Fußball kann so schööön sein. Da lässt Schalke-Torwart Ralf Fährmann nach einem Schuss von Christian Günter den Ball abprallen und die Kugel rollt Florian Niederlechner vor die Füße. Der Rest ist Formsache, locker schiebt der 27-jährige Stürmer des SC Freiburg das Runde ins Eckige. Es ist Niederlechners erstes Bundesligator seit dem 1. Oktober 2017, da hatte er beim 3:2 gegen Hoffenheim getroffen. Und nun, fast ein Jahr später, endlich wieder. Es ist der Schlussstrich unter eine Zeit, die Niederlechner liebend gerne nie erlebt hätte.
Am 2. November 1027 war ihm bei einem Zusammenprall im Training die Kniescheibe kaputtgegangen. Es folgten Operation, Krankenhaus, erste Gehversuche, Reha, erstes Lauftraining, Ende Juni 2018 dann Übungen mit Ball. Neun manchmal elend lange Monate mit nicht immer leichten Gedanken. Wird das wieder was? Und wann?
Florian Niederlechner ist wieder fit. Aber vor dem Tor wollte es nicht klappen, trotz bester Chancen. Pech? Zuviel überlegt vor dem gegnerischen Torhüter? Unvermögen plötzlich? Chancen verpassen macht nachdenklich. Dann heißt es ab auf die Ersatzbank, wie zuletzt in Wolfsburg. Ein Sch..., denkt der Spieler, ein Mittel gegen Verkrampfung, denkt der Trainer. Und jetzt das 1:0 gegen Schalke, der Siegtreffer. „Ihm hat einfach nur ein Tor gefehlt“, sagt ein zufriedener Christian Streich, der Niederlechner trotz erneutem Fehlschuss in der Schlussphase von Wolfsburg wieder in die Startelf gesteckt hatte. Es ist ein Tor der Kategorie „den hätte auch ein Blinder reingemacht“ – geschenkt, völlig wurscht. Tor ist Tor und Tor ist Erlösung in diesem Fall. Die Menge jubelt, Niederlechner läuft die Torauslinie entlang, nimmt die Eckfahne ins Visier. Ein Sprung, ein Tritt, dann muss auch noch die Werbebande dran glauben, zum Glück verletzt er sich nicht. Die Fans rufen ihn nach dem Spiel auf den Zaun – Humbatätärä, der „Flo“ ist wieder da!
Szenenwechsel. So hääässlich kann Fußball sein. Vor Spielbeginn lächelt Domenico Tedesco noch, plaudert mit Lothar Matthäus, dem Sky-TV-Experten. Doch mit dem Anpfiff gewinnt diese Mischung aus Furcht, Hoffnung und Jetzt-erst-recht-Stimmung, die den Trainer des FC Schalke 04 bewegt, die Oberhand. Seine Gesichtszüge werden hart, Tedesco tigert in seiner Coachingzone umher, gestikuliert, schreit, winkt ab, fordert zwischendurch gar eine Karte für einen Gegner bei Schiedsrichter Frank Willenborg, mit dem er überhaupt nicht zufrieden ist. Der Spielverlauf gibt dem 33-jährigen Fußballlehrer den Rest. Die 5. Minute, 1:0 für S04 durch Teuchert, ekstatischer Jubel – denkste, Abseits. Die 41. Minute, Mendyls Schuss prallt vom Innenpfosten zurück ins Feld. Die letzte Minute in Halbzeit eins, Caligiuris Freistoß segelt über Freund und Feind hinweg und klatscht gegen den Pfosten. Wenn’s nicht sein soll, soll’s nicht sein. Und sieben Minuten nach der Pause trifft Niederlechner zum 1:0 für Freiburg. „Gefühlt war es der erste Freiburger Torschuss“, sagt Tedesco später, „und gefühlt war es vorbei.“
Ein Kompliment muss man dem leidgeprüften Mann machen. Als alles wirklich vorbei ist, ist er auch wieder er selbst. Redet ruhig, besonnen, obwohl sein Tonfall ein bisschen an den verstorbenen Schauspieler Heinz Schubert in dessen Paraderolle von „Ekel“ Alfred Tetzlaff erinnert, jene Person, die immer was zu Motzen hatte. Tedesco sagt oft „gefühlt“. Gefühlt seien zu oft Freiburger Spieler auf dem Boden gelegen. Gefühlt habe der Schiri zu oft den Spielfluss unterbrochen. Gefühlt habe es zu wenig Nachspielzeit gegegen. Gefühlt hätte man den Sieg verdient gehabt. Solche Gefühle hat der, dem’s nicht läuft. „Dann“, sagt Christian Streich, der sich auskennt mit misslichen Lagen, „dann geht dir immer was gegen den Strich.“
Freiburgs Trainer macht dem Kollegen Mut. „Das ist eine bärenstarke Mannschaft“, sagt Streich, „alles nur eine Frage der Zeit.“ Aber werden sie die ihm geben auf Schalke? Ob Platz zwei in der vergangenen Saison ihm momentan Kredit gebe, wird Tedesco gefragt. Seine Antwort ist grandios: „Das letzte Jahr ist vorüber, und ich sag Ihnen ganz ehrlich: Ich will diesen Kredit nicht.“ Was er will, ist neuer Erfolg mit einem Team, das diesen von der Besetzung her auch in sich trägt.