Bei aller berechtigten Kritik am vermutlich größten Experiment im öffentlichen Nahverkehr: Das Neun-Euro-Ticket bietet die Chance, für wenig Geld durch Deutschland zu reisen, oder auch nur, um ohne Auto zur Arbeit zu gelangen. Schon jetzt ist klar, dass in den kommenden drei Monaten in Bussen und Bahnen nicht alles glatt laufen wird. Aber Erlebnisse sind garantiert. Die Autorin dieser Zeilen wird sich das Ticket auf jeden Fall anschaffen – auch wegen oder trotz der nachfolgenden Gründe:
1. Man macht ja nix kaputt
Neun Euro – mal ehrlich, man braucht nicht viel Bus und Bahn zu fahren, um diese Summe innerhalb eines Monats reinzuholen. Selbst wenn man sich dann doch komplett gegen die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel entscheiden sollte, weil einem die Züge zu voll und zu unpünktlich sind, kann man die Ausgabe in der Regel gut verkraften. Und wer weiß, vielleicht kommt man ja auf den Geschmack und findet Gefallen am Zugfahren. Dann wäre der positive Effekt, den das Neun-Euro-Ticket entfalten soll und an dem viele Kritiker zweifeln, doch erreicht.
2. Das Interrail-Gefühl kehrt zurück
Einfach mal von Bordeaux nach Genf fahren, weil dort das Wetter besser ist, oder über Nacht nach Paris, weil man sich so die Jugendherberge an der Côte d‘Azur spart – kurz: Fahren soweit die Gleise tragen, einfach weil es möglich ist. Das ist Interrail in der Anfangszeit – als es noch nicht die Beschränkung auf Zonen gab oder auf Tage, an denen man das Ticket nutzen konnte. Statt nach Paris geht es halt diesmal nach Potsdam oder Paderborn – Hauptsache unterwegs sein, das macht Laune.

3. Nähe ist garantiert
Besonders in den Ferien und über Feiertage wird ein wahrer Ansturm auf Busse und Bahnen erwartet. Alle zieht es an die Ausflugs-Hotspots. Der Fahrgastverband Pro Bahn rechnet mit Chaos: „Das ist eine Schnapsidee“, sagt der BW-Landesvorsitzende Stefan Buhl zum Neun-Euro-Ticket. Er erwartet Gedränge – zum Beispiel auf der Strecke von Stuttgart in Richtung Bodensee.
Aber wann, wenn nicht bei dieser Gelegenheit, werden Bekanntschaften und vielleicht sogar Freundschaften geschlossen? Mal ehrlich, wann haben Sie zuletzt auf der Autobahn jemanden kennengelernt? Eben. Das gemeinsame Zugerlebnis hingegen schweißt zusammen – im wahrsten Sinn des Wortes. Am meisten, wenn etwas schief geht, Züge ausfallen oder Ähnliches. Das kann man auch mal positiv sehen.
4. Höchste Zeit, mal die Sylter zu ärgern
Kaum war die Neun-Euro-Idee geboren, hörte man sie auch schon jammern, die elitären Insulaner im hohen Norden. Neun Euro? Da könnte ja jeder kommen! Ja, jetzt kann jeder kommen. Übrigens ging das auch schon zuvor ganz gut. Die Fahrt über den Inseldamm ist nur mit Auto teuer, wer als Fußgänger Bahn fährt, war schon immer klar im Vorteil.
Die Fahrt aus dem Süden der Republik ist mit dem Regionalverkehr zwar eine Herausforderung, aber machbar. Was nimmt man nicht alles auf sich, um die Reetdachhaus-Bewohner von Kampen zu ärgern. Übrigens: Auch der ICE über Hamburg kostet nicht die Welt – und geht meist schneller als eine Autofahrt.
5. Bus und Bahn retten
Der Bund finanziert das Neun-Euro-Ticket bekanntlich, indem er den Ländern 2,5 Milliarden Euro zum Ausgleich der Einnahmeausfälle überweist. Damit das Loch bei den Einnahmen der Bus- und Bahnbetriebe möglichst klein ausfällt, müssen also möglichst viele Menschen ein Ticket (oder auch zwei oder drei) kaufen. Natürlich um damit zu fahren, aber auch, um damit den öffentlichen Nahverkehr zu finanzieren.
Der benötigt eigentlich viel Geld, um strukturelle Mängel zu beseitigen – Geld, das nun für den Neun-Euro-Fahrspaß ausgegeben wird. Um neue Strecken zu schaffen, die Taktung zu erhöhen und so eine Verkehrswende möglich zu machen, würden bis 2030 1,5 Milliarden Euro mehr pro Jahr benötigt, sagt Ingo Wortmann, Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen. Wenn 80 Millionen Deutsche in zwei von drei Monaten ein 9-Euro-Ticket kaufen, hätten wir für dieses Jahr die Summe schon zusammen.