Diese Geschichte handelt von einer Burgruine und verschollenem Gold der Nazis. Würde man sie fürs Kino verfilmen, wäre das Publikum wohl schon nach wenigen Minuten verstört. Was soll das sein: eine missglückt inszenierte Schnitzeljagd? Zu verrückt klingt das alles.
Es geht um Deutschlands höchstgelegene Burgruine, auf rund 1200 Metern hoch über Pfronten im Ostallgäu, am Falkenstein. Und es geht um bislang unbekannte Täter, die sich dort mit einem 22 Tonnen schweren Bagger an einem Felsen zu schaffen machen. Sie verbreitern illegal einen alten Weg und buddeln sich ins Berginnere. Plötzlich geraten sie in eine gefährliche Schieflage, die Maschine droht abzustürzen – einen steilen bewaldeten Berghang hinunter, mehrere hundert Meter. Die Kriminellen lassen die Baumaschine zurück und flüchten.
Soweit die Fakten. Und die sind bei dieser Geschichte an einer Hand abzuzählen. Denn auch rund drei Wochen nach dem Vorfall ist nicht restlos klar, wonach die Täter eigentlich suchten. Die Polizei sprach zunächst von „mutmaßlichen Jägern eines Nazi-Schatzes“. Doch was steckt wirklich dahinter?

Eine Spurensuche vor Ort. Zwei Spaten und eine Spitzhacke liegen noch an der Stelle, an der sich die Schatzsucher zu schaffen machten. Die Polizei glaubt, dass die Täter sie hinterlassen haben. Große Gesteinsbrocken liegen herum, etwas weiter oben sieht man noch die Abbruchkante des Grases.
Hundert Kubikmeter Erdreich weggebuddelt
Dort müssen die Kriminellen mit der Baggerschaufel zu buddeln begonnen haben. Es sind an die hundert Kubikmeter Erdreich, die bewegt wurden. Und das in einem bis zu dreißig Grad geneigten Hang, etwas unterhalb verläuft die Autostraße hoch zum Burghotel Falkenstein. Mehrere Dutzend Fahrzeuge nutzen sie täglich. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn ein Gesteinsbrocken sich gelöst hätte.
Bertold Pölcher steht im Gelände und schüttelt immer wieder den Kopf. „Das gibt es doch gar nicht“, sagt der 78-Jährige. Er kann kaum glauben, was er vor sich sieht. Der rüstige Rentner ist wohl einer der intimsten Kenner der Pfrontener Heimatgeschichte. Seit den 70er Jahren wühlt er sich durchs Gemeindearchiv, gibt Mitteilungsblätter unter dem Namen „Rund um den Falkenstein“ heraus und kennt die Mythen, die sich um diesen ranken. Es ist dieses geballte Wissen, dass ihn nicht verstehen lässt, was hier oben geschehen ist. „Es gibt in den Akten keinerlei Hinweise darauf, dass hier oben ein Schatz vergraben sein könnte“, sagt Pölcher.
Im Archiv ist nur ein Spottgedicht überliefert. Es macht sich schon um das Jahr 1850 über all jene lustig, die am Falkenstein nach einem Schatz suchen. Eine Kiste mit Ziegelsteinen sei das einzige, was dort zu finden ist, heißt es. Vergraben von Pfrontenern, um drei leichtgläubige Zeitgenossen zu veräppeln. So banal das alles klingt, die Geschichte zeigt zumindest eines: Die Legende vom Schatz am Falkenstein reicht schon deutlich weiter zurück als bis zum Zweiten Weltkrieg.

Die jetzigen Schatzjäger vom Falkenstein stammen wohl aus dem Großraum Frankfurt. Zumindest haben sie sich dort – vermutlich unter Angabe falscher Personalien – den Bagger samt Tieflader ausgeliehen. Ein kostspieliges Unterfangen. Bestimmt mehrere tausend Euro investierten sie in ihr Vorhaben. Recherchen unserer Redaktion zufolge könnten sie Wiederholungstäter gewesen sein.
