Der Nutri-Score, der auf Verpackungen von Lebensmitteln zu finden ist, soll Verbrauchern dabei helfen, ungesundes Essen schnell zu erkennen. Die Verbraucherzentrale Hamburg spricht in Bezug auf die Lebensmittelampel allerdings eine Warnung aus. „Der Nutri-Score kommt als vereinfachtes Modell bei manchen Lebensmitteln und Getränken an seine Grenzen“, sagt Armin Valet, Lebensmittelexperte von der Verbraucherzentrale Hamburg. Und er bietet den Herstellern Möglichkeiten, ihre Bewertung durch Tricks besser aussehen zu lassen, als sie tatsächlich sind. Das sollten Verbraucher wissen:
Was ist der Nutri-Score überhaupt?
Mit Farben und Buchstaben soll der Nutri-Score auf Lebensmittelverpackungen auf einen Blick anzeigen, wie gesund oder ungesund das Essen ist. Dabei ist A (grün) eher gesund, E (rot) eher ungesund. Diese vereinfachte Kennzeichnung ist schneller zu lesen als die kleingedruckten Inhaltsstoffe. Seit 2020 können Hersteller die Ampel freiwillig auf ihre Verpackungen drucken.
Wie werden die Lebensmittel eingestuft?
Das machen die Hersteller selbst. Sie verrechnen dazu günstige und ungünstige Nährstoffe. Negativ zu Buche schlagen der Stiftung Warentest zufolge ein hoher Energiegehalt, Zucker, gesättigte Fettsäuren und der Salzbestandteil Natrium. Für diese Nährstoffgruppen gibt es jeweils eine bestimmte Punktzahl von 0 (optimal) bis 40 schlecht. Für vorteilhafte Ballaststoffe, Eiweiß, Obst, Gemüse und Nüsse werden umgekehrt wieder Punkte abgezogen – von 0 (nichts vorhanden) bis 15 (viel der vorteilhaften Nährstoffe). Je geringer am Ende die Gesamtpunktzahl ist, umso besser die Einstufung, so die Warentester.
Um Produkte miteinander vergleichbar zu machen, wird der Nutri-Score für eine bestimmte Menge, beispielsweise 100 Gramm des Lebensmittels, berechnet. Wie genau diese Berechnung zustande kommt, können Verbraucher nicht auf der Verpackung nachvollziehen, man kann sich aber im Internet über die Berechnungsgrundlagen informieren.
Wie aussagekräftig sind die Bewertungen des Nutri-Score?
Das kommt darauf an, wie man ihn anwendet. „Er ist dazu gedacht, Lebensmittel innerhalb einer Produktgruppe zu vergleichen und nicht über verschiedene Produktgruppen. Das aber wissen viele Verbraucher nicht“, sagt Christine Lambert, Ernährungswissenschaftlerin an der Uni Hohenheim. Es geht also nicht darum, ob Joghurt nun besser abschneidet als Müsli oder Toast zum Frühstück. Sondern darum, welche Cornflakes im Regal die vorteilhafteste Zusammensetzung haben. Mehr allerdings auch nicht.
Wer die Cornflakes mit dem geringsten Zuckergehalt kaufen will oder mit den meisten Ballaststoffen, muss wieder einen Blick auf die Nährwertangaben werfen. „Der Nutri-Score wurde bewusst einfach gestaltet, um den Verbrauchern auf einen Blick eine Information bieten zu können. Wie alle einfachen Systeme hat er seine Lücken und Schwächen. Und die nutzt natürlich auch die Lebensmittelindustrie aus“, sagt Christine Lambert.
Wie tricksen die Lebensmittelhersteller beim Nutri-Score?
Ein beliebter Trick ist Christine Lambert zufolge, Zucker zu reduzieren und dafür Süßstoffe zu verwenden. Denn die fließen nicht in den Nutri-Score ein. Ein weiterer Trick: Getränke werden beim Nutri-Score strenger bewertet als andere Lebensmittel. Ausnahme: In einem Getränk sind mehr als 80 Prozent Milch enthalten, dann wird das Produkt im Hinblick auf Zucker oder Energie wie ein Lebensmittel behandelt. „So schafft dann ein sehr süßer Fertig-Kaffee-Latte ein B bei der Bewertung, statt einem D“, sagt Christine Lambert.
Eine weitere Möglichkeit: die vorteilhaften Nährstoffe erhöhen, damit die weniger vorteilhaften nicht so ins Gewicht fallen. „So kann man einem Müsli beispielsweise mehr Ballaststoffe zufügen, dann schneidet es besser ab, obwohl es gleich viel Zucker enthält wie zuvor“, sagt Armin Valet, Lebensmitteexperte von der Verbraucherzentrale Hamburg.
Der simpelste Trick: Einfach nur einen besseren Nutri-Score angeben, als bei der Berechnung tatsächlich herausgekommen wäre. „Nur in drei Bundesländern wird überhaupt geprüft, ob das Nutri-Score-Ergebnis richtig dargestellt ist“, sagt Christine Lambert. Es gebe aber durchaus Studien, die belegen, dass der Nutri-Score ein Anreiz für die Lebensmittelhersteller ist, ihre Rezepturen so anzupassen, dass nicht nur der Nutri-Score besser wird, sondern dass das Produkt danach auch gesünder ist.
Warum haben viele Lebensmittel haben überhaupt keinen Nutri-Score?
Die Kennzeichnung ist für die Hersteller freiwillig. Von den fast 1500 Produkten, welche die Verbraucherzentralen im Frühjahr 2022 für einen großen Nutri-Score-Test gekauft haben, waren nur rund 40 Prozent mit der Ampel bedruckt. „Gerade die Hersteller von Zuckerbomben und fettigen Snacks drucken die Nährwertampel nicht auf ihre Produkte“, sagt Sarah Häuser von der Verbraucherschutz-Organisation Foodwatch. Allerding gilt: Ein Hersteller muss den Nutri-Score entweder auf alle seine Produkte drucken oder auf gar keins.
Warum schneiden wertvolle Lebensmittel wie Rapsöl oder Vollkornbrot schlecht ab, Tiefkühlpizzen dagegen prima?
Der Nutri-Score berücksichtigt nicht die unterschiedlichen Fettsäurespektren oder ob Produkte wie Vollkornbrot von Natur aus ballaststoffreich sind – das aber ist hier entscheidend für die gesunde Ernährung. Bei einer Tiefkühlpizza findet der hohe Salzgehalt derzeit noch nicht ausreichend Berücksichtigung. „Man muss hier aber sehen, dass kaum jemand 100 Gramm einer Pizza isst, für die der Nutri-Score berechnet wird, sondern eine ganze Pizza mit 400 Gramm“, sagt Armin Valet.
Auch die Obergrenze beim Zucker halten die Ernährungsexperten für zu niedrig angesetzt. „Oft ist die Zuckermenge zwei oder dreimal so hoch wie die Menge, für die es die schlechteste Bewertung gibt“, sagt Christine Lambert. Kürzlich wurden jedoch Anpassungen für den Nutri-Score beschlossen, die diese Schwachpunkte auffangen sollen: Eine strengere Bewertung von Lebensmitteln mit hohem Zucker- und Salzgehalt, eine bessere Bewertung beziehungsweise Unterscheidung für pflanzliche Öle und Vollkornprodukte sowie Nüsse.