Das Bundesinnenministerium (BMI) schließt die Wiedereinführung von Kontrollen an der Grenze zur Schweiz gegenwärtig aus. Nachdem die Zahlen irregulärer Migration dort zuletzt stark gestiegen waren, hatten Oppositionspolitiker der CDU und Vertreter der Polizei vermehrte Kontrollmaßnahmen gefordert, wie sie seit einiger Zeit etwa an den Grenzen zu Österreich und Tschechien durchgeführt werden.
Solche Binnengrenzkontrollen auch zur Schweiz seien „zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht Gegenstand von konkreten Überlegungen“, sagte nun aber ein Sprecher des Ministeriums von Nancy Faeser (SPD) auf SÜDKURIER-Anfrage. Die Antwort kam trotz mehrerer Nachfragen erst zwölf Tage nach der Frist.
Ausnahme statt Regel
Das Schengen-Abkommen sieht eigentlich keine Grenzkontrollen zwischen den Mitgliedsstaaten vor. In besonderen Situationen, die die öffentliche Ordnung und Sicherheit ernsthaft gefährden, sind jedoch Ausnahmen möglich – dann können Grenzkontrollen für maximal sechs Monate wieder eingeführt werden. Eine Verlängerung darüber hinaus ist nur möglich, wenn eine neue Gefahr vorliegt, die sich von der ursprünglichen unterscheidet.
„In der Praxis halten sich viele Länder nicht daran, sondern verlängern die Grenzkontrollen einfach immer wieder“, erklärt der Jurist und Migrations-Experte Daniel Thym von der Universität Konstanz mit Verweis auf die deutsch-österreichische Grenze. Der Europäische Gerichtshof hat solche Maßnahmen in anderen Fällen bereits für rechtswidrig erklärt.

Nach Auffassung von Thym kommt Deutschland derzeit damit durch, weil niemand gegen die Kontrollen klagt. „Wenn dies jedoch der Fall wäre, würde nach meiner Überzeugung auch in anderen Fällen die Rechtswidrigkeit festgestellt werden. Ob in Baden-Württemberg jemand klagen würde, weiß ich nicht, rechtlich hätten sie jedoch sehr gute Chancen.“ Vorausgesetzt, Grenzkontrollen würden eingeführt und über sechs Monate hinaus verlängert werden.
Nach dem Flüchtlingsgipfel im Oktober 2022 hatte Faeser angekündigt, die Kontrollen an den Grenzen zu Tschechien und Österreich fortzusetzen. Für die zunehmend angespannte Situation an der Schweizer Grenze hatte die Bundesinnenministerin im Dezember mit der Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, Bundesrätin Karin Keller-Sutter, einen neuen Aktionsplan für mehr behördliche Kooperation aufgesetzt. Der entfaltet bislang allerdings keine sichtbare Wirkung und hatte entsprechende Kritik hervorgerufen.
Grenze unter Beobachtung
Laut BMI steht ein Treffen zur Evaluierung des Aktionsplans noch aus, die Entwicklung an der deutsch-schweizerischen Landgrenze werde weiterhin sorgfältig beobachtet. Zudem habe die Bundespolizei anderweitige Maßnahmen intensiviert.
Nach 2512 festgestellten Grenzübertritten aus der Schweiz im Jahr 2021 waren es im Folgejahr 10.472. Vor allem in den Monaten Oktober und November war der Unterschied auffällig: Im Vergleich zu den Vorjahresmonaten verzehnfachten sich die Zahlen. Auch die neuesten Werte liegen deutlich erhöht. Im Januar 2023 kamen 1410 Menschen illegal über die Grenze, im Januar 2022 waren es nur 275 gewesen, im Januar 2021 sogar nur 130.