Gut gemeint ist nicht schlecht. Aber allzu häufig doch das Gegenteil von gut gemacht. Diese im Volksmund flott geführte Redewendung kommt einem in den Sinn, wenn man sich aktuell in die Lenkbewegungen der Berliner Politik vertieft. Niemand wird den Regierenden in der Hauptstadt den Willen absprechen, die Zumutungen der Russland-Krise abfedern und die Bevölkerung entlasten zu wollen. Vieles, was auf den Weg gebracht wird, ist gut gemeint. Aber eben längst nicht alles ist auch gut gemacht. Und das liegt an einem Prinzip, das Gießkanne heißt und eine Lenkungswirkung gar nicht erst entfalten kann, weil alle gleichermaßen nass werden. So richtig einleuchtend ist das nicht.
Es ist unstrittig, dass die Menschen in der Bundesrepublik von den Folgen des Kriegs in der Ukraine, steigenden Energiekosten und Inflation unterschiedlich stark betroffen sind. Ein 100 Euro-Schein in der Haushaltskasse mehr oder weniger spielt für Menschen mit geringem Einkommen eben eine deutlich wichtigere Rolle als für Menschen mit Geldpolster. Alle wissen das, gehandelt wird danach nicht immer.
Neun-Euro-Ticket als staatlich subventioniertes Spaß-Programm
Beispiel Neun-Euro-Ticket. Dahinter stecken zwei Ideen: zum einen der Gedanke, Menschen in Zeiten des Klimawandels zum Umstieg auf die Bahn und andere öffentliche Verkehrsmittel zu bewegen. Und zum anderen der Gedanke, Berufspendler beim Monatsticketpreis zu entlasten. Schon vor dem Start am 1. Juni waren mehr als sieben Millionen dieser Billig-Karten verkauft.
Kritiker sagten voraus, dass die meisten Käufer ihre Tickets über die Sommermonate dazu nutzen werden, um am Wochenende an Orte zu fahren, die sie immer schon einmal sehen wollten. Das Neun-Euro-Ticket ist also eher ein staatlich subventioniertes Spaßprogramm als eine wirklich sinnvolle Entlastungsmaßnahme für Bedürftige – das Pfingstwochenende gab einen Vorgeschmack darauf. Ob sich die vollen Züge mit Tagestouristen bestätigen werden, wird sich weisen. Ganz sicher ist aber jetzt schon richtig: Dass Menschen heute insbesondere in ländlichen Regionen im Alltag auf öffentliche Verkehrsmittel verzichten, liegt weniger am Ticketpreis als vielmehr an schlechten Anbindungen und Taktungen. Neun Euro im Monat werden daran nichts ändern.
Von den Rabatten profitieren die Falschen
Hinzu kommt, dass das Prinzip Gießkanne auch denjenigen Pendlern nutzt, die sich ein normales Monatsticket locker leisten können. Wären die 2,5 Milliarden Euro, die der Staat ins Neun-Euro-Ticket für alle investiert, ausschließlich Bedürftigen vorbehalten gewesen, könnte die Hilfe länger als nur die drei beschlossenen Monate wirken. Sinn hätte das gemacht.
Noch dramatischer wird die Fehlwirkung des Prinzips Gießkanne sichtbar bei der von der FDP durchgesetzten Steuersenkung auf Benzin und Diesel. Auch hier gedacht, um die Menschen von den Folgen der steigenden Öl- und Energiekosten zu entlasten. Von den Rabatten aber profitieren diejenigen überproportional, die viel fahren, meist Haushalte mit zwei Wagen. Und das sind typischerweise die Besserverdienenden, wie die Wirtschaftsweise Veronika Grimm sagt. Abgesehen davon, dass der Tankrabatt an der Zapfsäule bereits verpuffte und sich die Mineralölkonzerne mit Milliardengewinnen die Taschen vollmachen, nannte Wirtschaftsminister Robert Habeck die Maßnahme diplomatisch „nicht das zielgenaueste Mittel.“ In Zeiten, in denen er noch in der Opposition saß, hätte er in seiner norddeutsch-direkten Art vermutlich „Riesenmist“ gesagt.
Klientelpolitik hat Sprengkraft
Die Grünen und die SPD aber schluckten die Kröte des Spritrabatts, weil sie im Gegenzug das Neun-Euro-Ticket bekamen. Und so opfert die Regierungskoalition in Berlin auf dem Altar ihrer Klientelpolitik das größere Ziel: nämlich für Gerechtigkeit zu sorgen. Denn es ist nicht gerecht, dass Besserverdienende die gleichen Vergünstigungen in Anspruch nehmen können wie diejenigen, die von der Hand in den Mund leben müssen. Mit der Gießkanne muss Schluss sein!
Hinter den Kulissen knirscht es in der Regierungskoalition deshalb gewaltig, denn langsam dämmert es allen Verantwortlichen, dass das Geld für die Wohltaten irgendwo her kommen muss. SPD und Grüne wollen dafür Steuererhöhungen durchsetzen, die FDP genau das verhindern. Finanzminister Christian Lindner hat das gerade noch einmal laut wiederholt. Über diese Finanzierungsfragen kann die Koalition ins Wanken kommen. Eine Nagelprobe wird die Diskussion über die sogenannte Übergewinnsteuer werden – eine Steuer also für diejenigen Unternehmen, die von den Kriegsfolgen überproportional profitieren, Mineralölkonzerne zum Beispiel. Sich gegen solch eine Steuer zu wehren, ist vielen Menschen nur schwer vermittelbar.