Lange Zeit war hier Donald Trump selbst das Thema. Inzwischen bieten uns unsere Tageszeitungen aber tiefschürfende Analysen über die Amerikaner, die sich hinter den Demagogen stellen und ihn am 8. November zum nächsten Präsidenten der Vereinigenten Staaten wählen wollen. Wir haben freilich ein Problem mit dieser zusätzlichen Information. Je konkreter, differenzierter unser Bild von diesem Massenanhang ist, desto weniger können wir unsere Verachtung für den Führer auf seine Gefolgschaft übertragen. Wir wollen niemanden entschuldigen – nur weil er etwa ein arbeitsloser, perspektivloser Stahlarbeiter oder dessen Sohn ist. Weil er sich nachvollziehbar ausgegrenzt und gedemütigt fühlt. Man verweist uns auf die spezielle Kultur der weißen Unterschicht in den heute desindustrialisierten, ökonomisch abgekoppelten Zonen der USA: Waffenkult, kompensatorischer Nationalismus, Rassismus, Homophobie. Aber auch für seine Ressentiments ist jeder selber verantwortlich. Trotz alledem wissen wir, dass wir nicht Millionen von Leuten verachten können. Im Blick auf Amerika sind wir fassungslose Demokraten, keine Politpharisäer. Kurz: wir kommen mit dieser massenhaften Zustimmung zu einer Figur wie Trump an die Grenze unseres Urteilsvermögens.

Analogien bei uns? Sie hinken alle. Ein Vergleich mit unserem hausgemachten Rechtspopulismus hilft nicht unbedingt weiter. Auch hier sind es Millionen – aber nicht aus einer abgehängten Unterklasse. Phänomene wie Pegida und die vorerst noch anschwellende AfD rekrutieren sich aus den Mittelschichten. Überhaupt: wo gäbe es in Deutschland eine Not, eine Unterversorgung, einen sozialen Zerfall, eine Verlassenheit von der Dimension und Brutalität, wie sie sich in Amerika breitgemacht haben? Wo wäre in Deutschland eine politische Elite von vergleichbar intransigenter unkorrigierbarer Machtarroganz und Gleichgültigkeit den Lebensinteressen großer Massen gegenüber? Entsprechend wirkt der Hass auf den Staat, auf das „System“ bei uns auch immer einigermaßen gekünstelt, vorgeschoben, herbeigeredet. Ganz anders als in den USA, wo niemand an seiner Echtheit und Rückhaltlosigkeit zweifeln kann.

Blick in den Abgrund

So etwas Ähnliches wie ein Wirtschaftsprogramm bietet dieser Kandidat den Empörten nicht an. Eine Mauer gegen die Einwanderung aus Mexiko – von Mexiko bezahlt? Wiedergeburt der ruinierten historischen Schwerindustrie, Erneuerung der Kohleproduktion, Kommandowirtschaft, rabiater Protektionismus unter den Bedingungen der Globalisierung? Steuersenkung für die Reichen im Interesse der Schwächsten? Hier tut sich der eigentliche Abgrund auf. Trump bietet eine Sprache, mehr nicht. Eine Rhetorik der Tabubrüche am laufenden Meter – ohne Perspektive auf Machbarkeit. Und seine Anhänger wissen es, wie es die besten Reportagen und Kommentare aus Amerika nahe legen. Sie wollen es dennoch. Es befriedigt sie dennoch.

Der Gedanke an Dummheit, Ignoranz, Blindheit verbietet sich deshalb. Er würde die Gebrochenheit, die desparate Doppelbödigkeit dieser Haltung unterschlagen. Er würde die Gefährdung der amerikanischen Demokratie nur verharmlosen.

Der Verfasser lebt und arbeitet als Historiker in Konstanz
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