Wer Peter Traber sprechen will, muss die Gummistiefel anziehen. Abends um halb acht steht Traber, Landwirt in dritter Generation, in seinem Kuhstall. Mit der Mistgabel schiebt er Stroh und Kraftfutter in eine Rinne, in die 75 Milchkühe gierig ihre Köpfe recken. Obwohl die Neonröhren an der Decke die ganze Szenerie in blasses Pastell tunken, leuchten Trabers Wangen satt rot. „Das macht die Bewegung und die Kälte“, sagt er. „Außerdem, macht mir die Arbeit hier Spaß.“

Arbeit? Eigentlich ist das Thema für Landwirt Traber seit mindestens sechs Jahren abgehakt. Mit 71 Jahren ist er weit über jener magischen Altersgrenze, die trotz diverser gesetzlicher Korrekturen in den vergangenen Jahrzehnten landläufig immer noch den Eintritt des arbeitenden Bürgers in den Ruhestand markiert. Tatsächlich aber liegt das durchschnittliche Renteneintrittsalter der Deutschen deutlich darunter. Mit gut 62 Jahren zieht sich der Deutsche – statistisch gesehen – aufs Altenteil zurück. „Für mich wäre das nichts“, sagt Traber, der seinen Mühlinger Acker- und Vieh-Betrieb offiziell vor einigen Jahren an seinen Sohn weitergegeben hat. „Ich helfe auf dem Hof mit, solange ich kann.“
Bei vielen Freiberuflern – zu denen auch die Landwirte zählen – ist das so. Sie arbeiten im Alter deutlich länger als gewöhnliche Angestellte. Und nicht immer geschieht das, wie im Fall von Peter Traber, freiwillig. Insbesondere Bauern gelten als eine jener Berufsgruppen, deren Altersvorsorge oft so dürftig ausfällt, dass Mist schaufeln, Heu einfahren und Aussähen bis ins hohe Alter unverzichtbar sind, um irgendwie über die Runden zu kommen.
Legt man die nackten Zahlen zugrunde, stimmt dieses Bild auf den ersten Blick auch. Mit 430 Euro netto im Monat erhält ein deutscher Durchschnittslandwirt nur wenig mehr Altersrente als die staatliche Grundsicherung und nur rund die Hälfte dessen, was ein Arbeitnehmer, der sich sein Leben lang als Angestellter verdingte, von der staatlichen Rentenkasse ausbezahlt bekommt. Bäuerinnen kommen gar auf nur 282 Euro im Monat – ein Umstand, der auf die durchschnittlich um gut zehn Jahre geringeren Versicherungszeiten im Vergleich zu Männern und oft mögliche Befreiung von der Beitragspflicht zur Altersvorsorge zurückzuführen ist. Unter den Freiberuflern halten Bauern in punkto Renteneinkünfte damit die viel beschworene „rote Laterne“ in der Hand. Und auch im Vergleich zur Altersabsicherung von Angestellten schneiden sie schlecht ab.
Bauer Traber passt da ins Bild. Mittlerweile hat er die Gummistiefel ausgezogen. Am Küchentisch sitzend beugt er sich über einen Ordner, auf dessen Rücken mit dickem Filzstift das Wort „Rente“ notiert ist. Mit den Fingern geht er die einzelnen Abteile durch. „Da haben wir’s“, sagt er und runzelt die Stirn. „537 Euro im Monat.“ Diesen Betrag erhält Traber von der Landwirtschaftlichen Alterskasse, die man in etwa als bäuerliches Pendant zur gesetzlichen Rentenversicherung bezeichnen könnte. Etwa 40 Jahre habe er dafür einzahlen müssen, sagt er. Zusammen mit seiner Frau verfügt er damit über monatlich knapp tausend Euro Rente. Viel ist das nicht.
