Herr Brigadegeneral, wie bewerten Sie die militärische Leistung der russischen Armee im Krieg gegen die Ukraine?

Ich würde die Performance der Russen derzeit als sehr unterdurchschnittlich bezeichnen. Verglichen mit früheren russischen oder sowjetischen militärischen Operationen haben sie klar versagt. Was wir in der Ukraine sehen ist nicht mit der Roten Armee zu vergleichen, die im Zweiten Weltkrieg die deutsche Wehrmacht niedergerungen hat. Zudem verüben die Russen offensichtlich Kriegsverbrechen. Das ist nicht nur entsetzlich, sondern auch höchst unprofessionell. Zwar haben die Russen einige ihrer Unterziele erreicht. Sie haben sich im Donbass festgesetzt. Sie kontrollieren die Landbrücke zur Halbinsel Krim. Sie haben aber nicht ihr großes Ziel erreicht, nämlich die Hauptstadt Kiew im Handstreich zu nehmen und die politische Führung durch ein Marionettenregime zu ersetzen. Jetzt deutet alles auf einen langen, blutigen Abnutzungskrieg hin. Die Russen handeln nicht gemäß ihrer eigenen klassischen Doktrin…

Wie sieht diese Doktrin aus?

Ein Teil der Doktrin schreibt vor, zu Beginn eines Angriffes die feindlichen Stellungen massiv mit Artillerie und Raketen zu attackieren. Der Gegner wird sturmreif geschossen. Dann erfolgt ein frontaler Hauptangriff mit Bodentruppen auf einer Linie. Als die Rote Armee 1945 zum Sturm auf Berlin ansetzte, zogen die Kommandeure 9000 Geschütze auf einer Läge von 35 Kilometer zusammen. Etwas Vergleichbares sehe ich heute nicht. Wenn die Russen in der Ukraine angreifen, fehlt oft der nötige vorherige massive Artilleriebeschuss. Ich glaube, die russische Armee hat Probleme mit der Artillerielogistik.

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Glauben Sie, dass Putin taktische nukleare Waffen einsetzen wird?

Ich könnte mir vorstellen, dass die Russen auf einem Truppenübungsgelände in einem entlegenen Teil ihres Landes taktische Nuklearwaffen verschießen. Das wäre eine klare Botschaft zur Einschüchterung: „Seht her, wir haben die Waffen und wir machen auch Gebrauch davon“. Andererseits glaube ich nicht, dass Putin tatsächlich taktische Nuklearwaffen in der Ukraine oder bei einem möglichen Angriff auf Moldau gebrauchen wird. Er würde sich diese Waffen für einen Kampf gegen Nato-Länder aufheben.

Könnte es Russland in einem konventionellen Krieg mit der Nato aufnehmen?

Ganz klar nein. Die russischen Kampfeinheiten wären für eine Konfrontation mit der Nato-Streitmacht nicht stark genug. Zu viele Truppen sind bereits in der Ukraine gefangen, verwundet oder gefallen. Auch dürfte die Moral vom einfachen Soldaten bis hin zu den Generälen erheblich angeknackst sein. Zudem haben die Russen viel Material verloren oder es wurde beschädigt.

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