Der 21. Mai 2022 war für Marco Rose und Christian Streich ein ganz besonderer Tag. Der eine feierte die Jugendweihe seiner Tochter, der andere unterlag mit dem SC Freiburg im Endspiel um den DFB-Pokal dem Team von RB Leipzig nach Elfmeterschießen. Von einer besonderen Brisanz wollten beide Trainer vor der Final-Neuauflage gestern Abend nichts wissen. „Wir brauchen keine extra Motivation, es geht darum, eine Balance zu finden“, sagte der SC-Coach, der an der Seitenlinie wie ein Vulkan brodelt, vor den meisten Partien aber eine Euphorie ausstrahlt wie andere vor dem Besuch der Schwiegereltern.

Weit mehr als Streichs Worte im Vorlauf überraschte dann doch die Aufstellung, mit der er seine Breisgauer aufs Feld schickte. Als Lucas Höler bei der großen Pokal-Überraschung im Viertelfinale den 2:1-Siegtreffer beim FC Bayern München erzielte, war Vincenzo Grifo bereits ausgewechselt – und auch gegen RB fehlte der Name des Top-Torjägers des Sportclubs in der Startelf.

Die Leipziger bejubeln das Tor zum 1:0.
Die Leipziger bejubeln das Tor zum 1:0. | Bild: Marijan Murat/dpa

Auch ohne den italienischen Nationalspieler stürmten die Gastgeber kurz nach dem Anpfiff aufs RB-Tor zu. Nach 90 Sekunden trennte Amadou Haidara im letzten Moment mit einer Grätsche den einschussbereiten Michael Gregoritsch vom Ball. Auf der Gegenseite vergab Christopher Nkunku eine todsichere Leipziger Chance, als er den Ball frei vor Torhüter Mark Flekken links am Kasten vorbeischob (5.).

Beide Mannschaften suchten mit hohem Tempo die Offensive. Das Finale in Berlin erneut zu erreichen, setzte dann doch eine gewisse Extramotivation frei. In der 9. Minute tauchte Ritsu Doan vor dem Leipziger Tor auf, doch auch er verfehlte das Ziel knapp. Wie es besser geht, zeigten die Sachsen vier Minuten später. Marcel Halstenberg hatte auf der linken Seite zu viel Platz und fand mit seiner maßgenauen Flanke Dani Olmo, der die Gäste per Kopfball-Aufsetzer in Führung brachte.

Die rasenballsportelnden Auswechselspieler hatten sich nach dem Jubel noch nicht wieder richtig hingesetzt, als sie erneut aufsprangen. Die Freiburger Abwehr befand sich noch in Schockstarre, als Olmo einen präzisen Ball auf Benjamin Henrichs durchsteckte. Der 26-Jährige schoss den Ball nur eine Minute nach der Führung trocken aus 13 Metern zum 0:2 ins linke untere Eck.

Schiedsrichter Sven Jablonski (l) zeigt Leipzigs Josko Gvardiol (M) die Rote Karte.
Schiedsrichter Sven Jablonski (l) zeigt Leipzigs Josko Gvardiol (M) die Rote Karte. | Bild: Marijan Murat/dpa

Die Breisgauer wirkten geschockt vom Leipziger Doppelschlag – und Trainer Streich korrigierte seine Aufstellung früh, brachte Grifo nach gerade einmal 20 Minuten für Kiliann Sildillia. Auch mit der nun neu formierten Viererkette hatte die Sportclub-Defensive aber so ihre Probleme mit der pfeilschnellen RB-Offensive um Nkunku und Olmo. Letzterer bediente per Doppelpass in der 37. Minute Dominik Szoboszlai, der frei im Strafraum zum 0:3 traf. Die frühe Vorentscheidung in einem einseitigen Duell. „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“, sangen die Gästefans im lange nicht vollen Block in Vorfreude auf das nächste Endspiel ihres Teams.

Nachdem Gregoritsch wenig später eine gute Freiburger Möglichkeit nicht nutzte und Nkunku nach Pass von – na, wem wohl? – Olmo noch vor der Pause völlig freistehend im Strafraum das 0:4 erzielen durfte, war alle Spannung raus aus dem vermeintlichen Pokalkracher im Halbfinale.

Leipzigs Christopher Nkunku (r) erzielt gegen Freiburgs Torwart Mark Flekken das Tor zum 4:0.
Leipzigs Christopher Nkunku (r) erzielt gegen Freiburgs Torwart Mark Flekken das Tor zum 4:0. | Bild: Marijan Murat/dpa

Die Freiburger Anhänger unter den 34 700 Zuschauern im ausverkauften Stadion empfingen ihre zuvor gegen den RB-Express chancenlose Mannschaft nach der Pause mit Applaus, doch viel mehr als Schadensbegrenzung gelang nicht. Die Gäste brachten nach ihrem Gala-Auftritt vor der Halbzeit den Auswärtssieg routiniert über die Zeit. Zweimal brandete unter den SC-Fans noch Jubel auf. Beim Ehrentreffer durch einen Kopfball von Gregoritsch nach Flanke von Roland Sallai (75.). Zuvor schon hatten sie sich über den Platzverweis von RB-Abwehrchef Josko Gvardiol nach einer Notbremse gefreut, die der Videoassistent in der 60.Minute erkannt hatte. Am Ende der siebenminütigen Nachspielzeit traf Szoboszlai noch per Foulelfmeter zum 1:5-Endstand.

Den vermeintlich dicksten Brocken hatten die Freiburger in der Runde zuvor in München aus dem Weg geräumt, nun verhoben sie sich am Titelverteidiger. Marco Rose hatte seinen Plan B vor der Partie so beschrieben: „Kratzen, beißen, spucken.“ So weit ließen es seine Ballzauberer nicht kommen – und der RB-Trainer durfte schon früh sein Abendprogramm für den 3. Juni planen. Dieses Jahr wird er im Olympiastadion sein, statt bei einer Jugendweihe.

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