Man kann es nicht besser auf den Punkt bringen als dieser Zeitungsleser in einem Brief an die Redaktion: „Warum sind die Zeiten so hart? Die Industriellen und Geschäftsleute sagen, es liegt daran, dass keiner mehr arbeiten will – außer er bekommt so viel Lohn, dass er die Hälfte der Zeit arbeiten und die andere Hälfte bummeln kann.“

Das sitzt. Die Bummel-Jugend. Okay, man muss einräumen, der Mann beschreibt nicht die Zustände hierzulande, sondern im Original englischsprachig die im US-Bundesstaat Kansas. Ach, und eine klitzekleine Kleinigkeit ist da auch noch: Ganz frisch ist der Kommentar nicht. Also gar nicht. Er erschien in der Zeitung „The Mulberry News“ vor mehr als 100 Jahren, im Mai 1922. Hoppla.

Es ist eine ewige Unwahrheit der Geschichte, dass bald gar niemand mehr arbeiten will. Das zeigt das Einstiegsbeispiel, gefunden hat es Politikwissenschaftler Paul Fairie. Er hat auf Twitter Beispiele für genau diese wiederkehrenden „Keiner will mehr arbeiten“-Aussagen in Zeitungen gesammelt – beginnend sogar ab 1894. Die Vollverbummelung unseres Lebens ist seither nicht eingetreten.

Jetzt sagt der Stammtisch: „Aber so schlimm wie heute war es nie, die Jungen schwänzen doch nur noch Schule und kleben sich auf die Straße!“ Damit muss man sich nicht weiter beschäftigen, hier wird eine winzige Minderheit als Regelfall dargestellt, schlichtweg Unfug.

Was zu beachten ist

Es gibt aber auch einen tatsächlich beachtenswerten Befund: Dass junge Menschen Vier-Tage-Woche, Homeoffice, gute Löhne selbstbewusst einfordern und sie sich ihres Wertes auf dem Arbeitsmarkt so bewusst sind wie selten zuvor – weil es an Arbeitskraft fehlt wie selten zuvor.

Da kann man nur sagen: Gott sei Dank! Wir arbeiten derzeit immer noch mit dem Regelfall der 40-Stunden-Woche. Das ist eine Idee der 1950er, 70 Jahre her! Seither haben Industrieroboter, Computer, das Internet für groteske Effizienzgewinne gesorgt.

Und die Arbeiterin, der Schaffer: Buckeln jede Woche genau so viel wie zuvor. Reich wurden die Besitzer der Maschinen, nicht deren Kollegen. Sie wurden im Zweifel nicht entlastet, sondern entlassen. Der Druck in der globalisierten Arbeitswelt wuchs derweil beständig und mit ihm die Krankheiten der Seele.

Wer erst gar nicht in dieses Hamsterrad steigen will, ist nicht faul, sondern schlau. Zwei Schlagworte dazu, natürlich englisch: Work-Life-Balance und Quiet Quitting. Beides sind Lügen. Das Arbeit-Leben-Gleichgewicht gaukelt vor, beide Aspekte seien zwei sorgsam gegeneinander aufzuwiegende Lebensinhalte wie Süße und Säure bei einem guten Weißwein.

Doch wenige Menschen liegen auf dem Sterbebett und denken „Mensch, so viel Schönes erlebt, hätte ich doch nur mehr gearbeitet!“ Anders gesagt: Was nützt mir ein abbezahltes Eigenheim, wenn ich verbittert drin sitze?

Deswegen also der Schritt zum sogenannten Quiet Quitting, dem stillen Kündigen. Wobei das eine wörtlich zwar richtige, inhaltlich aber falsche Übersetzung ist, eigentlich geht es darum, dass einige (Verallgemeinerungen helfen da auch nicht) junge Menschen auf der Arbeit Dienst nach Vorschrift machen.

Das ist auch deswegen die korrekte Übersetzung, weil hier der Irrsinn der deutschen Arbeitsmoral deutlich wird: Dass „Dienst nach Vorschrift“ eine negativ besetzte Phrase ist, „vertragsgemäße Bezahlung“ aber eine positive. Dabei meint beides dasselbe, nur aus anderer Richtung betrachtet. Wer nur so viel leistet wie zuvor vereinbart, macht nichts falsch.