Sind die deutschen Bauern, denen niedrige Agrarpreise seit Jahren das leben schwer machen, also auch im Alter die Gekniffenen? In Braunschweig sitzt Peter Mehl an seinem Schreibtisch und schüttelt den Kopf. Landwirte im Ruhestand „per se als arm“ zu bezeichen, gehe an der Realität vorbei, sagt er. Altersarmut sei, entgegen der landläufigen Meinung, nur für einige Bauern ein Thema. „Wenn man einen Hof mit 30 oder 40 Hektar Land besitzt, ist man kein armer Mensch“, sagt Mehl, der als stellvertretender Institutsleiter am Thünen-Institut für Ländliche Räume als einer der wenigen unabhängigen Experten für die bäuerliche Altersversorgung in Deutschland gelten kann.
Tatsächlich beruht das Diktum vom armen Bauern-Ruheständler auf einer unvollständigen Betrachtung der diversen Einnahmequellen, über die Landwirte verfügen. Die Zahlungen aus der Landwirtschaftlichen Alterskasse, bei der es sich übrigens um eine Pflichtversicherung handelt, sind nämlich nur eine Quelle, aus der sich das Alterseinkommen der Bauern speist. Bei fast allen Bauern kommen weitere Einkünfte hinzu. Dazu gehören in erster Linie Pachten, die die Landwirte für ihre Äcker erzielen, sowie das sogenannte Altenteil. Dieses erhält ein Bauer, wenn er seinen Hof an seine Nachfolger weitergibt. Diese Extra-Zahlungen können die Alterseinkommen der Bauern noch einmal deutlich nach oben treiben. Monatlich und bis zum Lebensende.

Die einzige umfassende Auswertung, die versucht, diese Einkünfte bei der Ermittlung der Alterseinkommen mit zu berüchsichtigen – der von TNS Infratest erstellte sogenannte Forschungsbericht Alterssicherung in Deutschland ASID – kommt so auf immerhin 926 Euro, die ein Bauer im Alter im Durchschnitt monatlich verbuchen kann. Damit liegt er zwar im Feld der Freiberufler immer noch ganz hinten. Experten wie Peter Mehl weisen aber darauf hin, dass selbst die Aussagekraft der ASID-Zahlen „etwas eingeschränkt“ ist. Der Grund: Die privatrechtlichen Abmachungen zur Altersvorsorge, die ausscheidende Bauern mit ihren Hofnachfolgern treffen, sind statistisch schwer zu greifen. Insbesondere, weil die Beteiligten nur ungern Auskunft über die genaue Höhe ihres Altenteils geben.
Über die Höhe seiner Alters-Tantiemen, die er von seinem Sohn Markus erhält, redet auch Bauer Traber nicht so gern. Allerdings gibt er auch unumwunden zu, dass es ihm und seiner Frau im Ruhestand „nicht schlecht“ ginge. Mit den Renten, die Angestellte in der Industrie am Ende ihres Arbeitslebens einstreichen, will sich Traber dennoch nicht vergleichen. „Das ist eine ganz andere Welt“, sagt er. Zumal, wenn üppige Betriebsrenten hinzu kämen.
Gänzlich von der Hand zu weisen, sind Berichte über Armut in der Bauernschaft denn auch nicht. Insbesondere Landwirte, die Zeit ihres Lebens nur Pachtflächen bewirtschafteten, hätten eine erhöhtes Armutsrisiko, sagt Experte Mehl vom Thünen-Institut. Insbesondere treffe das zu, wenn versäumt worden sei, während der aktiven Phase privat vorzusorgen. Allerdings sind reine Pachtbauern ohne eigenes Land in Deutschland eine Ausnahmeerscheinung. Die allermeisten Landwirte bewirtschaften ihre eigenen Äcker und verpachten nur Teile ihrer Flächen. Dass der deutsche Bauer so an seiner Scholle klebt, ist übrigens auch einer der Gründe für die Einkommenssituation im Alter. Während andere Arbeitnehmer Vermögensbestandteile wie Aktien oder Eigentumswohnungen zu Geld machten, um sich einen Ruhestand auf der Sonnenseite zu ermöglichen, schreckten fast alle Bauern davor zurück, Land in bare Münze umzuwandeln, argumentieren Experten. Lieber schränke man sich anderweitig ein. Viele wissen aber auch gar nicht, was sie mit dem Verkaufserlös machen sollten. Der Mühlinger Bauer Traber sagt, er habe eigentlich gar keine Zeit, etwas auszugeben. Im vergangenen Jahr habe er gerade einmal neun Tage Urlaub gemacht.
