Kehrt das verpflichtende soziale Jahr für junge Menschen zurück? Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat dazu eine Debatte angestoßen. Nach seiner Vorstellung sollen junge Menschen einen Pflichtdienst ableisten, beispielsweise bei der Bundeswehr, bei Betreuung von Senioren, in Behinderteneinrichtungen oder in Obdachlosenheimen.

Damit sollen die Demokratie und der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt werden, so der Politiker. Wie lange ein solcher Dienst dauern soll, ließ der Bundespräsident offen. Bei den Vertretern der Ampel-Parteien, ihren Jugendvereinigungen, der CDU und mehreren Sozialverbänden stieß der Vorschlag bislang auf Ablehnung. Doch einige Argumente sprechen für Steinmeiers Vorschlag.

1. Einblicke in Sozialberufe geben

Die Liste von sozialen Einrichtungen mit Personalmangel ist lang. Im vergangenen Jahr waren laut Bundesagentur für Arbeit fast 50 000 Stellen in diesem Bereich frei. Mit einem sozialen Pflichtdienst könnte die Branche wieder mehr in den Fokus von Schulabgängern rücken. Dabei könnten junge Menschen einen Einblick in wichtige Berufe wie Krankenpfleger, Hebamme oder Sozialpädagoge erhalten. Der Vorteil an diesen Berufen: Ihre Vertreter wissen, was sie am Ende eines Tages für die Gesellschaft geleistet haben. Anders als bei denen, die sich entscheiden, Germanistik, Philosophie oder irgendwas mit Medien zu studieren.

2. Alternative zu „Work and Travel“

Mangos pflücken in Australien, Lachs fischen in Neuseeland oder Kellnern in Kanada: So haben viele junge Menschen seit Ende der Wehrpflicht 2011 die Monate nach der Schule verbracht. Wer nach dem Abschluss nämlich kein Studium oder eine Ausbildung begann, saß bald mit einem 70-Liter-Rucksack in einem Flieger ans andere Ende der Welt (das gilt übrigens auch für den Autor dieser Zeilen).

Ein Airbus startet in die Lüfte: Viele junge Menschen gehen nach ihrem Schulabschluss erst einmal reisen oder machen Work and Travel in ...
Ein Airbus startet in die Lüfte: Viele junge Menschen gehen nach ihrem Schulabschluss erst einmal reisen oder machen Work and Travel in Ländern wie Australien, Neuseeland oder Kanada. | Bild: Daniel Reinhardt

Zur Selbstfindung und der eigenen Persönlichkeitsbildung war diese Hospitanz auf fremden Arbeitsmärkten nicht ungeeignet. Man verdiente sein eigenes Geld, konnte es vor Ort gleich wieder ausgeben und dabei jede Menge Abenteuer erleben. Der Zeitraum zwischen Schule und Ausbildung ließe sich für die Gesellschaft nutzen. Denn Geld verdienen und Abenteuer erleben kann man auch im eigenen Land. Und sich selbst zu finden, gelingt innerhalb eines Jahres ohnehin nicht. Das ist ein lebenslanger Prozess.

3. Raus aus der eigenen Blase

Die Jugend von heute ist nicht verkorkst, sondern mit starken Werten ausgestattet. Sie sind digital, weltoffen und sensibel für die Herausforderungen dieser Zeit. Dennoch täte es jedem jungen Menschen gut, aus der eigenen Blase zu treten: sich mit Menschen beschäftigen, mit denen man im Alltag nicht viel zu tun hat, verschiedene Sichtweisen kennenlernen und Vorurteile abbauen. So pathetisch es auch klingt, hier hat Steinmeier einen Punkt: Eine Pflichtzeit könnte den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Zeiten von Filterblasen fördern.

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Das Argument, dass ein soziales Pflichtjahr der Corona-gebeutelten Jugend die Freiheit über ihr eigenes Leben geraubt werde, zieht dagegen nicht. Bis das Pflichtjahr eingeführt würde, werden Vertreter der sogenannten Generation Corona längst nicht mehr die Uni- und Ausbildungsbänke drücken.

4. Rein ins wahre Leben

Rein ins wahre Leben. Schule, Verein, Freundeskreis oder Familie: Die Komfortzone, in der man aufwächst, ist meist gemütlich, warm und der Kühlschrank meistens gefüllt. Wer aber den Mut hat, diese zu verlassen, macht wertvolle Erfahrungen „dort draußen im echten Leben“.

Ein Jugendlicher begleitet einen Mann in einem Rollstuhl in einem Pflegeheim.
Ein Jugendlicher begleitet einen Mann in einem Rollstuhl in einem Pflegeheim. | Bild: Patrick Pleul

Und genau diese Chance bietet ein soziales Pflichtjahr: selbständig werden, Neues lernen, Situationen offen begegnen, Stresssituationen aushalten und erfahren, dass man in Dingen gut ist, die einem sonst nicht aufgefallen wären. Das gibt Selbstbewusstsein, stärkt die Persönlichkeit und kann den weiteren Lebensweg prägen.

5. Das Ehrenamt stärken

Ob Feuerwehr, Sportverein oder Sanitätsdienst: Landauf, landab suchen Organisationen nach Ehrenamtlichen. Das Engagement hat eine große Bedeutung, denn es verbessert die Lebenssituation der Menschen, denen es zugutekommt.

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Obwohl ein Ehrenamt mühsam und zeitintensiv sein mag – es kann auch erfüllen, das Leben anderer Menschen zu verbessern. Mit einem sozialen Pflichtdienst besteht für Institutionen die Chance, junge Menschen langfristig für eine ehrenamtliche Tätigkeit bei sich zu begeistern.