Carola Rackete will keine Heldin sein. Sie sei jemand, der lieber handle statt Reden zu halten, sagte sie in einem Interview. Recht hat sie. Und trotzdem wird die junge deutsche Kapitänin seit ihrer Rettungsaktion auf dem Mittelmeer nicht umsonst mit der Klimaaktivistin Greta Thunberg verglichen: Beide führen der Welt dieser Tage vor Augen, wo die Politik auf ganzer Linie versagt. Handeln, wo die Politik dringend aktiv werden sollte. Und werden dafür gleichermaßen verehrt und mit Hass überschüttet. Verdient haben sie vor allem Respekt.
Es gibt keine einfache Lösung
Der Vergleich mit der 16-jährigen Greta aus Schweden hinkt freilich: Die Seenotretter wie Carola Rackete gehen ein ungleich höheres Risiko, werden kriminalisiert und müssen jederzeit mit Verhaftung rechnen. Und die politische Situation ist ungleich verfahrener. Zum einen, weil es keine einfache Lösung gibt in der Flüchtlingsfrage. Zum anderen, weil es hier nicht um – zugegeben dramatische – Zukunftszenarien geht, sondern um die Gegenwart des vielfachen Sterbens im Mittelmeer.
In Europa will keine Regierung Verantwortung übernehmen für das fortgesetzte Elend der Flüchtlinge. Seit März gibt es keine staatliche Rettungsmission mehr. Wer von Schleppern auf Schlauchbooten gesetzt wird, wird entweder von libyschen Milizen aufgegriffen und versklavt, schafft es mit viel Glück aus eigener Kraft nach Europa oder wird mehr oder weniger zufällig von privaten Rettern aufgegabelt. Mit anderen Worten: Europa hat seine Menschlichkeit an Privatleute delegiert und verklagt sie noch dafür.
Europa in der Zwickmühle
Dabei ist das moralische Dilemma, in dem die Europäer stecken, durchaus vorhanden: Befördern wir mit Rettungsaktionen nicht das Geschäft der Schlepperbanden? Verlocken wir damit nicht noch mehr Menschen dazu, sich auf den Weg zu machen? Und schaffen es dadurch nicht vor allem die Fitten, diejenigen, die der Hilfe am wenigsten bedürfen, aufs europäische Festland? Die Befürchtungen sind alle nicht von der Hand zu weisen. Aber klar bleibt trotzdem: Nur weil die Migranten sich auf die falschen Versprechen der Schlepper verlassen haben, sind sie nicht weniger rettungswürdig.
Der eigentliche Grund dafür, dass die europäischen Staaten nicht handeln, ist ohnehin weniger das moralische denn das politische Dilemma: Vielen Regierungen sitzen die Wähler im Nacken, die weitere Zuwanderung ablehnen, die sich vor einem vermeintlichen Ansturm fürchten. Aus dieser Perspektive lässt sich das Sterben im relativ weit entfernten Mittelmeer besser ertragen als der Wahlerfolg der Rechten im eigenen Parlament. Jedenfalls bis zum nächsten großen Flüchtlings-Drama. Um trotzdem mit halbwegs weißer Weste dazustehen, wird Italiens radikale Hafenschließungspolitik angeprangert, oder den unwilligen Osteuropäern die Schuld in die Schuhe geschoben, oder zumindest darauf verwiesen, dass endlich eine gesamteuropäische Lösung her müsse.
Eine nachhaltige Politik sähe anders aus. Denn der Umgang mit Migration ist zwar gewiss alles andere als einfach, aber es gibt pragmatische Ansätze, die man verfolgen könnte. Der Flüchtlingsforscher Gerald Knaus, der den EU-Türkei-Deal mit ausgehandelt hat, rät den Europäern, sich endlich zu kleineren Bündnissen zusammenzufinden. Die Suche nach einer offensichtlich unerreichbaren gesamteuropäischen Lösung mit einem neuen Verteilmodus, wie sie von der Bundesregierung weiter forciert wird, steht einer effektiven Lösung letztlich nur im Weg. Stattdessen bräuchte es eine Koalition der Willigen – mit Spanien, Frankreich, den Skandinaviern und auch der Schweiz. Oder wollen wir uns tatsächlich von Orban und Salvini diktieren lassen, wie wir handeln?
Pragmatismus statt Träume
Knaus denkt an Rücknahmeabkommen mit einigen afrikanischen Staaten, an ein Aufnahmelager auf Malta, an Garantien, die auch Deutschland geben müsste, dass die aufnehmenden Länder am Mittelmeer die Migranten auch wieder loswerden. Der Plan, ein Asylprüfungszentrum nach Nordafrika zu verlagern, der immer mal wieder verfolgt wird, ist ohnehin zum Scheitern verurteilt. Die Maghreb-Staaten haben überhaupt keine Lust, die Probleme der Europäer zu lösen. Und das Beispiel Libyen zeigt, dass man das unter Umständen auch gar nicht will.
Einigen Seenotrettern wird das vermutlich nicht gefallen. Mit „Kein Mensch ist illegal“ und dem Traum von weltweiter Bewegungsfreiheit geht das nicht zusammen. Aber Europa braucht gangbare Lösungen, die gleichzeitig den Anspruch auf Menschlichkeit bewahren.