Weltoffen wie selten zuvor

Jaja, ich habe die empörten Stimmen schon im Kopf: „Das ist doch der Abschied vom Fleiß! Soll es in Deutschland plötzlich reichen, wenn was gerade so gut genug ist? Die Jugend, so überbehütet aufgewachsen, die schludert doch eh alles nur noch so hin.“ Entschuldigung, auch schon wieder falsch. Der Sozialpsychologe Thomas Curran hat in den USA, in Kanada und Großbritannien untersucht, ob die heutige Jugend noch so perfektionistisch ist wie die Generationen zuvor.

Sein Ergebnis versenkt eisberggleich die Klischee-Titanic: Freilich ist sie das. Junge Leute werden sogar immer perfektionistischer. Aber – jenseits von Currans Forschung – eben weil sie sich in einem emotional stabilen, liebevollen Umfeld entwickeln konnte, neigt sie auch zur Innenschau. Das mag man weich nennen. Was ist schlimm daran?

Nichts. Alle, die diese Jugend geformt haben, können stolz auf sie sein. Das gilt für die Eltern, aber vielleicht sogar noch mehr für die Großeltern. Selbst aufgewachsen in den Schrecken der Kriegs- und Nachkriegszeit waren sie es doch, die vielen heute Bis-30-Jährigen die behütete Kindheit ermöglicht hatten, die ihnen selbst verwehrt blieb. Ohne Statistiken zu kennen, nur aus Erfahrung heraus: Die weiche Jugend ist dafür in größtem Maße dankbar.

Es gibt aber auch größere Faktoren, die diese Jugend aufs Beste geprägt haben. Sie ist weltoffen wie selten zuvor. Vier von fünf Jugendlichen schätzen laut Shell-Jugendstudie die Europäische Union für ihre Vielfalt. Das ist kein Wunder: Man muss heute schon fast 40 Jahre sein, um die Berliner Mauer noch bewusst miterlebt zu haben. Und fast 30 sein, um sich an ein Europa ohne Euro zu erinnern. Und Englisch lernt ohnehin jeder, ist ja auch die Sprache des Internets. Es ist eine Generation gebürtiger Europäer, hoffentlich dauerhaft immun gegen das tödlichste aller Viren: den Nationalismus.

Es ist aber auch die Jugend der einfachen Lösung. Andere sind mit so kuriosen Geräten wie dem Fax oder gleich ganz ohne modernere Technik aufgewachsen, es mag verständlich sein, dass sich hier der Gedanke eingebrannt hat, dass es für manche Dinge einfach keine leichte Lösung gibt.

Wobei damit immer noch nicht hinreichend erklärt ist, warum sich Teile Deutschlands in eine apathische Tatenlosigkeit verwalten, nach dem Motto: „Moooment! Wenn dir ein Problem lösbar erscheint, hast du es nur nicht lange genug betrachtet.“

Im Internet ist alles einfach

Sei es drum, im Internet jedenfalls ist alles einfach. Film und Flugzeugreise, Songs und Schrankwand, Pizza und Pornos, ich kann mir alles sichern, indem ich nur ein paarmal herumklicke. Das prägt, da sind überkomplizierte Abläufe kaum auszuhalten. Es profitieren davon alle. Wer war es denn beispielsweise, der die beschämend schlecht geregelte Impfterminfindung vereinfachte? Ein 17-Jähriger aus Stuttgart, der selbst schnell eine besser funktionierende Anwendung programmierte. Dieser Antrieb, Dinge zu vereinfachen, kann viel bewegen – so man die jungen Leute nur mal machen lässt.

Es ließe sich noch viel Gutes über diese junge Generation sagen. Etwa die Rolle der Frau: Wer halbwegs intelligent ist, sieht ein, dass das Zeitalter des Mannes beendet ist. Diese jahrtausendelange Ära hat schon ein paar ganz gute Sachen hervorgebracht, aber halt auch unheimlich viel Mist. Sieht man ja in Männer-Diktaturen wie dem Iran oder Afghanistan. Bei uns ist man weiter, nie zuvor haben zum Beispiel so viele Frauen in Baden-Württemberg studiert wie heute – und es werden jedes Jahr mehr.

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Diese junge Generation, sie ist eine herrliche. Aber Arbeitgeber müssen sie fürchten? Ja – die schlechten schon. Verknöcherte Mittelständler mit selbstgefälligen Männer-Seilschaften in Führungspositionen garantiert. Dagegen können sich Betriebe mit wertschätzender Firmenkultur und ansprechenden Arbeitszeiten noch größere Talente sichern, als das bisher schon der Fall war.

Die Generation des Wandels legt gerade erst los. Freuen wir uns darauf.