In den Himmel hinein gibt es noch keinen Fahrstuhl. So müssen sich die Besucher des Klosters Andechs die letzten hundert Meter den Hang hochquälen. Immerhin, vom riesigen Parkplatz aus winkt bereits die mächtige Wand der Gastronomie und der Brauerei, dahinter steht der lachsfarbene Kirchturm, der den inneren Bezirk markiert – das Kloster.
Durch diese glänzenden Aussichten motiviert schleppen sich Wallfahrer und Besucherinnen den Andechser Berg hoch, über den man später in der barocken Kirche lesen kann. Denn als „Mons Sanctus“, als Heiliger Berg, gilt Andechs bis heute, auch wenn im katholischen Oberbayern die Kirche nicht allweil gefüllt sind.
Leib und Seele sind hier gute Freunde. Man könnte auch sagen: An dem mittlerweile bombastischen Speisetrakt kommen allenfalls strenge Büßer oder Hardcore-Veganer vorbei. Der außerbayrische Besucher, der hier auf eine stille Cafeteria mit Möhrenkuchen hofft, sieht sich getäuscht. Insgesamt 2000 Sitzplätze entfalten sich in diversen Höhen und tieferen Lagen. Unter Schirmen oder Kastanien sitzen die Leute, in dunklen Sälen, dekorierten Nischen, bestuhlten Gängen.
Darunter auch genug Trachtenträgerinnen und Herren in der Krachledernen. Sie verzehren jene Speisen, die als typisch bayrisch gelten: Schweinshaxen mit einer Knusperschicht, fein gesäbelter Rettich, Knödel und riesige Brezn (also Brezeln). Soulfood mit hohem Nährwert. Stolz tragen bereits Teenager ihre Bierkrüge an die Plätze. Wer nur eine Halbe bestellt, wird bereits schräg angesehen. Am Nebentisch ist eine Riege von Besuchern bereits in gefährlicher Schräglage.
Die Wahlkämpfer kommen nicht auf den Berg
„An guten Tagen belegen wir jeden Platz fünf Mal“, berichtet Anton Heilander stolz. Er hat stets ein wachsames Auge auf den unermüdlichen Riesenbetrieb zwischen Haxn-Ausgabe und Bierausgabe. Bis zu 10.000 Gäste mühen sich bei gutem Wetter den Andechser Berg hoch und genießen nicht nur den Blick über eiszeitlich geformten Schwung der Voralpen, sondern die krustierte Haxe.
Im Hintergrund patrouillieren schwarz gewandete Männer. Herr Heilander will sich nicht auslassen, was die Security genau tut. Doch so viel steht fest: Krawall wird nicht geduldet. Nicht einmal singen soll man, darauf weist ein Schild über dem Tisch mit den wankenden Besuchern hin. Diese singen nicht, sind aber schon schwer in Fahrt.

Man kann denken: So ein erhaben geselliger Ort eignet sich für eine politische Veranstaltung. In Bayern wird Politik gerne in Festzelten simuliert. In Andechs, dem heiligen Berg, ist das nicht der Fall. „Wir halten Äquidistanz zur Politik“, sagt etwa Martin Glaab, der Pressesprecher des Klosters. Das ist vornehm ausgedrückt und meint in etwa, dass man sich hier oben, zwischen Himmel und Haxe, die Politik vom Leib hält.
Natürlich gebe es immer wieder Vorstöße von Seiten der Parteien, die gute Stimmung für Eigenwerbung zu nutzen. Das gelte auch für die Partei, die das Land seit der Erschaffung der Bundesrepublik regiert und ein großes „C“ im Namen führt. Doch das wolle man nicht, deutet Glaab an. Während im Dorf unten genug Wahlplakate zu sehen sind, ist der Berg eine politikfreie Zone. Mit Betreten des Parkplatzes schwebt der Andechs-Freund drei Zentimeter über dem Erdboden.
Das Reich der Leibesfreuden
In diesem verzweigten Imperium der Gastlichkeit geht es recht irdisch zu. Elfriede Hötzl kennt Andechs gut. „Meine Eltern haben hier im 36er Jahr geheiratet“, sagt die rüstige Seniorin. Heute besucht sie erst das Wirtshaus, dann das Gotteshaus. Beides gehört für sie zusammen, eines nach dem anderen. Unterzuckert oder durstig würde sie die golden glänzende Barockkirche nicht betreten, sagt die 85-Jährige im Gespräch.
Nach dem Zahlen wird sie mit ihrem Mann Xaver die letzten Meter zum Heiligtum hochziehen. „Die Kirche ist wunderbar“, schwärmt sie. Dort wird sie Fürbitten einlegen. Für ihren Mann, die Kinder, die Gesundheit. Und was meint sie zum Aiwanger? „So a Schmarrn“, knurrt sie. Thema beendet. Inzwischen hat Ehemann Xaver bezahlt und den Familienhund eingesammelt. Gemeinsam ziehen sie davon und den Hang hoch.
