zu arbeiten, haben sich inzwischen in mehreren Regionen Deutschlands Bürger, Aktivisten, die lokale Politik und die regionale (Land-) Wirtschaft zu so genannten Ernährungsräten zusammengeschlossen.
  • Hofkisten: Ein Landwirt aus der Region liefert Produkte von seinem Hof nach Hause oder an den Arbeitsplatz. Das garantiert einen regionalen und saisonalen Einkauf, ist bequem – und für den Landwirt eine planbare Abnahmemenge. Denn meist wird ein Abo abgeschlossen.
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