Baden-Württemberg ist um eine große Persönlichkeit im Feld der Publizistik ärmer: Der SÜDKURIER trauert um seine ehemalige Verlegerin und Gesellschafterin Brigitte Weyl. Sie hatte in der kleinen Schweizer Gemeinde Berg im Kanton Thurgau ihre zweite Heimat gefunden. Dort starb sie am 3. April im Alter von 95 Jahren in ihrer geliebten häuslichen Umgebung. Sie sei friedlich eingeschlafen, berichtet ein Mitarbeiter.
Es war ihr nicht an der Wiege gesungen worden, dass sie später eine wichtige Zeitung im damals noch neuen Bundesland Baden-Württemberg führen sollte. Die gebürtige Münchnerin hatte Medizin studiert, das Examen abgelegt und ihren Doktor gemacht. Die Weichen schienen gestellt, als ihr Vater sie kurzerhand zur Zeitung holte.

Sie absolvierte ein Volontariat und löste damit die Eintrittskarte in das redaktionelle Innenleben des Verlages. Johannes Weyl war der Gründungsverleger des SÜDKURIER, der 1945 eine Lizenz für ein neues und unbelastetes regionales Blatt erhalten hatte. In seinem Sinne sollte sie das Unternehmen weiterführen.
Ihre Ära als Chefin (1970 bis 1989) bedeutete goldene Zeiten für das gedruckte Wort. Die Auflagen stiegen, die Lokalteile wurden erweitert und neue Seiten eingeführt. Wichtig war ihr der weite Horizont, unter dem „ihre“ Zeitung stehen sollte: Neben den lokalen Seiten als Basis wünschte Weyl auch einen kompletten politischen Teil sowie solide Berichte über Wirtschaft und Kultur.

Sie wollte keine Schmalspur-Verlegerin sein. Neben Nachrichten aus der Region, dem Bundesgebiet und der weiten Welt hatten auch das Erntewetter, der Fortsetzungsroman und die Spiele der Fußball-Kreisliga ihren Platz. Hinter diesem Konzept stand sie. Die Tageszeitung hieß so, weil man mit ihrer Hilfe den Tag bestreiten konnte.
Ihre Personalgespräche waren berüchtigt. Mit klammem Herzen betraten Bewerber ihr unauffälliges Büro an der Konstanzer Marktstätte. Hinter dem altmodischen Schreibtisch saß eine kleine Frau mit heller Bluse und gemustertem Rock. Sie erzeugte keine Angst beim Praktikanten, der seine Arbeitsmappe reichte; vielmehr besaß sie eine natürliche Autorität, die sich ohne Chefallüren oder Jagdtrophäen an der Wand bald einstellte. Sie stellte einfach Fragen. Es waren treffende und damit gute Fragen, mit denen sie einem vorlauten Bewerber auf die Schliche kam oder einer schüchternen Kandidatin auf die Sprünge half.
Kommentare versah sie auch mal mit Korrekturvorschlägen
Formale Qualifikationen waren das eine – der menschliche Faktor das andere. Sie hatte ein Gespür für Menschen und zeigte Interesse an den Dingen, die andere umtreiben. Sie hätte auch eine gute Journalistin werden können, was sich auch daran zeigte, dass sie die Kommentare ihrer Redakteure nicht nur haarscharf las, sondern am nächsten Tag mit Korrekturvorschlägen versah. Mancher Schreiber ärgerte sich darüber. Die Klügeren freilich nahmen das an, sie erkannten, dass sich Frau Weyl brennend für das Produkt interessierte, das die Konstanzer Druckerei Nacht für Nacht verlässt.
Im Alter von 63 Jahren zog sich Frau Dr. Weyl, wie sie quer durchs Haus ehrfürchtig genannt wurde, aus der Geschäftsführung zurück. Es geschah nicht ganz freiwillig. Der Einstieg der Holtzbrinck-Gruppe (Stuttgart) zwang sie zu diesem Schritt (1980). Die alleinstehende Verlagsherrin Weyl kam das hart an. Es erschien ihr wie der Abschied von einer großen und lauten Familie. Später leitete sie noch den Südverlag (Sitz Konstanz), der sich auf regionale Literatur spezialisiert hat.

