Herbert Hirt schreitet mit festem Schritt durch den großen Garten, dessen Grenze in die sanft-wellige Landschaft der Baar übergeht. Die sieben Hühner gackern voller Erwartung seinem Erscheinen entgegen. Der 71-Jährige, in kariertem Hemd und gewalkter Jankerweste, lockt sie mit Sonnenblumenkernen, eines lässt sich sogar streicheln. Die scheue Katze beäugt die Szenerie aus ihrem Versteck unterm Dachsparren des kleinen Holzhauses.

Betriebsrentner Herbert Hirt hat sich auf der Baar eine kleine Idylle geschaffen – trotz überschaubarer Altersbezüge. Der 71-Jährige aus ...
Betriebsrentner Herbert Hirt hat sich auf der Baar eine kleine Idylle geschaffen – trotz überschaubarer Altersbezüge. Der 71-Jährige aus Rottweil hadert nicht unbedingt mit seiner Lage, aber mit dem gesamten Altersversorgungs-System. Bilder: Sabine Tesche

Wenige Kilometer außerhalb von Rottweil, gesäumt von knorrigen Kiefern und Fichten, liegt Herbert Hirts kleines Paradies auf 20 Ar. „Es fehlt uns nichts“, sagt der Rentner über das Leben mit seiner Frau, die Kräuterwanderungen anbietet. Die kleine Wohnung in der Stadt, die Idylle in der Datschensiedlung. „Wir reisen kaum, konsumieren wenig.“ Es sei alles eine Frage der Ansprüche.

Herbert Hirt hat ein langes Berufsleben hinter sich, eine Erwerbsbiografie wie viele Kinder der Nachkriegszeit. Mit 15 ging der junge Bursche – die Eltern „arme Leut’“ aus Schwenningen, der Vater verdingt sich, obwohl Metzger, als Hilfsarbeiter – in eine nahe Maschinenfabrik. Die gibt es längst nicht mehr, hatte in der Spitze aber mehr als Tausend Beschäftigte.

Der Mechaniker wurde Meister, Ausbildungsleiter, Betriebsrat. Sein großer Metallbetrieb verfügte – wie viele Anfang der 60er-Jahre – über eine Versorgungseinrichtung: Gestaffelt nach Betriebszugehörigkeit sicherte die Firma eine Betriebsrente zu. Herbert Hirt sollte 200 Mark bekommen, wenn er einmal mit 65 aufhört. „Das war viel Geld damals“, erinnert er sich. „Für uns war klar: Wenn wir in Rente gehen, geht es uns gut!“ Man habe sich keine Sorgen machen müssen im Wirtschaftswunderland Bundesrepublik. Doch aus dem Versprechen wurde nichts.

Der Firma ging es immer schlechter. In den 80er-Jahren wurde die Rentenkasse geschlossen. „Da fangen die Unternehmen als Erstes an zu sparen“, zeigt Hirt Verständnis. „Das ist eine Riesenlast für einen solchen Betrieb: Eine Betriebsrente darf auch nicht zu einem Bumerang werden.“ Der Niedergang war vorprogrammiert: „Irgendwann waren wir bei 400 Leuten – der Klassiker.“ 1999 kam die Insolvenz, Hirt war seit zehn Jahren Betriebsratsvorsitzender, wickelte den Laden mit ab.

Die Betriebsrente wurde aus der Insolvenzmasse herausgenommen – und eingefroren. Der Kuchen, der verteilt werden konnte, war geschrumpft wie ein zu früh aus dem Ofen geholtes Soufflé. „Ratierliche Kürzungen“ heißt dies im Fachjargon. „Ich bin unfreiwillig vorzeitig ausgetreten“, scherzt Herbert Hirt. Seine Anwartschaft auf Betriebsrente hatte sich nach 38 Jahren in seinem Metallbetrieb mit einem Schlag halbiert: 57 statt der erhofften mehr als 100 Euro. Keine Anpassung an die Inflation, keine „Minimaldynamisierung“.