Es ist leicht, hier ins Gespräch zu kommen. „Man kann hier kaum alleine sitzen“, sagt Martin Glaab. Die Tische sind so groß, dass die Menschen zwangsläufig näherrücken. Für Sprechfaule und Kommunikationsmuffel ist Andechs nicht geeignet. Man kommt schnell ins Erzählen, wenn das Bier schmeckt und der Knödel in der Soße schwimmt. Dann wird schnell deutlich: Die meisten haben ein Anliegen, das sich nicht durch Essen und Trinken regeln lässt.
Der Pater weiß Bescheid
Dafür ist dann der Pater Korbinian zuständig, ein Prachtexemplar von Oberbayer. Der 1,90 Meter messende Benediktiner empfängt den Besucher im Sprechzimmer des Klosters. Hier geht es deutlich ruhiger zu als an den Futterkrippen des Bräustüberl. Der 51-Jährige ist für den spirituellen Teil im Gesamtkunstwerk Andechs zuständig. Und dazu gibt es einiges zu sagen, sagt er. Er holt mit seiner Löwenpranke aus, die geschwind aus dem breiten Ärmel der schwarzen Kutte fährt.
„130 Pilgergruppen kommen jährlich nach Andechs“, berichtet er. Damit liegt der Ort knapp hinter Altötting als der größten Wallfahrt im weiß-blauen Land. Allerdings geht es in Altötting nicht so heiter zu wie in Andechs. Die Saison hier beginnt mit Christi Himmelfahrt, dann werden an Spitzentagen bis zu zehn Messen gefeiert. „Das geht von fünf Uhr in der Früh‘ bis 19 Uhr“, seufzt der Mönch. Auch das Heiraten auf dem heiligen Berg ist begehrt. Pater Korbinian dämpft und ergänzt: „Wir müssen schauen, dass es net z‘vui wird“. Es sei praktisch, wenn Paare ihren eigenen Seelsorger mitbringen. Korbinian und seine beiden Kollegen könnten den Ansturm gar nicht meistern.
Immer mehr Jakobspilger
Die Wallfahrt sei relativ stabil, sagt der Pater. Doch verglichen mit dem Ansturm auf den Bierausschank geht es in der Kirche bedächtig zu. 400 Plätze bietet die Klosterkirche, an Festtagen sind sie gut besetzt. Während sich das klassische Pilgern bei 30.000 Christen im Jahr eingependelt hat, registriert der Benediktiner eine andere Gruppe, die wächst: die Jakobspilger. Sie wandern einzeln oder in Kleingruppen von München her. Andechs bildet eine Station und stellt das Quartier für die zweite Nacht nach München.
Anfangs waren die Brüder überrascht. „So viele konnten wir gar nicht aufnehmen“, sagt der Pater. Die Wanderer auf dem Jakobspfad wollen und können nicht in Gasthöfen absteigen, sie benötigen ein preiswertes Quartier. Die Benediktiner sollen keine Gäste abweisen, das schreibt ihnen die berühmte Regel vor, die noch Gründer Benedikt aufsetzte. „In jedem Gast nehmen wir Christus auf“, heißt es dort im 53. Kapitel. Das ist eindeutig.
Und die Politik? Korbinian fährt sich durch das volle weiße Haar und winkt ab. Was er nicht alles zu tun hat: Gottesdienste feiern, Menschen unterbringen, einen Blick auf das Bräustüberl haben. Stattdessen sagt er: „Bei Föhn sieht man die Zugspitze.“

Zwei Mal die Woche ohne Fleisch
Es gibt so etwas wie ein Andechser Gefühl. „Andechs ist Bayern in höchster Konzentration“, so umschreibt es der Pressemann Glaab. Diesen Satz sagt er nicht zum ersten Mal, doch er sitzt. Die Trias aus Kirche, Kloster und Brauerei passt in diese Landschaft wie er Deckel auf den Topf. Seit bald neun Jahrhunderten werden auf dem heiligen Berg der Oberbayern seltene Reliquien gehütet, verehrt, beräuchert. Dabei ist der Berg, gemessen an anderen Erhebungen Bayern, ein besserer Hügel – eine Gletschermoräne.
Die Sprechzeit mit Pater Korbinian ist vorbei, wir gehen noch in den Kreuzgang für ein Foto. Auch hier waltet Stille und die erstaunliche Feststellung, wie klein das Kernkloster im Vergleich zur Gastro-Landschaft einige Meter weiter unten ist.
Und doch hängt alles mit allem zusammen. Im Bannkreis des Bräustüberl werden jeden Tag frische Schweinsfüße präpariert. „In unserer Klosterküche gibt es nicht so oft Haxen“, meint Korbinian und zupft an der Kutte. „Zwei Mal in der Woche legen wir fleischlose Tage ein“, sagt er sieht nicht aus, als ob er deshalb unglücklich wäre.