Es fällt schwer, sich an diesem November-Abend rauschende Fußballfeste in Katar vorzustellen, mit den Ronaldos, Messis und Neymars dieser Welt, die vor begeisterten Massen spielen. Im kleinen Stadion des Clubs Al-Ahli aus der Hauptstadt Doha kickt die Heimelf gegen das Team Al-Rajjan. Auf den leeren Tribünen verlieren sich 200, vielleicht 300 Fans. Als der Gastgeber ein Tor erzielt, wird Jubel über Lautsprecher eingespielt. Alltag in Katars erster Liga. Immerhin: eine Gruppe von Gäste-Fans – gut gesittet und ordentlich nebeneinander aufgereiht – singt, trommelt und klatscht unaufhörlich in ihren roten Trikots. Die WM 2022 werde eine „große Sache“, glaubt Omar (33), der mit klarer Stimme die Lieder für die Anhänger vorgibt: „Fans aus der ganzen Welt kommen und genießen die neuen Stadien.“ In vier Jahren soll in dem Emirat um den WM-Titel gespielt werden. Am 21. November 2022 – so der Plan – ertönt im neuen Lusail-Stadion vor mehr als 80 000 Zuschauern in diesem kleinen Land der Anpfiff zu einem der größten Sportereignisse der Welt. Rund 1,5 Millionen Fans sollen nach Katar strömen.

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So eine WM gab es noch nie

In der langen WM-Geschichte wird es ein Turnier sein, wie es die Fußball-Anhänger in vielerlei Hinsicht noch nicht erlebt haben: das erste in der arabischen Welt, das erste in einem muslimischen Land, das erste im europäischen Winter. Und das erste, das mehr oder weniger in nur einer Stadt ausgetragen wird. Acht Stadien – davon sieben komplett neu gebaut – sollen bis 2022 fertig sein. Bis auf eins stehen alle in Doha oder in unmittelbarer Nachbarschaft. Die WM wird für Spieler und Funktionäre, vor allem aber für die Fans ein Experiment.

"Das ist ein Test für das Land" – Mohammed Ahmed vom WM-Infrastrukturkomitee
"Das ist ein Test für das Land" – Mohammed Ahmed vom WM-Infrastrukturkomitee | Bild: Sharil Babu

Tarik Kamhawi, ein groß gewachsener Mann, sieht das Turnier manchmal schon vor Augen. In dicken Stiefeln stapft er nach einem Regen durch den Matsch einer Baustelle am alten Hafen Dohas, Maschinen rattern. Drüben, auf der anderen Seite der Bucht, glitzern Wolkenkratzer des Hochhaus-Viertels. Dann bleibt Kamhawi auf dem durchweichten Boden stehen: „Hier ist das Spielfeld“, sagt der Baustellen-Manager und schwärmt: „Stell dir das vor. Dieses Stadium mit dieser Aussicht!“

Blick auf die Baustelle des Stadions Ras Abu Abud vor Der Skyline der Hauptstadt Doha.
Blick auf die Baustelle des Stadions Ras Abu Abud vor Der Skyline der Hauptstadt Doha. | Bild: Sharil Babu

Wo jetzt noch Bauarbeiter um ihn herum ein Fundament legen, soll in den nächsten zwei Jahren das Stadion Ras Abu Abud wachsen, auf das die Organisatoren besonders stolz sind. Es besteht größtenteils aus Schiffscontainern und Stahl und soll nach der WM abmontiert und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden. „Das ist wie bei Lego“, sagt Kamhawi. „Du hast deine Teile und musst sie zusammensetzen.“

Mit solchen Konzepten versuchen die Katarer, Skeptiker davon zu überzeugen, dass sie die WM trotz aller Korruptionsvorwürfe zu Recht gewonnen haben. Nachhaltig soll das Turnier sein, klimaneutral und ganz im Sinne der Fans. So verweisen die Organisatoren auf die kurzen Wege: Das am weitesten entfernte Stadion liegt knapp 50 Kilometer nördlich von Doha. Alle acht Spielorte lassen sich mit der neu gebauten Metro oder mit Bussen und einem kurzen Fußmarsch erreichen.