Ren · ten · an · trag
Wer denkt, die Rente fließt eines Tages automatisch aufs Konto, täuscht sich: Sie muss beantragt werden. Der Antrag sollte etwa drei Monate vor dem gewünschten Rentenbeginn gestellt werden. Wichtig ist es, alle Unterlagen beizufügen. Dazu gehören Nachweise über Ausbildungs sowie Arbeitslosigkeit, die Steueridentifikationsnummer, der Personalausweis und die Chipkarte der Krankenkasse.
Be · mes · sungs · gren · ze
Die Beitragsbemessungsgrenze legt fest, bis zu welcher Summe des Einkommens Beiträge für die Rentenversicherung abgeführt werden müssen. Diese Grenze wird jedes Jahr neu von der Bundesregierung festgelegt. Übersteigt das Bruttoeinkommen diese Grenze, wird dieser Teil nicht mehr für die Berechnung des Rentenbeitrags herangezogen. Derzeit beträgt die Bemessungsgrenze 6350 Euro im Monat (West) bzw. 5700 Euro im Monat (Ost).
Die Rente für Bauern in Schieflage
- Pflichtversicherung: Das System der bäuerlichen Altersvorsorge weist mehrere Alleinstellungsmerkmale auf. Obwohl Landwirte zu den Selbstständigen zählen, werden ihre Alterseinkünfte durch eine Pflichtversicherung gedeckt, das heißt: Jeder Bauer – mit Ausnahmen – muss einzahlen. Wie hoch die Beiträge sind, ist nicht wie in der gesetzlichen Rentenversicherung an die Einkommenshöhe gekoppelt.
- Einheitsbeitrag: Jeder Bauer zahlt anstatt einkommensabhängigen Beiträgen einen fixen Pflichtbeitrag. Dieser liegt im Moment für Landwirte bei 241 (West) bzw. 216 Euro (Ost) im Monat. Eine Folge des Einheitsbeitrags ist es, dass die Rentenhöhe ausschließlich von den Beitragsjahren abhängt. Ein Bauer in Westdeutschland, der nur ein Jahr lang Beiträge bezahlt hat, erhält so 14,05 Euro Rente im Monat. Hat er 40 Jahre lang einbezahlt ergeben sich 562 Euro monatliche Rente. Übrigens: Erst seit 1995 haben Frauen überhaupt die Möglichkeit eigene Rentenzahlungen zu erhalten.
- Instabilität: Die umlagebasierte Rentenversicherung für Landwirte ist schon seit Jahrzehnten im Ungleichgewicht – in noch viel stärkerem Maße als das allgemeine gesetzliche Rentensystem für Angestellte. Das heißt: Die jährlichen Einzahlungen der Bauern reichen bei Weitem nicht aus, die Rentenzahlungen an die bundesweit knapp 600 000 Bauernrentner zu decken. Die Differenz muss der Staat – und damit der Steuerzahler – begleichen. (wro)
7 Tipps, wie Bauern ihren Lebensstandard im Alter sichern können
- Wieso gelten Bauern als Berufsgruppe, die von Altersarmut gefährdet ist? Mit der großen Adenauer’schen Rentenreform von 1957 wurden auch die Alterseinkünfte für Bauern auf ganz neue Füße gestellt. Man entschied sich – ähnlich wie bei der gesetzlichen Altersvorsorge für Angestellte – ebenfalls für ein Umlagesystem. Das heißt: Die Beitragszahler von heute, bezahlen die Rentenzahlungen der aktuellen Rentnergeneration. Weil die Bauernlobby damals allerdings fürchtete, dass den Höfen durch zu hohe Beiträge zur Rentenversicherung zu viel Geld entzogen werden könnte, das dann bei Investitionen in neue Geräte und Scheunen fehlt, wurde die bäuerliche Altersvorsorge bewusst als Teilsicherung konzipiert („Taschengeld“).