Bild 2: Sorge um Betriebsrente: Wenn der Arbeitgeber unter die Arme greift


Für dieses Ziel kämpfen Vereine wie Betriebsrentner e.V. bis heute. Vor den Arbeitsgerichten landen reihenweise Fälle, in denen um eine Anpassung an die Einkommensentwicklung und Preissteigerung gemäß Betriebsrentengesetz gestritten wird. „Häufig hören die Kläger dann von der Firma: Ich kann gerade nicht“, so Ulrich Hensinger vom Landesarbeitsgericht. Gekämpft wird aber auch darum, nach Insolvenzen oder Betriebsübergängen überhaupt was zu bekommen. „Das sind hochkomplexe Verfahren“, weiß Hensinger. Herbert Hirt klagte nicht. Er wusste, was auf ihn zukommt. De facto, rechnet der Industriemechaniker nüchtern vor, wurde es halt immer weniger. Zum Ausgleich der fehlenden Beträge aus der Gesetzlichen reicht der Betrag nicht. Und auch wenn Hirt in einer Auffanggesellschaft wieder Arbeit fand bis zum Ruhestand – mit der Betriebsrente war es das.

Viele größere Mittelständler auf der Baar kniffen bei der Frage nach Betriebsrentnern, mit denen man reden könne. Das Thema ist heikel. Wer Betriebsrente hört, denkt an Industriekolosse aus dem Automobilbereich oder dem ehemals öffentlich-rechtlichen Sektor, wo die Zusatzversorgung aus den Nachkriegsjahren, häufig als Direktzusage ohne Mitfinanzierung durch den Arbeitnehmer, tatsächlich am längsten überlebt hat. Wer will sich schon mit denen vergleichen lassen? Martina Holwegler von der gleichnamigen Metzgerei in Donaueschingen hat weniger Scheu. „Im Handwerk kann man nicht aus Töpfen schöpfen wie ein Industrieunternehmen: Wir machen eine Nikolausfeier, Aesculap in Tuttlingen einen Abend mit Helene Fischer.“ Auch bei der Betriebsrente könne man „nicht Äpfel mit Birnen vergleichen, eher schon Heidelbeeren mit Pomelos“.

 
Leib · ren · te

Die Leibrente ist eine Form der privaten Vorsorge, es handelt sich um eine regelmäßige Auszahlung. Ein Beispiel ist eine Kapitallebensversicherung, in die eine Summe eingezahlt und anschließend bis zum Lebensende eine feste Leibrente gezahlt wird. Das Konzept bietet eine gewisse Sicherheit, ist aber mit Kosten verbunden.


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Der Beitragssatz ist eine wichtige Größe im Streit um die Zukunft der Rente. Er liegt aktuell bei 18,7 Prozent des Bruttoverdienstes. Laut dem jüngsten Rentenversicherungsbericht soll er bis 2020 konstant bleiben. Die Wissenschaftler des Forschungsinstituts
IW weisen aber darauf hin: Wenn das Rentenniveau stabil bleibt, würde der Beitragssatz bis 2030 auf 23,5 Prozent steigen. Eine vierköpfige Familie würde dies zusätzlich mit etwa 980 Euro im Jahr 2030 belasten. Ein kinderloser Single müsste rund 480 Euro mehr in die Rentenkasse zahlen.

Die Filial-Metzgerei mit rund 90 Frauen und Männern Stammbelegschaft hat – entsprechend der aktuellen Gesetzgebung – neue Formen von „Betriebsrente“ im Angebot. „Wir bieten an: 50 oder 70 Euro im Monat, der Chef gibt was dazu“, so Martina Holwegler. Man habe ja auch ein Stück weit Verantwortung für die Mitarbeiter. Nicht alle aber nähmen das Angebot an, manchen sei der „schnelle Euro“ lieber. Möglich auch, dass sie auf kein Geld verzichten können. Das jedenfalls wäre die These von Herbert Hirt.

 

Seit mehr als 50 Jahren ist er Mitglied in der IG Metall, was seine Offenheit bei diesem Thema erklären mag. Wenn Hirt sich in Rage redet und seine kräftigen Hände hoch über dem Tisch durch die Luft wischen, geht es ihm weniger um sich als ums große Ganze. „Wir brauchen ein radikal anderes System“, sagt der 71-Jährige. Nicht nur die Betriebsrente hielt aus seiner Sicht nicht, was sie versprach – auch die gesetzliche.