Sie war eine mutige Frau in einer Zeit, als Frauen in Führungspositionen selten waren. Ihren Einfluss machte sich auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen geltend. Bereits ihr Vater hatte sich für die damals noch junge Universität Konstanz eingesetzt. 1966 gegründet, war diese Hochschule auf ein freundliches Umfeld angewiesen. Brigitte Weyl bereitete es mit, sie saß im Unterstützerkreis der Universität und wurde später mit dem Titel einer Ehrensenatorin ausgezeichnet.
Versöhnung mit Frankreich Herzensanliegen
Brigitte Weyl gehörte noch zur Kriegsgeneration. 1926 geboren, erlebte sie den Zweiten Weltkrieg als Jugendliche mit. Die Versöhnung mit Frankreich war ihr ein Herzensanliegen. Das geschah nicht nur auf dem Papier; die Franzosen hatten nach dem Weltkrieg eine ganz andere Präsenz als heute. In Donaueschingen, Villingen und Konstanz waren Regimenter aus dem Nachbarland stationiert.

Weyl lag viel am zivilen Austausch. Sie interessierte sich für die Sprache und wirkte in der Deutsch-Französischen Gesellschaft mit, die damals einen hohen Stellenwert genoss. Sie kannte wichtige Offiziere, die 1945 dafür gesorgt hatten, dass in Südbaden eine neue und unbelastete Zeitung gegründet werden konnte. Für ihren Einsatz erhielt sie einen hohen französischen Orden, den Ordre National du Mérite.
Sie fand Mitstreiter
Für Brigitte Weyl war es selbstverständlich, dass sich eine Persönlichkeit aus dem Medienwesen auch öffentlich engagiert. Die golfende Privatheit, die Manager heute leben, war ihr fremd. Auch bedingt durch ihren Familienstand – aber nicht nur – suchte sie die Öffentlichkeit und fand Mitstreiter. Ob Universität oder Versöhnung unter den alten Erbfeinden: Überall tauchte die unauffällige Frau mit den guten Fragen auf und ließ manchen Platzhirsch samt seinen Anekdoten alt aussehen.

Ihr gutes Gedächtnis und die Orientierung an der Sache kamen ihr zugute. Sie war keine Netzwerkerin aus Gründen des Selbstzwecks, sondern um zu fördern. Großes Aufheben um ihre Person war ihr eher peinlich – aber eine geschliffene Rede mit akademischem Pathos genoss sie.
Nur mit der Fasnacht, die im Alemannischen ebenso ausgiebig wie unvermeidlich gefeiert wird, konnte sie wenig anfangen. Sie gönnte es den anderen und förderte eine intensive Berichterstattung über jeden Umzug in den Lokalnachrichten des SÜDKURIER. Sie selbst wollte das nicht.

Anbiedern war nicht ihre Methode. Ebenso wenig gehört sie zu den Mächtigen, die Nähe erzwingen. Ihre Gesprächsbasis beruhte auf angenehmer Distanz, hinter der sich alle wohlfühlten.
Sie schrieb Zeitungsgeschichte
Als sie 90 Jahre alt wurde, kündigte sie noch ein letztes Vorhaben an: Sie wolle ihre Memoiren schreiben. Das sagte sie im Gespräch. Dieses letzte Projekt konnte sie wohl nicht abschließen. Dafür erreichte sie anderes: Sie hat sich in die Annalen der Zeitungsgeschichte im Südwesten eingeschrieben. Das ist eine Leistung, die weit über das Managen und Makeln hinausweist. Denn eine freie und vielfältige Presse entschied nach 1945 darüber, ob die Deutschen den Anschluss an ein freiheitliches Leben finden sollten.

Es stand nirgends geschrieben, dass das Demokratie-Experiment einen guten Ausgang nehmen würde. Eine Zeitung mit gründlichen Artikeln über Gott und die Welt, über Dörfer und Fußballplätze und vieles mehr bildete einen Grundstein für ein frisches, menschenfreundliches Land.
Brigitte Weyl hat den SÜDKURIER verstanden und geleitet – als Staatsbürgerin und Unternehmerin, als guter Geist. Dies ist eine ungewöhnliche Lebensleistung für eine couragierte Quereinsteigerin.