Bauarbeiter arbeiten auf dem Gelände des Stadions Ras Abu Abud.
Bauarbeiter arbeiten auf dem Gelände des Stadions Ras Abu Abud. | Bild: Sharil Babu

Übernimmt sich Katar mit diesen Dimensionen?

Die Kapazität mehrerer Stadien wird nach dem Turnier auf 20 000 Plätze halbiert. Trotzdem bleibt die Frage: Was passiert in Katar, einem Emirat mit etwa 2,7 Millionen Menschen, aber nur 300 000 Einheimischen, mit sieben Hochglanzstadien? Die Katarer lassen sich die WM nach eigenen Angaben 23 Milliarden US-Dollar kosten, das bislang teuerste Turnier. Sie sehen es als Baustein einer Modernisierung des Landes. Doha gleicht in vielen Gebieten einer Großbaustelle. Das Emirat will mehr sein als nur der Wüstenstaat mit dem weltweit höchsten Pro-Kopf-Einkommen. Die WM sei ein „Katalysator für den Wandel“, sagt Mohammed Ahmed, ein US-Amerikaner, der für das WM-Infrastrukturkomitee arbeitet. Er steht am Spielfeldrand des bereits fertigen Nationalstadions in Doha, an dessen Umbau er maßgeblich beteiligt war. „Das ist ein Test für das Land.“ Die WM wird aber alles Bisherige sprengen, schon allein wegen der großen Zahl der Gäste. Die Ausrichter aber versichern: Es werde ausreichend Zimmer für alle geben. In Hotels, auf mehreren Kreuzfahrtschiffen im Hafen und in Zeltlagern, die in der Wüste aufgebaut werden sollen.

Unter den Zuschauerrängen im Khalifa International Stadion ist die Lüftungsanlage zu sehen die dafür sorgen soll, dass es auf den Rängen ...
Unter den Zuschauerrängen im Khalifa International Stadion ist die Lüftungsanlage zu sehen die dafür sorgen soll, dass es auf den Rängen und auf dem Feld nicht wärmer als 26 Grad wird. Die 2017 modernisierte Arena wird daher auch als größter Kühlschrank der Welt bezeichnet. | Bild: Sharil Babu

Erschwerte Bedingungen

Doch die Vorbereitungen laufen unter verschärften Bedingungen, seit Saudi-Arabien und andere Nachbarn im vergangenen Jahr eine Blockade gegen Katar verhängt haben. Weil Materialien wie etwa Zement nicht mehr von dort geliefert wurden, kam es auf vielen Baustellen zu Verzögerungen. Trotzdem sollen alle Spielstätten rechtzeitig vor der WM fertig sein. Auch für die Katarer ist die WM ein Experiment. Viele im Land waren geschockt, als international die Kritik an der Ausbeutung von ausländischen Arbeitern über das Emirat hereinbrach. Mittlerweile hat die Regierung Reformen beschlossen. Doch Menschenrechtlern reicht das nicht aus. „Das Kafala-System ist noch weitgehend intakt“, sagt Hiba Zayadin von Human Rights Watch. Es bindet die Arbeiter an ihren katarischen Sponsor – sodass sie etwa nicht den Arbeitgeber wechseln können. Wie eine dunkle Wolke hängt auch der Wunsch von Fifa-Präsident Gianni Infantino über den Vorbereitungen, die WM schon 2022 von 32 auf 48 Teams auszudehnen – für das Emirat allein unmöglich. Es müssten auch Spiele in Nachbarländern stattfinden. Das aber scheint angesichts der Blockade und der verhärteten Fronten derzeit ausgeschlossen. (dpa)

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