„Ich ging davon aus, dass ich die Rente zum Nennwert kriege, dass sie auskömmlich ist“, erinnert sich der Facharbeiter an seine Erwartungen in der Familienphase. Das aber sei „sträflich geändert“ worden. Dass er nach einer Scheidung weniger bekomme, sei ein individueller Aspekt. Nicht aber dass das Rentenniveau immer mehr absinkt sowie 60 Prozent seiner gesetzlichen Rente besteuert und mit Sozialabgaben belegt würden. Für die Privatvorsorge gilt aus Hirts Sicht der alte Indianerspruch: „Wenn man merkt, dass man ein totes Pferd reitet, muss man absteigen!“

Der gebürtige Schwenninger ist überzeugt, dass die Zusatzrente, von der Politik fest in die Altersversorgung eingepreist, die Ungleichheit in der Gesellschaft verfestigt: „Der eine hat das Privileg, beim Daimler oder Porsche zu arbeiten, der andere muss Weggle verkaufen.“ Er gönne jedem Kollegen seine Betriebsrente, wird der Metaller philosophisch, aber wie sozial sei das eigentlich?

 

Hirt sorgt sich um die Jugend, die Tochter, seine zwei Enkel. „Der Staat sorgt für euch – so eine Botschaft höre ich nicht, im Gegenteil!“ Neidvoll blickt der kämpferische Rentner, aktiv im Seniorenausschuss seiner Gewerkschaft, nach Österreich, wo die staatliche Altersversorgung, weil alle einbezahlen, ausgesprochen auskömmlich ist. „Wir haben ein wunderschönes Leben“, bilanziert Herbert Hirt gleichwohl. Seine Zufriedenheit, fügt der Baaremer lächelnd hinzu, habe indes „nur bedingt mit dem Rentensystem zu tun“. Hirt ist trotz seiner Altersversorgung glücklich, nicht deswegen. Er nimmt es mit Humor: Für die 57 Euro Betriebsrente könne er einmal im Monat essen gehen mit seiner Frau. Das sei „nicht nix“.

 

Höher gebildete Männer im Vorteil

  • Betriebsrente: In großen Betrieben galt die Betriebsrente bis in die 1980er-Jahre als Lockangebot im Wettbewerb um gutes Fachpersonal. Unternehmen wie Bosch, IBM oder Daimler, selbst öffentlich-rechtliche Energiekonzerne wie die EnBW-Vorgänger oder Sendeanstalten wie SWF oder SDR, heute SWR, versprachen beamtenähnliche Absicherung – und leiden heute unter hohen Auszahlungsverpflichtungen.Heute bieten Arbeitgeber noch immer freiwillige Leistungen an, aber auf vergleichsweise bescheidenem Niveau.
  • Umfrage: Laut einer Umfrage von TNS Infratest Sozialforschung sorgen 57 Prozent aller Arbeitnehmer in Deutschland vor: Ende 2015 hatten knapp 15,65 Millionen Beschäftigte zwischen 25 und unter 65 Jahren eine Anwartschaft in der betrieblichen Altersversorgung erworben.
  • Männer vorn: Höher gebildete Männer ab 45 Jahren mit Kindern sind überproportional abgesichert, teilzeitbeschäftigte Frauen nur zu einem Drittel. Mit der Höhe des Bruttolohns steigt auch der Grad der betrieblichen Altersvorsorge – von nicht einmal einem Drittel bei Geringverdienern (unter 1500 Euro/Monat) auf über 80 Prozent in der Einkommensgruppe ab 4500 Euro.
  • Berufsgruppen: Die Bereiche, in denen die meisten Arbeitnehmer betriebliche Vorsorge leisten, sind die öffentliche Verwaltung, das Bildungs-, und Sozialwesen sowie der Bereich Bergbau und Wasserwirtschaft. (gar)
 

