An den Börsen sind die ruhigen Tage vorbei. Zwar ging es mit den Kursen zwischenzeitlich wieder aufwärts und auch gestern nicht dramatisch abwärts, doch herrscht weiterhin Nervosität. Den Börsianern steckt noch der Schrecken über den plötzlichen Absturz in der vergangenen Woche in den Gliedern, als der Dow Jones in New York einbrach und auch die Aktienkurse an den anderen Weltbörsen mit sich zog.
Erschreckt hat viele Anleger und Beobachter aber nicht nur der Absturz an sich, sondern vor allem auch das Tempo des Kursverfalls. Um 1250 Punkte rutschte der Dow Jones Index innerhalb eines Tages ab. Zeitweise stand das Börsenbarometer sogar mit 1600 Punkten im Minus. Das hatte es seit Langem nicht gegeben. Sogleich wurde nicht nur die Sorge der Börsianer über steigende Zinsen für den dramatischen Einbruch verantwortlich gemacht, sondern vor allem auch automatisierte Handelssysteme, bei denen Computer – ausgelöst durch entsprechende Marktsignale – selbsttätig große Mengen Aktien auf den Markt werfen.
Tatsächlich sind die Börsensäle, in denen früher Heerscharen von Händlern mit bunten Papieren und seltsamen Handzeichen Aktien kauften oder verkauften, an den meisten Handelsplätzen längst nur noch Kulisse. Gehandelt wird stattdessen per Computer, die auf Basis von bestimmten Vorgaben (Algorithmen) Kauf- oder Verkaufsaufträge selbsttätig in den Markt geben. Der Vorteil: Computer handeln emotionslos und viel schneller als Menschen auch nur „Piep“ sagen können.
Das wird immer dann problematisch, wenn viele Computer mit ähnlichen Algorithmen gefüttert sind und deshalb ähnlich und gleichzeitig auf ein solches Signal reagieren. Dann rennen alle zum Ausgang – wie in einem Theater, in dem jemand „Feuer“ gerufen hat.
Eine besondere Variante dieses automatisierten Computerhandels ist der Hochfrequenzhandel. Dabei geht es um extrem schnelles Kaufen und Verkaufen von Wertpapieren. Teilweise werden auch in extremer Schnelligkeit Handelsangebote in den Markt gegeben und sofort wieder storniert. Dadurch können die Computer Marktsignale generieren und zum eigenen Vorteil nutzen.
Am 6. Mai 2010 kam es offenbar aufgrund einer solchen Manipulation zu einem Flash-Crash an den US-Börsen. Innerhalb von nur sechs Minuten sackte der Standard & Poors Index um 6 Prozent ab, der Dow Jones verlor zeitweise bis zu 9 Prozent. Später stellte sich heraus, dass ein Händler aus einem Londoner Vorort die Turbulenzen ausgelöst hatte, indem er massive Verkaufsaufträge in den Markt gegeben habe, die eins seiner Computerprogramme sofort wieder stornierte. Von den gesunkenen Kursen wollte der Händler profitieren.
„Extrem schnell“ heißt in dieser Umgebung selbständig agierender Computer, innerhalb von einem Milliardstel einer Sekunde (Nanosekunde) zu handeln. Am US-Aktienmarkt soll dieser Hochfrequenzhandel schon mehr als drei Viertel der Umsätze ausmachen, an deutschen Börsen fast zwei Drittel. Die Folge: Die durchschnittliche Haltedauer von Wertpapieren ist rapide gesunken. Zeitweise hieß es, die Haltedauer von US-Aktien betrage im Durchschnitt nur noch 22 Sekunden. Weltweit ist die durchschnittliche Haltedauer von Aktien seit 1980 nach Angaben des Weltverbandes der Börsen von knapp zehn Jahren auf rund sechs Monate gesunken.
Das könnte noch schwerwiegende Konsequenzen haben. Schon vor knapp 80 Jahren klagte der Nationalökonom Joseph Schumpeter darüber, dass sich Aktionäre kaum mehr wie (Mit-)Eigentümer verhalten. Es fehle ihnen an Verantwortung. Damals war die Haltedauer von Aktien, so steht zu vermuten, noch deutlich länger. Eigentum – das war wohl auch Schumpeters Haltung – verpflichtet. Eigentum genießt aber auch durch Artikel 14 des Grundgesetzes einen besonderen Schutz. Wenn bestimmte Eigentumstitel allerdings im Sekunden- oder Minutentakt gekauft und wieder verkauft werden und nur noch als Mittel zur kurzfristigen Gewinnerzielung benutzt werden, warum soll dieses Eigentum noch weiter verfassungsrechtlich geschützt werden?
Märkte brauchen Regeln. Überlässt man sie sich selbst, dann neigen sie dazu, die Grundlagen ihrer eigenen Existenz zu zerstören.