Berlin – Es wird eng. In den Kassen der gesetzlichen Krankenversicherungen herrscht Ebbe. Obwohl zahlreiche Orts- und Ersatzkassen erst zum Jahresbeginn die Zusatzbeiträge zum Teil kräftig erhöht haben, die ausschließlich die Versicherten aufzubringen haben, halten die Einnahmen kaum Schritt mit den Ausgaben. Auch wenn die Bundesbank 2016 ein „annähernd ausgeglichenes Ergebnis“ für möglich hält, wollen Experten wegen der unverändert steigenden Kosten ein erneutes Defizit in Milliardenhöhe nicht ausschließen.

Um zu verhindern, dass ausgerechnet im Wahljahr 2017 Arbeitnehmer und Rentner erneut zur Kasse gebeten werden, plant Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe einen Trick: Neben den regulären Zuweisungen sollen die Krankenkassen in diesem Jahr zusätzlich 1,5 Milliarden Euro aus den Reserven des Gesundheitsfonds erhalten, um ihre Lücken schließen zu können. Das Gesundheitsministerium bestätigte, dass Gröhe an einer entsprechenden Gesetzesänderung arbeite, die spätestens bis Oktober in Kraft treten soll. Dies ist aus Sicht der Regierung insofern wichtig, als im Oktober der Schätzerkreis der Krankenversicherung zusammenkommt und seine Prognosen für das Jahr 2017 abgibt. Dabei werden auch die wichtigen Eckdaten zu den Beitragssätzen festgelegt, woraus sich wiederum der zu erwartende durchschnittliche Zusatzbeitrag ergibt. Begründet werden die Sonderzuweisungen aus dem Gesundheitsfonds vor allem mit den Kosten für die medizinische Versorgung der Flüchtlinge sowie mit zusätzlichen Investitionen in die digitale Infrastruktur der Kassen.

Der zentrale Gesundheitsfonds, in den neben den regulären Beiträgen der Arbeitgeber sowie der Arbeitnehmer und Rentner plus den Zusatzbeiträgen auch die staatlichen Zuweisungen aus Steuermitteln für versicherungsfremde Leistungen fließen, weist derzeit Reserven in Höhe von rund 10 Milliarden Euro auf. Als Folge der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank und der negativen Zinsen musste der Fonds im vergangenen Jahr sogar etwa 1,8 Millionen Euro Strafzinsen an die Banken zahlen. Ein Abschmelzen der Rücklagen auf 8,5 Milliarden Euro würde auch die fälligen Strafzinsen senken.

Die Krankenkassen begrüßten die Entscheidung Gröhes, zeigten sich gleichwohl mit der milliardenschweren Geldspritze nicht vollends zufrieden. Die Entlastung sei lediglich ein „Einmaleffekt“, sagte Doris Pfeiffer, die Vorsitzende des Spitzenverbandes der gesetzlichen Kassen. „Es ändert nichts an den steigenden Ausgaben der nächsten Jahre, die vor allem durch teure Reformen verursacht wurden.“

Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Georg Nüßlein (CSU) rechtfertigte gegenüber unserer Zeitung den Griff in die Reserven des Gesundheitsfonds. „Wir haben als CSU lange darauf hingewiesen, dass die Integration von so vielen Flüchtlingen in unser Gesundheitssystem nicht ohne finanziellen Konsequenzen abgeht.“ Dagegen kritisierte der Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU, Wolfgang Steiger, die Pläne des Gesundheitsministers. „Der Griff in die Reserven des Gesundheitsfonds ist keine Lösung des Problems.“ Er diene nur dazu, im Wahljahr die Beiträge nicht übermäßig ansteigen zu lassen.

Der Krankenkassenbeitrag beläuft sich derzeit auf durchschnittlich 15,7 Prozent. Davon bringen 14,6 Prozent Arbeitgeber und Arbeitnehmer jeweils zur Hälfte auf, den Zusatzbeitrag, der erst zu Jahresbeginn um 0,2 Punkte auf durchschnittlich 1,1 Prozentpunkte stieg, müssen die Versicherten alleine aufbringen. Allerdings gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Kassen.