Herr Schmalstieg, der türkische Präsident Erdogan führt die Kurden ins Feld gegen den Nato-Beitritt von Finnland und vor allem Schweden. Wie finden die Kurden das?
Die Kurden sind völlig aus dem Häuschen. Ich bin von meiner Grundüberzeugung her immer für Frieden und Verhandlungen, aber was Putin da treibt, schreit einfach danach, dass man sich schützen muss. Es ist völlig klar, dass zur Sicherheit Europas auch Finnland und Schweden der Nato beitreten. Dass ausgerechnet Erdogan das kritisiert, verurteilen wir von der Kurdischen Gemeinde Deutschland. Erdogan hat ja erst letzte Woche im Nordirak und in Syrien gebombt.

Was ist Ihre Erklärung dafür? Warum macht Erdogan das?
Ich vermute, dass es zwei Gründe gibt. Einmal will er ein Drohpotenzial aufbauen, um Waffen geliefert zu bekommen von Amerika und Deutschland. Er versucht, den Westen zu erpressen. Zum anderen will er im Hinblick auf die Wahlen im nächsten Jahr seine Position festigen, indem er die Kurden attackiert. Das kommt nicht nur bei AKP-Anhängern an, sondern auch bei vielen national eingestellten Türken.
Es gibt mittlerweile einen Rassismus gegen Kurden, auch in Deutschland. Dabei ist nur ein ganz kleiner Teil auf Seiten der PKK, ansonsten sind die Kurden Menschen wie Sie und ich, lehnen Gewalt ab.
Erdogan moniert, dass die Schweden terroristische Gruppierungen unterstützen würden. Geht Schweden mit Kurden anders um als Deutschland?
Nein, Schweden war immer ein liberales, ein freiheitliches Land, das sich immer für verfolgte Menschen eingesetzt hat. In den letzten Jahrzehnten gab es sechs Länder in Europa, die besonders den verfolgten Kurden immer geholfen haben: Das waren Schweden, Norwegen, Finnland, Deutschland, Frankreich und Belgien.
Sie sagen: Die allermeisten Kurden haben mit Gewalt nichts am Hut. Auch hierzulande kommt es bei Kurden-Demos regelmäßig dazu, dass PKK-Fahnen geschwenkt werden. Ist dem Verständnis der meisten Kurden in Deutschland nach die PKK eine rechtmäßige Organisation?
Die Gegenfrage, die man stellen muss, ist doch: Wo waren in der letzten Zeit Anschläge der PKK in Deutschland? Mir fällt da nichts ein. Es ist eine ganz schwierige Sache. Ich war persönlich sehr davon angetan, als Erdogan 2013/14 auf die Kurden zuging, da habe ich auf eine Lösung gehofft.
Dann kam der 7. Juni 2015, als die HDP bei den Nationalwahlen 13 Prozent der Stimmen bekam und die AKP ihre Mehrheit verlor. Da wurden wieder die Daumenschrauben angelegt, die Gespräche, die die Regierung mit PKK-Chef Öcalan führte, abgebrochen. Das ist tragisch.
Ihrer Meinung nach müsste das PKK-Verbot aufgehoben werden in Deutschland?
Da gibt es sehr unterschiedliche Meinungen. Ich glaube, dass man gut beraten wäre, wenn man dieses Verbot aufheben würde. Andere lehnen das ab. Wir, die Kurdische Gemeinde Deutschlands, unterstützen die PKK nicht.
Seit Monaten zieht die Türkei Militäroperationen im Nordirak gegen PKK-Stellungen durch. Ist das ein Völkerrechtsbruch und warum regt sich dagegen kein Protest?
Das ist ein völkerrechtswidriger Übergriff, genauso wie es Putin gemacht hat. Das passiert im Schatten des Ukraine-Kriegs. Den einen Aggressor verurteilt man und mit dem anderen macht man Friede, Freude, Eierkuchen. Warum? Weil die Amerikaner natürlich ein großes Interesse daran haben, die Situation am Bosporus zu kontrollieren.
Und die Drohung, dass Erdogan uns die Flüchtlinge rüberschicken könnte, steht ja immer im Raum. Ich wünschte mir, dass wir ein gutes Verhältnis zur Türkei haben, aber auch, dass Deutschland und die europäischen Regierungen massiv gegen die Menschenrechtsverletzungen Stellung beziehen.
Wann waren Sie zuletzt im Kurdengebiet?
Zuletzt war ich im irakischen Kurdistan vor zweieinhalb Jahren. Im Augenblick ist es schwierig, nach Nordkurdistan in die Türkei zu fahren. Die Türkei hat eine Liste von etwa 1000 Personen, die bei der Einreise entweder sofort wieder zurückgeschickt oder verhaftet werden. Zwei unserer Beiratsmitglieder wurden gleich zurückgeschickt, einen anderen Freund haben sie eine Woche inhaftiert, einer Freundin wurde der Prozess gemacht, erst nach mehr als zwei Jahren durfte sie ausreisen. Deswegen verzichte ich im Moment darauf, in die Türkei zu reisen. Dieses wunderschöne Land ist im Augenblick leider keine Demokratie.

Sie und Gerhard Schröder sind beide Genossen aus Hannover, sie dürften einander gut kennen...
Ich kenne Gerd Schröder über 50 Jahre. Als ich September 1971 zum OB-Kandidaten und im Januar 1972 zum OB gewählt wurde, kandidierte ich nicht erneut zum Bezirks- und Landesvorsitzenden Hannover und Niedersachsen. Mein Nachfolger wurde der Göttinger Jurastudent Gerd Schröder.
Wie bewerten Sie Schröders Treue zu Putin?
Gerd Schröder hat sich große Verdienste um Deutschland, um Niedersachsen und Hannover erworben. Er hat Deutschland aus dem Irakkrieg herausgehalten, ihn abgelehnt, zurecht. Man kann Hartz IV unterschiedlich bewerten. Aber zu dem Zeitpunkt war es richtig, hat Deutschland stabilisiert.
Ich bedauere sehr, dass Gerd Schröder dem Rat vieler echter Freunde nicht gefolgt ist, rechtzeitig nach dem Angriffskrieg Putins auf die Ukraine, seine Ämter in Russland abzugeben, mindestens ruhen zu lassen. Es ist schade, dass er sein Ansehen damit verspielt. Er hätte ein großer, angesehener und gefragter Elder Statesmen sein können.
Ihr SPD-Bezirk will am 15. Juni über den Parteiausschluss von Gerhard Schröder verhandeln. Wie stehen Sie dazu?
Nach dem SPD-Parteistatut muss der zuständige Parteibezirk über alle Ordnungsverfahren entscheiden. Ohne dem Verfahren vorzugreifen, hielte ich einen Ausschluss für falsch. Ich glaube auch, dass ein Ausschluss rechtlich nicht haltbar wäre.