Jubelnde Zuschauer, moderne Stadien, Feuerwerke: Zumindest in der Computer-Animation lässt die türkische Kandidatur zur Ausrichtung der Fußball-Europameisterschaft 2024 keine Wünsche offen. In der Realität sieht es jedoch anders aus – einige Stadien müssen noch gebaut oder renoviert werden, auch die Verkehrsverbindungen sind noch nicht so weit. Dennoch hofft die türkische Regierung bei der Entscheidung der Uefa zwischen Deutschland und der Türkei an diesem Donnerstag auf den Zuschlag für das erste große internationale Turnier in der Geschichte des Landes. Gegner von Präsident Recep Tayyip Erdogan warnen dagegen, eine Entscheidung für die Türkei wäre eine Aufwertung für eine „Diktatur“.
„Birlikte paylasalim“ – Lasst uns gemeinsam teilen – lautet das Motto der türkischen Bewerbung. Zehn Stadien von Istanbul über Izmir an der Westküste und Trabzon am Schwarzen Meer bis Gaziantep in der Nähe der syrischen Grenze bieten die Türken auf. Der türkische Verband TFF wirbt mit einem „interkulturellen Dialog“ und dem Vorsatz, insbesondere die Jugend für den Fußball zu begeistern. Wegen der besonderen geographischen Lage des Landes sei die Türkei für rund eine Milliarde Menschen in unter vier Flugstunden zu erreichen. Als zusätzlichen Köder verspricht die Türkei der Uefa steuerfreie Gewinne. Alle Stadien werden – anders als in Deutschland – mietfrei zur Verfügung gestellt.
Schon drei Mal hatte die Uefa der Türkei bei EM-Kandidaturen in den vergangenen Jahren einen Korb gegeben. Auch um die Olympischen Spiele hat sich das Land mehrmals vergeblich beworben. Im Vergleich mit dem Mitbewerber Deutschland hat die Türkei deshalb weit weniger Erfahrung mit der Ausrichtung großer internationaler Sportereignisse, auch wenn die türkischen Organisatoren darauf verweisen, dass Istanbul im Jahr 2005 das Champions-League-Finale veranstaltete und in zwei Jahren wieder an der Reihe sein wird.

In einem Uefa-Bericht über die deutsche und die türkische Bewerbung kommen die Deutschen besser weg. Dennoch ist die Regierung in Ankara sicher, diesmal bei der Bewerbung alles richtig gemacht zu haben. „Von der Wirtschaft und der Infrastruktur her ist die Türkei bereit“, sagte Finanzminister und Erdogan-Schwiegersohn Berat Albayrak vor einigen Tagen. Ob der Optimismus berechtigt ist, wird sich zeigen. Der Uefa-Bericht, der kurz vor der Entscheidung veröffentlicht wurde, lässt deutliche Zweifel des europäischen Verbandes an der türkischen Kandidatur erkennen. Das Land müsse in den kommenden Jahren noch Stadien, Schienenwege und Straßen herrichten, was ein „Risiko“ darstelle, merkte der Report an. Insgesamt seien in den kommenden sechs Jahren noch Investitionen in Höhe von 12,5 Milliarden Euro nötig – die derzeitige Finanzkrise am Bosporus dürfte das Vertrauen der Uefa nicht gerade stärken.
Zu wenig Hotelbetten
Laut dem Bericht gibt es in einigen potenziellen Turnierstädten zudem nicht genügend Hotelbetten. Die Türkei hat zwar angeboten, das Defizit unter anderem durch die Unterbringung von Fußballfans in Universitätsgebäuden auszugleichen, doch die Uefa hat Bedenken. Das türkische Verbot für Alkohol-Werbung könnte ebenfalls zum Problem werden, etwa wenn eine Brauerei als Sponsor des Turniers auftreten sollte. Auch das Fehlen eines türkischen Aktionsplans für die Menschenrechte sei Anlass zur Sorge, kritisierte die Uefa. Erdogan sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, Andersdenkende zu verfolgen sowie Bürger westlicher Staaten und Journalisten einzusperren. Die Regierung weist den Vorwurf zurück.
Das schlechte Image des Landes ist das vielleicht größte Problem für die türkische Bewerbung. Laut türkischen Medienberichten kündigte der Präsident des schwedischen Fußballverbandes, Karl-Erik Nilsson, bereits an, er werde am Donnerstag gegen die Türkei votieren.
Politische Bedenken stehen auch bei Regierungskritikern in der Türkei bei ihrem Nein zur EM 2024 ganz oben. So beklagte der Oppositionspolitiker Ahmet Sik im WDR, in der Türkei würden „Grundrechte mit Füßen getreten“. Wenn das Land trotzdem den Zuschlag für das Turnier bekomme, sei das eine „Anerkennung einer Diktatur“ durch die internationale Gemeinschaft. Wie schwer diese Einwände wiegen, ist offen. Dass die Einhaltung demokratischer Grundsätze keine zwingende Anforderung für die Ausrichtung eines großen Fußballturniers ist, zeigt unter anderem die Vergabe der Fußball-WM 2022 an Katar.
Gute Chancen trotz aller Kritik
Auch Erdogan-Kritiker in der Türkei halten den Antrag aus Ankara nicht für aussichtslos. Trotz aller Nachteile gegenüber der deutschen Kandidatur habe die Türkei gute Chancen, betonte die Istanbuler Oppositionszeitung „Evrensel“ in einer Analyse. Schließlich sei die Türkei bei ihren Bewerbungen in den vergangenen Jahren schon so häufig gescheitert, dass die Uefa nun vielleicht nicht schon wieder Nein sagen wolle.
Türkei
- Das Land:
Einwohner: 80 Millionen
103 Einwohner pro km²
- Der Fußballverband:
Türkiye Futbol Federasyonu (TFF)
Gründung: 1923
Vereine: 20 000
Mitglieder: 467 000
- Bisherige Sport-Großveranstaltungen:
Basketball-Weltmeisterschaft 2010
Mittelmeerspiele 1971 und 2013