- Was ist die Folge dieser Konstruktion? Die Folge sind niedrige Renten-Beiträge, aber auch niedrige Leistungen. Es war also von Anfang an klar, dass sich Landwirte nicht allein auf die Pflicht-Rente verlassen konnten, um ihr Leben im Alter zu sichern. Anders als gewöhnliche Arbeitnehmer verfügen sie ja auch über Vermögen, das sie im Ernstfall versilbern können – insbesondere Land.
- Was müssen Bauern tun, um im Alter gut da zu stehen? Für Anke Friedrich, Expertin für Agrarsozialpolitik beim Deutschen Bauernverband (DBV) ist die Sache klar: „Landwirte müssen privat vorsorgen, um im Alter gut leben zu können“, sagt sie. Beliebt seien nach wie vor Riester-Verträge, sagt Friedrich. Weil staatliche Zulagen eingestrichen werden können, seien diese attraktiv. Bauern, die formal als Selbstständige gelten, haben insofern einen deutlichen Vorteil gegenüber anderen Selbstständigengruppen, wie etwa Rechtsanwälten oder Ärzten, die keine Riesterförderung erhalten. Zudem bestehen andere Vorsorge-Spielarten, etwa der Abschluss einer Lebensversicherung. Auch sollten Landwirte in Erwägung ziehen, sich im Alter von Grund oder Immobilien zu trennen, um ihren Ruhestand zu finanzieren.
- Wann lohnt es sich vorzusorgen? Die Antwort ist klar: „Wer früh vorsorgt, hat die größte Sicherheit im Alter keine bösen Überraschungen zu erleben“, sagt DBV-Expertin Friedrich. Wer in der Ausbildung mit der privaten Vorsorge anfängt, muss zudem kleinere monatliche Beträge aufbringen, als im Alter. „In jungen Jahren tut Rentenvorsorge meist noch nicht weh“, sagt Friedrich.
- Gibt es spezielle Anbieter für die Bauern-Rentenversicherung? Es gibt Anbieter, die sich auf die Rentenversorgung der Landwirte spezialisiert haben, etwa die Anbieter der Raiffeisen-Gruppe oder den LVM Landwirtschaftlichen Versicherungsverein Münster (LVM).
- Wo kann man sich beraten lassen? Der Träger der landwirtschaftlichen Sozialversicherungen – die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) – verfügen über ein enges Netz an Beratungsstellen – auch in der Region, etwa in Tettnang oder Sigmaringen (www.svlfg.de).
- Was kostet die Vorsorge die Gesellschaft? Einen Großteil der bäuerlichen Altersvorsorge zahlt die Allgemeinheit. Der Grund: es gibt zu wenige Bauern die in die Sozialkassen einzahlen und zu viele, die Leistungen beziehen. Die jährlichen staatlichen Zuschüsse in die Sozialkassen der Bauern belaufen sich auf knapp 3,5 Milliarden Euro pro Jahr. (wro)

„Meine Rente“ im Internet: Wenn Sie mehr aus Ihrer Rente herausholen wollen, verschaffen Sie sich im Online-Dossier noch einmal einen Überblick über die komplette Serie mit wichtigen Informationen. Einen schnellen Überblick zu dem Thema gibt auch der SÜDKURIER-Ratgeber „Mehr für meine Rente“. Hier finden Sie das wichtigste zur Rente.