Schon einmal wurde an der gleichen Stelle gegraben. „Die Ermittlungen dazu dauern noch an“, sagt Edmund Martin, Chef der Polizeiinspektion Füssen. Im Raum stehen gleich mehrere Straftatbestände, darunter Verstöße gegen Umweltschutzgesetze und Sachbeschädigung. Was aber trieb die Kriminellen an?
Solange sie nicht gefasst sind, lässt sich das nur vermuten. Fakt ist: Am Falkenstein kreuzen sich immer wieder die Wege zwielichtiger Gestalten. 2011 zum Beispiel. Sage und schreibe vier Mal brechen Männer aus dem benachbarten Vils in Tirol in einen Holzstadel am Falkenstein ein. Beim fünften Versuch binnen zwei Monaten werden sie von der Polizei geschnappt. Wonach sie suchten? Nazi-Gold! So erzählen sie es bei der Vernehmung.
Doch weshalb sie gerade an jener Stelle suchten, bleibt ein Rätsel. Auch für die Familie Haf. Sie hat den Stadel vor gut 30 Jahren gebaut und dabei ein kellerartiges Gemäuer zugeschüttet. Möglich ist, dass ein noch aus dieser Zeit stammender Erdwall Anziehungspunkt für die Tiroler war. Die beiden damals 34 und 39 Jahre alten Täter graben jedenfalls mehrfach unter Bodenplatten des Stadel-Fundaments, finden jedoch nichts.
Einer Schatzkarte entnommen?
Ein Schicksal, das sie mit jenen Goldgräbern verbindet, die jetzt am Falkenstein unterwegs waren. Diese aber suchten an einer Stelle, die ein paar hundert Meter Luftlinie davon entfernt ist. „Ich könnte mir vorstellen, dass sie ihre Hinweise einer Schatzkarte entnommen haben, die man ihnen für teures Geld angedreht hat“, sagt Pölcher. Denn Fakten zu möglichem Nazi-Gold sind quasi nicht existent. Historisch vermuten lässt sich lediglich, dass Heinrich Himmlers SS zum Kriegsende hin den Berg für die Bevölkerung sperrte – als eine Art Vorposten für die Alpenfestung. So zumindest erzählen es alte Pfrontener.

Heimatforscher Pölcher hat sich eine Prise Schnupftabak aufgelegt. Obwohl er schon viel über den Falkenstein und die Ruine geschrieben hat, war er jetzt schon mehrere Jahre nicht mehr hier oben. An diesem Vormittag sind einige Wanderer am Falkenstein unterwegs. Zwei SUVs warten vor einer Ampel, die die Auffahrt zur Burgruine regelt. Viele Hotelgäste nutzen die schmale Straße, aber auch einige Ausflügler. Bestimmt über 100 sind es am Tag. Eigentlich kaum vorstellbar, dass es über Tage nicht auffiel, dass nur wenige Meter entfernt von dem Tourismus-Magnet Kriminelle ihr Unwesen trieben.
Auch die Familie Schlachter bemerkt lange nicht, was gleich unterhalb ihres Hotels im Gang ist. „Uns haben es erst Wanderer erzählt, und dann hat die Polizei sich gemeldet“, erzählt Hotelchefin Herta Schlachter.

Seit 33 Jahren ist die Familie im Besitz der Burgruine und des darunter liegenden Hotels. Dass der Name Falkenstein nun in einem solchen Zusammenhang in die Schlagzeilen gerät, gefällt der Chefin gar nicht. Bei einer Tasse Cappuccino in der großen holzvertäfelten Stube erzählt die Mutter dreier Kinder, warum. „Wir wollen nicht, dass noch mehr Verrückte auf diese Idee kommen“, sagt Schlachter. Früher, ja früher, da sei so mancher mit Spaten und Spitzhacke dem Berg zu Leibe gerückt. „Da hat auch nie jemand was gesagt, das wurde toleriert.“ Doch mit dieser Aktion sei eine Grenze überschritten worden. Viel mehr Worte will Schlachter deshalb auch gar nicht mehr verlieren über den vermeintlichen Schatz.
Die Frau im Dirndl spricht lieber über ihren Sohn Simon, der kürzlich einen Michelin-Stern für sein Restaurant „Pavo“ erhielt. Sie erzählt stolz, was sie mit ihrem Mann Toni in 33 Jahren am Falkenstein geschaffen hat. Nämlich einen exklusiven Ort zum Speisen und Übernachten.
Ludwig II. kaufte einst Ruine
„Viele Leute kommen sicher auch deshalb, weil den Falkenstein etwas Mysteriöses umgibt“, meint Schlachter. Das hänge mit König Ludwig II. zusammen, der die Ruine einst kaufte und hier sein letztes Schloss verwirklichen wollte. Aber auch mit drei Punkten, von „denen eine besondere Energie ausgeht“: der Burgruine, der etwas unterhalb gelegenen Mariengrotte und einer Freifläche, die dem Burgfelsen vorgelagert ist. Dort befindet sich ein militärisches Denkmal. „Mit einem Schatz der Nazis hat diese Faszination aber nichts zu tun“, glaubt die Hotelchefin. Dennoch lassen sich Gerüchte darüber einfach nicht ausrotten. Seit die Familie vor 33 Jahren das Areal erwarb, hat sich daran nichts geändert.
Nazi-Gold gab es wirklich
Denn Mythen um das Gold der Nazis gibt es viele. Nicht nur im Allgäu. Ausgangspunkt für die Spekulationen ist der Schatz der Reichsbank. Historiker können bis heute nicht restlos rekonstruieren, wo die Bestände nach 1945 hingelangten. Erwiesen ist nur, dass die Edelmetalle 1945 an drei markanten Stellen lagerten: Etwa 220 Tonnen Gold kamen in das thüringische Bergwerk Merkers. US-Truppen entdeckten sie im April 1945.
In der Stiftskirche von Spital am Pyhrn wurden in den letzten Kriegsmonaten 33 Tonnen Gold versteckt – die beschlagnahmten Reserven der Ungarischen Notenbank. Auch sie wurden von Amerikanern sichergestellt, genauso wie gut vier Tonnen in der Nähe von Salzburg. Weitere große Bestände der Nazis – zum Teil Raubbeute aus besetzten Ländern und beschlagnahmtes Gut von Juden – gelangten in die Schweiz. Forscher sprechen von 349 Tonnen.
Diese Zahlen zeigen, dass – wenn überhaupt – nur noch vergleichsweise kleinere Mengen Gold verschollen sein könnten. Genau hier aber setzen zahlreiche Legenden an. Und wieder führt eine ins Allgäu.
Viele Geschichten, wenig Wissen
Es gibt Erzählungen über einen Goldtransport Anfang 1945 von München nach Kempten. Eine weitere Spur führt zum Alatsee, nur wenige Kilometer vom Falkenstein entfernt. Am Grund des 32 Meter tiefen Gebirgssees schlummern tatsächlich Gegenstände aus der Nazizeit. Erst im April dieses Jahres beförderte ein Unbekannter dort mittels eines Magneten eine Phosphor-Handgranate an die Oberfläche. Ein Zeuge entdeckte die brennende Waffe nur wenig später und kickte sie mit seinem Schuh ins Wasser. Sogar ein Sprengkommando aus München rückte an.
Also wieder nichts mit dem Gold. Wie an tausenden anderen Orten in Mitteleuropa auch, an denen Schatzsucher Nazi-Gold vermuteten. Eine der spektakulärsten Aktionen lieferten Männer im polnischen Waldenburg, als sie 2019 gleich nach einem ganzen Zug voller Gold gruben. Wieder ohne Ergebnis. So wie am Alatsee und am Falkenstein.
Bertold Pölcher sitzt inzwischen wieder vor einem Berg von Akten. Der Heimatforscher ist so etwas wie der Gegenentwurf zu all jenen, die dem Goldfieber erlegen sind. Der Rentner hält sich lieber an Fakten und ist immer wieder erstaunt, was alles herhalten muss, um den Schatzhunger mancher Leute zu rechtfertigen: die Nazis, Burgen, tiefe Alpenseen, alte Sagen. Dabei finde in diesen Erzählungen meist nur derjenige etwas, der nicht aus Habgier handelt, sagt er. Vielleicht oder gerade deshalb blieb den Schatzsuchern vom Falkenstein der Erfolg verwehrt.