Die Kardinäle bilden das feinste Gremium der katholischen Kirche. 223 Mitglieder zählt es weltweit, und wenn man ihre Wohnorte auf einem Globus mit Stecknadeln markieren würde, wäre tatsächlich der ganze Erdkreis mit Punkten gespickt. Die meisten Kardinäle wohnen freilich in Rom – auch Walter Kasper, einer von acht Trägern der roten Robe und des roten Biretts. Der Mann von der östlichen Schwäbischen Alb wird am 5. März 90 Jahre alt.
Franziskus wird gerade noch rechtzeitig gewählt
Mit 80 Jahren verlieren die Kardinäle das Recht, am Konklave teilzunehmen. Für die Wahl von Papst Franziskus hat es Walter Kasper gerade noch gereicht, der damals knapp 80-jährige Kasper zog ins Konklave ein und erlebte einen persönlichen Erfolg: Jorge Bergoglio, damals noch Kardinal, lobte Kaspers Buch über die Barmherzigkeit über den grünen Klee. Seitdem gilt Kasper als diskreter Ratgeber des Papstes – umso mehr, als der Pensionär nichts mehr werden will und muss.

Von Haus aus versteht sich der Jubilar als Theologe. Er zählt zu der großen Generation deutschsprachiger Professoren, die in der ganzen Welt gelesen und interpretiert wurden. Es ist die Generation mit Namen wie Joseph Ratzinger, Karl Lehmann, Hans Küng. Die beiden erstgenannten wurden später Bischöfe, da man Professoren zutraut, dass sie nicht nur gute Redner sind, sondern auch solide Verwalter und mitfühlende Seelsorger – eine Annahme, die inzwischen gründlich widerlegt ist. Ein guter Seelsorger benötigt keinen Doktortitel.
Bischof im Mercedes-Land
Walter Kasper entpuppte sich früh als Käpsele, als emsiger Arbeit im Weinberg des Herrn, wie es biblisch heißt. Er promovierte früh, schrieb viel und entschied sich für die wissenschaftliche Laufbahn. 1989 rückte er zum Bischof von Rottenburg auf; seine Diözese erweiterte er später auf „Rottenburg-Stuttgart“, um das wirtschaftliche Zentrum des schwäbischen Bistums ins Wort zu nehmen.
Und reich war sein Bistum immer – reich an Gläubigen (damals mehr als zwei Millionen) und auch finanziell. Vom Heuberg bis zum industriellen Zentrum am Neckar – im wirtschaftlichen properen Schwabenland klingelte auch die Kirchensteuer.
Tübingen, Rottenburg oder die raue Alb entrücken
Als Bischof von Rottenburg wäre Walter Kasper vermutlich in der regionalen Prominenz geblieben. Das änderte sich schlagartig, als er 1999 nach Rom beordert wurde. Er rückte dort in die scheinbare Position eines Sekretärs auf – und war damit zweiter Mann im Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen.
Später wurde er dessen Präsident und damit Chef-Ökumeniker des Papstes. In dieser Funktion suchte er (vergeblich) einen besseren Kontakt zu den orthodoxen Christen, er sprach mit Protestanten, Calvinisten, Anglikanern. Der Schwabe war in seinem Element, die Ehrung mit dem Kardinalspurpur schien da nur noch Formsache. Tübingen, Rottenburg oder die raue Alb entrückten.

Er macht bis heute keinen Hehl daraus, dass er sich dort wohler fühlt als in Rottenburg. Allerdings taucht er gerne und häufig im Südwesten auf. In Konstanz kam er immer wiederholt zur Volkshochschule und stellte sich den Fragen des SÜDKURIER. Auf der Insel Reichenau predigte er an Mariä Himmelfahrt 2019 und begeisterte die Zuhörer.
Der Blick auf die Kirche in Deutschland ist kritisch
Wie alle Deutsch-Römer wechselte er die Perspektive, kaum dass er in der Ewigen Stadt angekommen war: Der Blick auf die Kirche in Deutschland ist kritisch geworden. Kasper, der das Christliche immer von den Grundlagen denkt, attestiert seinen Landsleuten eine Gotteskrise. Kasper erklärt es so: Nicht die Frauenfrage oder das Demokratiedefizit halte Menschen vom Glauben ab, vielmehr stünden sie sich selbst im Weg.
Der Synodale Weg, den deutsche Reformkatholiken und viele Bischöfe suchen, stößt bei ihm auf wenig Gegenliebe. Kasper hält ihn für einen Holzweg. Vor allem die Schwächung des Bischofsamtes, die die Synodalen vorschlagen, gefällt ihm nicht. Das sei strikt unkatholisch, sagt der Dogmatiker.
Mittlerweile zählt der 90-Jährige zu den wenigen Deutschen, die im Vatikan noch über Einfluss verfügen. Neben Kardinal Marx aus München bildet Walter Kasper die zweite Bastion. Gerhard Müller, ebenfalls Kardinal, ist beim Papst in Ungnade gefallen. Ähnlich Georg Gänswein, der aktuell ohne Aufgabe in Rom wohnt. Es bleibt Walter Kasper, unser Mann in Rom.