8 Tipps, wie Ihnen der Chef helfen kann

 
  1. Wer bekommt eine betriebliche Altersvorsorge? Alle sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer, egal ob Vollzeit oder Teilzeit. Seit 2002 gibt es auf Grundlage des ergänzten Betriebsrentengesetzes den Rechtsanspruch auf betriebliche Altersversorgung.
  2. Kannich die Anlageart bestimmen? Nein.  Die Firma muss zwar eines von fünf Modellen anbieten: Direktversicherung, Pensionsfonds, Pensionskasse, Direktzusage oder Unterstützungskasse, nicht aber alle gleichzeitig. Große Firmen neigen eher zu Pensionskassen, kleinere und mittlere Unternehmen vor allem zur Entgeltumwandlung.
  3. Was unterscheidet die einzelnen Modelle? Bei der klassischen Direktzusage verpflichtet sich der Arbeitgeber, eine Betriebsrente aus dem Betriebsvermögen zu zahlen. Verlässt ein Mitarbeiter das Unternehmen, bleiben die erworbenen Anwartschaften erhalten und sind im Fall einer Insolvenz durch den Pensions-Sicherungs-Verein geschützt. Dies ist auch bei Pensionsfonds und Unterstützungskassen der Fall, die als eigenständige Einrichtungen das Vermögen frei anlegen können. Pensionskassen stellen eine spezielle Lebensversicherung dar, deren Beiträge der Arbeitgeber übernimmt. Mitarbeiter können sich aber beteiligen. Bei einer Direktversicherung schließt der Arbeitgeber eine Lebensversicherung zugunsten des Arbeitnehmers ab. Es zahlt entweder die Firma allein oder teilt die Beiträge mit dem Arbeitnehmer.
  4. Was bringt mir die betriebliche Altersvorsorge? Gehen die Beiträge vom Bruttoverdienst ab, spart der Arbeitnehmer Steuern und Sozialabgaben. Die Obergrenze liegt bei 2976 Euro einzuzahlendem Betrag. Die Rechnung der baden-württembergischen Verbraucherschützer: Wer von 2500 Euro Bruttoeinkommen 100 Euro im Monat spart, hat nur 53 Euro weniger netto. Wer erst nach 2005 eine Direktversicherung abgeschlossen hat, kann zudem bis zu 1800 Euro pro Jahr steuerfrei stellen.
  5. Hat eine Betriebsrente auch Nachteile? Ja, mit der Auszahlung kommt meist die böse Überraschung: Die Zusatzrente ist zu 100 Prozent steuerpflichtig. Gesetzlich Krankenversicherte müssen überdies Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zahlen. Das schmälert die Rendite erheblich. Bei Einmalzahlung besteht die Möglichkeit, den Abgabebetrag über ein Jahr in Raten zu zahlen.
  6. Was sollten jüngere Arbeitnehmer wissen? Durch die bei Entgeltumwandlung gekappte Einkommensspitze fällt die gesetzliche Rente etwas geringer aus, aber auch das Eltern-, Kranken- oder Arbeitslosengeld.
  7. Wann soll ich auf jeden Fall zuschlagen? Wenn der Arbeitgeber etwas beisteuert! Manche Firma schießt in Höhe des eingesparten Betrages für Sozialabgaben (rund 20 Prozent) zu, andere übernehmen die Beiträge hälftig. Jüngere Arbeitnehmer sollten bei Abschluss allerdings länger bei dieser Firma bleiben wollen. Bei häufigem Wechsel kann sich die garantierte Verzinsung mindern.
  8. Was sind Alternativen? Wer Kinder hat, ist mit einer Riester-Rente meist besser bedient. Auch wer flexiblen Zugriff auf das gesparte Geld braucht, weil er etwa eine Wohnung kaufen will, sollte eine andere Anlageform wählen. (gar)
  • Betriebsrente: In großen Betrieben galt die Betriebsrente bis in die 1980er-Jahre als Lockangebot im Wettbewerb um gutes Fachpersonal. Unternehmen wie Bosch, IBM oder Daimler, selbst öffentlich-rechtliche Energiekonzerne wie die EnBW-Vorgänger oder Sendeanstalten wie SWF oder SDR, heute SWR, versprachen beamtenähnliche Absicherung – und leiden heute unter hohen Auszahlungsverpflichtungen.Heute bieten Arbeitgeber noch immer freiwillige Leistungen an, aber auf vergleichsweise bescheidenem Niveau.
  • Männer vorn: Höher gebildete Männer ab 45 Jahren mit Kindern sind überproportional abgesichert, teilzeitbeschäftigte Frauen nur zu einem Drittel. Mit der Höhe des Bruttolohns steigt auch der Grad der betrieblichen Altersvorsorge – von nicht einmal einem Drittel bei Geringverdienern (unter 1500 Euro/Monat) auf über 80 Prozent in der Einkommensgruppe ab 4500 Euro. (gar)
  • Der Ratgeber zur Serie: Den Ruhestand möchte jeder in finanzieller Sicherheit genießen. Was Sie dafür tun können, lesen Sie in unserem 80-seitigen SÜDKURIER- Ratgeber – hier bekommen Sie einen schnellen Überblick. Bestellen Sie den Ratgeber im Südkurier Inspirationen Online-Shop unter der Telefonnummer 0800/880-8000 (gebührenfrei) oder www.suedkurier.de/mehr-rente, Preis Abonnenten: 12,90 Euro, Nicht-Abonnenten: 14,90 Euro.

Sparen junge Menschen bereits für die Rente? Eine Video-Umfrage in Konstanz: