Seit dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung ist es vielleicht das zweite Ereignis, das in Berlin und nicht nur dort als historisch empfunden wird. Der neue Flughafen mit dem sperrigen Namen Berlin Brandenburg Willy Brandt nimmt Samstagabend seinen regulären Flugbetrieb auf. Zunächst nur in eine Richtung, denn an diesem Tag wird es noch keinen Abflug, sondern nur Ankünfte geben.

Nach dem Aus für die heimische Fluglinie Air Berlin vor zwei Jahren werden es die Lufthansa und der britische Billigflieger Easy Jet sein, die am Nachmittag mit Sonderflügen als erste ihre Fahrwerke auf den Landebahnen A und B aufsetzen. Am Abend gegen 20 Uhr werden dann die ersten planmäßigen Linienmaschinen erwartet. Einen Tag später erheben sich Easy Jet, Turkish Airlines und die australische Gesellschaft Qantas von Schönefeld aus in den Himmel.

Ein EasyJet-Flug eröffnet den Flughafen, ebenso eine Lufthansa-Maschine.
Ein EasyJet-Flug eröffnet den Flughafen, ebenso eine Lufthansa-Maschine. | Bild: Patrick Pleu/dpa

Wenn es stimmt, dass was lange währt, auch gut werden muss, bekäme Berlin einen der besten Flughäfen der Welt. Eine Inbetriebnahme 14 Jahre nach dem ersten Spatenstich und über acht Jahre nach der geplanten Eröffnung lässt in Schönefeld mindestens Premiumqualität erwarten. Doch beim Blick in die leidvolle Chronik der Pleiten, Pech und Pannen schrumpft der Qualitätsanspruch schließlich auf nicht viel mehr als die langwierige Behebung von Fehlern und Mängeln. Diese Liste ist lang.

Am Anfang war der Rauch. Genauer gesagt dessen zuverlässiger Abzug im Brandfall. Man wollte es besonders gut machen. Um die Architektur des Flughafendaches nicht über Gebühr zu beeinträchtigen, sollte Rauch nicht nur nach oben, sondern auch durch unterirdische Luftschächte abgeleitet werden. Doch davon gab es zu wenig und außerdem funktionierte die Steuerung schlecht.

„Entrauchung“ war das erste Schreckenswort, das in Zusammenhang mit dem Flughafen die Runde machte. Allein beim Brandschutz wurden im Jahr 2011 nicht weniger als 14.750 einzelne Mängel beanstandet.

Bild 2: Berlins Flughafen ist fertig. Oder immerhin fast fertig. Heute wird er jedenfalls eröffnet
Bild: Michael Kappeler/dpa

Ein Terminal voller Qualm – ein Alptraum für alle Passagiere. Vor allem, wenn – wie sich dann herausstellte – der Weg ins Freie versperrt sein könnte. Alle Türen sollten im Brandfall automatisch gesteuert werden, aber falsch verlegte Kabel verhinderten genau das. Es kam zu Verzögerungen und die Verzögerungen schafften neue Probleme.

Parallel zu dem aus dem Ruder gelaufenen Zeitplan stiegen auch die erwarteten Passagierzahlen. Die Sicherheitstechnik musste nachgerüstet werden, erforderte aber auch mehr elektrische und elektronische Infrastruktur als vorhanden. Es brauchte mehr Check-in-Schalter und zusätzliche Betriebsräume, die alle mit Strom versorgt sein wollten.

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Es fehlte an allem, auch am Wasser und den Leitungen für die erweiterten Sprinkleranlagen. Der Flughafen wuchs in vielen Details über seine Planung hinaus, mit ihm wuchs die Zahl neuer Probleme.

Stets wurden Verantwortliche gesucht und teilweise auch gefunden, die Zahl der Mängel stand in ausgewogenem Verhältnis zur Zahl der Rücktritte, Kündigungen und sonstigen personellen Veränderungen. Auch diese waren einem zügigen Baufortschritt nicht unbedingt förderlich. Schon gar nicht, wenn dem stattlichen Sieben-Milliarden-Projekt gleich drei verschiedene Bauherren vorstehen: Der Bund sowie die Länder Brandenburg und Berlin.

Bild 3: Berlins Flughafen ist fertig. Oder immerhin fast fertig. Heute wird er jedenfalls eröffnet
Bild: Patrick Pleul/dpa

Jede Panne verlangt Umplanung. Jede Umplanung birgt weitere Pannen. Probleme mit Anwohnern, Streit um Einflugschneisen, Lärmschutz und Verkehrsanbindung kommen noch hinzu, gehören aber bei Projekten dieser Größenordnung eigentlich zum Standard. Der Steuerzahler muss während der ganzen Jahre mit einem täglichen Zuschuss von 1,15 Millionen Euro in die Pflicht genommen werden.

Schwer wiegen auch die Folgeschäden aus der Verzögerung. Zahlreiche Busunternehmer, Betreiber von Ladengeschäften und andere Dienstleister geraten an den Rand des Ruins oder gehen pleite. Von den geplanten rund 120 Shops und Gastronomiebetrieben werden zur Eröffnung nur etwa 90 zur Verfügung stehen.

Nun also endlich die Eröffnung. Allerdings corona-bedingt ganz ohne Fest und Party. Ausgerechnet jetzt führt die Pandemie zur weltweiten Krise des Luftverkehrs. Vielleicht empfindet es der eine oder andere Technikbeauftragte des Flughafens als beruhigend, dass der BER nicht mit Volllast starten muss, sondern erst mal nur etwa 20 Prozent des vorgesehenen Passagieraufkommens zu verkraften hat.

Geplant waren fünf Terminals. Nummer eins geht nun in Betrieb. Nummer zwei ist schlüsselfertig, bleibt aber mangels Bedarf vorerst geschlossen. Nummer drei sollte bis zum Ende des Jahrzehnts fertig werden, liegt aber auf Eis. Seine Funktion übernimmt derweil der bisherige Schönefelder Flughafen unter der Bezeichnung Terminal 5.

Bild 4: Berlins Flughafen ist fertig. Oder immerhin fast fertig. Heute wird er jedenfalls eröffnet
Bild: Patrick Pleul/dpa

Ob ein Terminal vier überhaupt noch gebaut wird, ist ebenso ungewiss wie die gegenwärtige finanzielle Situation der Flughafengesellschaft. Ihr drohte pünktlich zur Eröffnung die Insolvenz, hätte der Bund nicht noch in letzter Minute mit weiteren 300 Millionen Euro ausgeholfen.

Lieben werden die Berliner ihren neuen Flughafen wahrscheinlich nicht. Das war bei Tegel anders. Aber sie werden ihn akzeptieren, ihn wegen seiner Übersichtlichkeit, seiner klaren Formen und guten Schienenanbindung für praktisch halten. Davon ist Architekt Meinhard von Gerkan jedenfalls überzeugt.

Vielleicht ist ihnen der Flughafen Berlin Brandenburg Willy Brandt sogar ein bisschen sympathisch, weil sich das Monstrum in all den Jahren so verletzlich und unvollkommen präsentiert hat wie ein hilfloser Riese. Und weil er im Inneren mit seinen warmen Farben, seinem nussbaumfarbenen Wohnzimmer-Ambiente und seiner leicht angestaubten, knapp zehn Jahre alten Design-Anmutung auf jegliche seelenlose Modernistik verzichtet.