Von Patrick Graichen keine Spur. Der Rauswurf des Staatssekretärs im Wirtschaftsministerium interessiert offenbar nicht in der Fuchsstube, der rustikalen Besenwirtschaft des Fuchshofs im Konstanzer Stadtteil Dingelsdorf. Hier, wo an der Wand ein alter Pflug und Keltergerätschaften prangen, haben sich am Tag von Graichens Rücktritt 70 Menschen versammelt, die sich für das Fachgebiet des Klimaschutzexperten interessieren: das Heizgesetz und seine Folgen.
Es geht ans Eingemachte
Dieses schlägt in der Bevölkerung seit Wochen hohe Wellen. Bei den Hausbesitzern geht die Sorge um, dass man sich die energetische Neuausrichtung des eigenen Häusles, die nun angeordnet wird, nicht leisten können wird. Eigentümer in größeren Wohneinheiten fragen sich wiederum, welche Fördermaßnahmen für sie wohl gelten.
Mieter bangen wegen drohender Mietpreissteigerungen. Kurz, viele sind in Aufregung. Auch wenn die Affäre Graichen damit eigentlich gar nichts zu tun hat, stellt nun sogar der Koalitionspartner FDP den Zeitplan fürs Heizgesetz infrage.
Warum das so ist, liegt auf der Hand: Beim Heizungsgesetz, das eigentlich Gebäudeenergiegesetz (GEG) heißt, geht es ans Eingemachte. Hier wird der Klimaschutz massiv im eigenen Geldbeutel spürbar – nicht schleichend wie beim Spritpreis, nicht indirekt über Steuern. Mit einem Schlag werden für Eigenheimbesitzer Investitionen von mehreren Zehntausend Euro fällig.
Zwar muss nicht, wie zunächst kolportiert, ab dem 1. Januar 2024 die alte Gas- oder Ölheizung herausgerissen werden. Aber steht der Einbau einer neuen Heizung an, muss die ab dem Stichtag zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Drei Jahre Aufschub genießt man, wenn die Heizung unreparierbar kaputt geht, ganz verschont werden Eigentümer ab 80 Jahren – aber nur wenn alle über 80 sind. Eine Ausnahme soll auch für Gebäude gelten, bei denen der finanzielle Aufwand unwirtschaftlich wäre. Ab welche Summe das aber der Fall ist, ist unklar, wie so manches am Gesetz.

Andreas Jung, CDU-Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Konstanz und Klimaexperte seiner Fraktion, veranstaltet deshalb schon den zweiten sogenannten Bürgerdialog zum Thema. Mit dabei sind Norbert Reuter, Geschäftsführer der Stadtwerke Konstanz und Thomas Dietenmeier, Geschäftsführer der Dietenmeier & Harsch Haustechnik GmbH. Zwei Männer aus der Praxis also, die erklären können, was da auf uns zukommen dürfte.
Klimaschutz wollen alle
Die Grundstimmung im Fuchshof ist positiver, als man annehmen könnte. Ob das an Saft und Hefezopf liegt, die gereicht werden? Dass Deutschland das Klima nicht allein richten könne und damit alle Anstrengungen vergebens seien – das bekommt man hier nicht zu hören. Den Klimaschutz wollen alle, es geht nur darum wie.
Nur einmal kommt die Frage auf, ob das Ziel 2045 Klimaneutralität zu erreichen nicht unrealistisch sei. Norbert Reuter erwidert darauf mit seinen eigenen Vorbehalten: „Ich hätte Ihnen vor drei Jahren recht gegeben. Heute denke ich: Wir brauchen ambitionierte Ziele, weil wir sonst nicht vorankommen.“

Die Fragen aus dem Publikum zielen auf die Praxistauglichkeit der GEG-Pläne. Es geht um bürokratische Hürden, um dreifache Förderanträge, von denen zwei nicht beantwortet wurden, oder um die Frage, ob es überhaupt einen Markt für gebrauchte Gasheizungen gebe – letztere kämen für eine vorübergehende Lösung bei einer Heizungshavarie in Frage. Thomas Dietenmeier von Dietenmeier & Harsch Haustechnik weiß allerdings nicht, woher diese kommen sollen. „Wir bauen die aus und dann werden sie verschrottet.“
Sparen wird nicht belohnt
„Was ist mit dem Altbaubestand“, will einer wissen. „Wie wollen Sie ein Haus ohne Wärmeschutz mit einer Vorlauftemperatur von 50 Grad beheizen?“ Auch die umgekehrte Fragestellung bei bereits gut saniertem Haus und geringem Verbrauch drängt sich auf: Warum wird beim Heizungsgesetz überhaupt nicht berücksichtigt, wie viel jemand verbraucht? In die 65-Prozent-Regel fließt nicht mit ein, ob jemand vielleicht zwar mit Öl heizt, aber dank bester Isolierung kaum Verbrauch hat. Ein Schwachpunkt, auch aus Sicht von Andreas Jung.
Auch ganz grundsätzlich wird es bisweilen: Wo soll der ganze Strom eigentlich herkommen, fragt sich jemand. So wirklich beantworten kann das heute niemand. Im Augenblick deckt die Windkraft keine fünf Prozent des kompletten deutschen Energieverbrauchs (auch alles, was heute mit fossiler Energie betrieben wird) ab, die Solarenergie liegt sogar nur bei zwei Prozent.
Genug erneuerbare Energien aus Deutschland wird es, selbst wenn der massive Windkraft- und Photovoltaikausbau gelingen sollte, kaum geben können. Für Andreas Jung ist deshalb klar: Wir müssen Energie einsparen. Und: Autarkie ist nicht das Ziel, der erneuerbare Strom muss auch importiert werden.
Seethermie contra Trinkwasser
Welche Schwierigkeiten sich ganz konkret bei der Wärmewende bieten, wird beim Vortrag des Konstanzer Stadtwerke-Chefs Norbert Reuter klar. Die Stadtwerke sind für den Erfolg entscheidend, weil beileibe nicht alle Haushalte auf Wärmepumpe umstellen können werden, gerade in den Städten. Die Stadtwerke haben sich deshalb vorgenommen, bis 2050 44 Prozent der Haushalte mit vor Ort erzeugter Energie zu beliefern.
In Frage kommt dafür zum Beispiel Seethermie, allerdings erlaubt das die Bodenseerichtline nur dort, wo kein Trinkwasser entnommen wird. Ab 2030 hofft man damit und mit der Wärme aus der Kehrrichtverbrennungsanlage auf der Schweizer Seite nach und nach die Region um die Bodenseetherme, Petershausen, Paradies und Altstadt versorgen zu können. Wobei die Kehrrichtverbrennung nicht als erneuerbar gilt – womit das 65-Prozent-Problem für den Verbraucher wiederum nicht gelöst ist.
Halbe Milliarde an Investitionen nötig
500 Millionen Euro Investitionen sind dafür nötig, erklärt Reuter. Das Wärmenetz – Rohre, die Wasser führen – muss dafür erst noch verlegt werden. Und das Stromnetz erweitert. Keine einfache Aufgabe auf dem knappen Innenstadt-Raum. Die Ortsteile jenseits der Kernstadt aber schauen auf lange Zeit in die sprichwörtliche Röhre. Um wirtschaftlich erfolgreich zu sein, können die Stadtwerke nur das Angebot nur in dicht besiedelten Gebieten mit verlässlichen Ankerkunden machen. Dingelsdorf hat sich indes schon anderweitig umgetan: Für den Teilort will die Singener Firma Solarcomplex ein Wärmenetz mit Energie aus dem See bauen.

Alles in allem wartet bei der Wärmewende aus Sicht von Thomas Dietenmeier „eine Wahnsinnsaufgabe“. Neben dem Fachkräfte- und Materialmangel sieht der Handwerker vor allem zwei große Herausforderungen: die mentale – „vertrauen wir auf das Altbekannte, oder setzen wir auf das Neue?“ – und die wirtschaftliche. Bislang hätten sich Investitionen in alternative Energien immer gerechnet, aber aktuell bilde sich die wirtschaftliche Perspektive nicht ab. Ob sich der Umstieg finanziell rentiere, könne man nicht vorhersagen.
Wenn der Gaspreis steigt, wird erneuerbare Wärme attraktiver
Andere sind da optimistischer. Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Dem SÜDKURIER erklärt sie, dass sich die neue Heizung schon aufgrund künftig steigendem Gaspreis rechnen wird – und dass es dabei nicht nur ums Klima gehe: „Alle, die jetzt noch eine Gasheizung einbauen, sind nicht nur schlecht beraten, weil der Gaspreis steigen wird, sie tragen auch zur Gaskrise bei, in der wir immer noch stecken.“

Ihrer Ansicht nach sind einige Vorbehalte gegen das GEG aus der Luft gegriffen: „Da geistern einige Mythen herum, mit denen man dringend aufräumen muss, wie: Eine Wärmepumpe geht nur mit Fußbodenheizung und funktioniert nicht im Altbau. Das ist alles Quatsch“, so Kemfert. Anderes sei schlecht kommuniziert. Die Vorteile und Chancen müssten besser erklärt werden. Kemfert bewertet seit Mitte der 1990er Jahre die volkswirtschaftlichen Kosten des Klimawandels und des Klimaschutzes. An der Wärmewende führt aus ihrer Sicht kein Weg vorbei. „Je länger wir warten, desto teurer wird es.“
Kommende Woche soll das GEG zur ersten Lesung in den Bundestag. Andreas Jung hat ein paar offene Fragen mehr gesammelt, die sich den Bürgern stellen. Der CDU-Energieexperte hofft auf mehr Klarheit im Gesetz. „Die Leute müssen wissen: Was kommt auf mich zu? Und mit welcher Förderung kann ich rechnen?“ Die Ampel-Koalition scheint sich da selbst immer unsicherer zu werden: Gestern kamen aus den Reihen der SPD diverse Forderungen für Nachbesserungen, die FDP will das Gesetz gleich verschieben. Für ausreichend Reibung im Wärmegesetz ist also gesorgt.