Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will einen neuen Anlauf bei der seit Jahrzehnten verzögerten Digitalisierung von Patientendaten nehmen. Ziel sei es, bis zum Jahr 2025 80 Prozent der gesetzlich Versicherten mit einer elektronischen Patientenakte (ePA) auszustatten, sagte Lauterbach am Donnerstag. Demnach soll das gleichfalls bisher kaum genutzte E-Rezept zum 1. Januar 2024 „verbindlicher Standard in der Arzneimittelversorgung“ werden. Lauterbach verspricht sich dadurch auch einen Schub für die Forschung in Deutschland.
Gesundheitswesen hängt Jahrzehnte zurück
„Deutschlands Gesundheitswesen hängt in der Digitalisierung um Jahrzehnte zurück“, betonte Lauterbach. „Das können wir nicht länger verantworten. Deshalb machen wir einen Neustart.“ Zwei dafür nötige Gesetze – das Digitalgesetz und das Gesundheitsdatennutzungsgesetz – seien „weitestgehend fertig“ und würden „in den nächsten Wochen vorgelegt“.
Pläne für eine elektronische Patientenakte gibt es schon seit 20 Jahren. Seit Anfang 2021 können Versicherte sie auf freiwilliger Basis über Angebote ihrer Krankenkassen nutzen. Lauterbach zufolge tun das bisher aber erst weniger ein Prozent der Versicherten.
Deshalb sollen nach Lauterbachs Plänen Versicherte künftig nicht mehr ausdrücklich zustimmen müssen, um die ePA zu erhalten. Sie können sich aber über eine sogenannte Opt-out-Lösung dagegen entscheiden.
Beim E-Rezept soll den Angaben zufolge die Nutzung vereinfacht werden. Das Rezept soll sowohl mit der Gesundheitskarte als auch mit der App für die elektronische Patientenakte eingelöst werden können.
Lauterbach verspricht sich von der Reform einen „Sprung in der Verbesserung der Versorgung“. Behandelnde Ärzte hätten dann sofort Zugriff auf Befunde anderer Mediziner. Zudem könnten sie bei der Verschreibung von Medikamenten erkennen, ob ungewollte Wechselwirkungen von Arzneimitteln drohen.
Ausgebaut werden soll auch die Telemedizin. Sie soll künftig auch in Apotheken und Gesundheitskiosken angeboten werden, um die Versorgung in Regionen mit zu wenigen Ärzten zu verbessern.
Kritik von Verbänden und Hausärzten
Kritik an der automatischen Erstellung der Patientenakte äußerte die Stiftung Patientenschutz. Es sei zwar grundsätzlich zu begrüßen, dass Lauterbach die elektronische Patientenakte „endlich aus dem Milliardengrab“ holen wolle, erklärte Vorstand Eugen Brysch. Dem Bürger dürfe aber „nicht die Kontrolle über seine medizinischen Informationen entzogen werden. Denn Schweigen bedeutet nicht Zustimmung.“
Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) begrüßte das Vorhaben. „Wichtig ist dabei die verpflichtende Befüllung der elektronischen Patientenakte durch Ärztinnen und Ärzte“, erklärte der Verband.
Die Hausärzte verlangten ihrerseits „praxistaugliche Lösungen“. Sie hätten nicht die Zeit, zum Start der neuen Patientenakte für tausende Patienten einzeln die bisherige Krankheitsgeschichte händisch in die digitale Akte einzutragen, sagte der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Markus Beier, den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Forschung steht im Mittelpunkt
Der Gesundheitsminister will durch die Reform auch die Nutzung von Patientendaten durch die medizinische Forschung in Deutschland deutlich voranbringen. Ziel ist es Lauterbach zufolge, bis Ende 2026 mindestens 300 Forschungsvorhaben mit Gesundheitsdaten über ein neues Forschungsdatenzentrum Gesundheit zu verwirklichen.
Lauterbach betonte, dies solle auch verhindern, dass Pharmaunternehmen in andere Länder abwandern, weil sie dort für die Entwicklung neuer Behandlungen vorhandene Patientendaten einfacher nutzen können. Er verwies dabei auf das Mainzer Unternehmen Biontech, das klinische Studien für Krebsimpfungen in Großbritannien machen will.

Der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen , Michael Hallek, versprach sich in einer Pressekonferenz mit Lauterbach vor allem Fortschritte in der Krebsforschung. Wenn Deutschland den Kurs hier nicht ändere, bleibe es „Abwurfland“ für teure Innovationen aus Ländern wie den USA.
Zur Umsetzung der Pläne soll die Gesellschaft für Telematik (Gematik GmbH) zu hundert Prozent in die Hände des Bundes übergehen und zu einer „Digitalagentur“ für den Gesundheitsbereich weiterentwickelt werden. Diese Firma betreibt der Bund bisher zusammen mit Verbänden aus dem Gesundheitsbereich. (AFP)