Der Mann am Eingang reagierte verblüfft: "Sie sind hier sicher falsch. Bestimmt suchen Sie die Botschaft von Südkorea." Aber nein – Frank Braun hatte sich nicht im Klingelknopf geirrt. Er war genau dort, wo er sein wollte: In der nordkoreanischen Botschaft, um sich ein Visum für einen zehntägigen Aufenthalt ausstellen zu lassen. Der Grund: Einige Tage zuvor hatte der promovierte Ökonom die Zusage für einen besonderen Job bekommen: Entwicklungshilfe im diktatorisch regierten Nordkorea – mehr als 8000 Kilometer von seinem Wohnort Bodman-Ludwigshafen entfernt.
"Als ich erzählte, dass ich mich bewerbe, hat meine Familie mich für verrückt erklärt", erinnert sich der Vater zweier Kinder. Ganz davon abgesehen, dass das Regime von Machthaber Kim Jong-Un weltweit gefürchtet wird, ist Frank Braun schon mehr als 70 Jahre alt. Beim nachmittäglichen Gespräch in seinem Wohnzimmer gibt er zu, dass auch ihm die Reise bis zuletzt so unrealistisch vorkam "wie ein Flug zum Mars".
Spannung zwischen Nordkorea und Amerika
Genau wie bei einer Weltraumexpedition musste auch Braun zunächst auf Starterlaubnis warten. Erst ein Jahr nach dem Eingang seiner Bewerbung erreichte ihn die Zusage für den von den Vereinten Nationen und Nordkorea organisierten Aufenthalt. Aber gerade als es ans Kofferpacken ging, habe ihm der US-Präsident einen Strich durch die Rechnung, erzählt der international erfahrene Berater, der selbst in Kalifornien und Texas studiert hat.
Ausgerechnet im September, dem Monat von Brauns Abreise, ließ Donald Trump verlauten, er wolle auf die Bedrohung durch Nordkorea mit Feuer und Zorn reagieren. Das US-Militär begann, Beobachtungsflüge an der nordkoreanischen Küste zu fliegen. Würde es zum Krieg kommen? "Ich hatte Angst", blickt Braun zurück. Erst der deutsche Botschafter konnte ihn beruhigen. "Am Telefon erzählt er mir, dass seine Kinder weiter ganz normal in Pjöngjang in den Kindergarten gehen."
Leben auf dem Mars
Bereits während des Flugs begann Braun sich zu entspannen. "Zu dieser Zeit fand in Nordkorea die Taekwondo-WM stattfand", erklärt der Entwicklungshelfer. Seine Maschine sei deshalb voll besetzt mit Athleten und Betreuern aus aller Welt gewesen. "Neben mir saß ein deutscher Kampfrichter, mit dem ich mich bestens unterhalten habe." Aber auch nach der Landung habe er von den außenpolitischen Spannungen überraschend wenig gespürt.
Braun gibt allerdings zu, dass er von der Zivilbevölkerung abgeschottet wurde. Zwei Regierungsbeamte begleiteten ihn von nun an auf Schritt und Tritt. "Ich konnte nicht einfach raus, einen Kaffee holen. Stattdessen musste ich immer eine Erlaubnis einholen." Auch die Idee, einen Wochenendausflug aufs Land zu unternehmen, sei ihm von den Offiziellen freundlich aber bestimmt ausgeredet worden.

Schnell war klar: Braun war zum Arbeiten hier. Gemeinsam mit 40 einheimischen Energieplanern sollte er Modelle entwickeln, um die Stromversorgung in den ländlichen Bezirken anzukurbeln. "Noch werden in Nordkorea erst zwei Prozent der Energieversorgung von Erneuerbaren gedeckt. In drei, vier Jahren sollen es 20 Prozent sein." Mit dieser Maßnahme wollen die Vereinten Nationen dezentral helfen. Ziel sei es nicht, die Regierung zu stärken, sondern die Zivilbevölkerung. "Sie sind es ja, die am schlimmsten unter den Boykottmaßnahmen des Westens zu leiden haben", betont Braun.
Arbeiten ohne Pause
Auch wenn er die Herausforderung motiviert anging, wurde schnell klar, dass die Nordkoreaner beim Thema Arbeitsdisziplin in einer anderen Liga spielen: "Als ich morgens um acht ankam, saßen alle schon vor ihren Rechnern", sagt er und lacht. Die Pausen waren kurz, Arbeitsschluss erst um 20 Uhr. "Manchmal hatte ich das Gefühl, dass die Kollegen sogar nachts noch weiter gearbeitet haben."
Dieser Fleiß hat ihn beeindruckt. "Besonders militärisch ging es in der Hauptstadt zu. Fast alle tragen dort Uniform und laufen im Gleichschritt – selbst die Kindergartenkinder." Trotzdem beschreibt Braun Pjöngjang als moderne Großstadt. Er habe viele ausländische Geschäftsleute gesehen, die mit teuren Autos durch die Straßen fuhren. "Es gibt sogar eigene Geschäfte für Ausländer, zu denen die Nordkoreaner keinen Zutritt haben. Dort gibt es alles, was wir aus westlichen Supermärkten kennen."

Wassereimer statt Morgendusche
Der krasse Gegensatz zu diesem Überfluss: Die 40 Kilometer entfernte Stadt Pyongsong. Hier sollte der Ludwigshafener den Rest seines Aufenthalts verbringen. "Auf dem Land gibt es während eines Tages höchstens ein bis zwei Stunden Strom." Brauns Unterkunft war spartanisch eingerichtet: "Statt einer Dusche hat mir das Hotelpersonal morgens einen Eimer Wasser hingestellt, den ich mir übergießen konnte."
Der Eindruck des Mangels begleitete den Entwicklungshelfer bis zum Ende seines Aufenthalts. Von den leeren Regalen der Einkaufsläden bis zu den Reis- und Gemüsefeldern, auf denen die Arbeiter ohne Traktoren auskommen müssen: "Es fehlt an allem!" Braun bedauert, dass sich die Situation dadurch, dass Nordkorea vom Weltmarkt abgeschnitten ist, nur noch weiter verschlimmert.

Trotzdem habe er von keinem seiner Gesprächspartner ein negatives Wort über den Westen gehört. "Die Menschen wirkten auf mich sehr freundlich – aber distanziert", berichtet Braun. So musste er lernen, dass Körperkontakt in der Öffentlichkeit nicht üblich ist. Als er einer Frau zur Begrüßung die Hand reichen wollte, habe sie sich zum Beispiel pikiert weggedreht.
Von diesen kulturellen Unterschieden abgesehen, habe er sich aber angeregt mit den Landesbewohnern ausgetauscht – besonders bei den Grillfesten nach Feierabend. Die Kommunikation lief in Englisch ab. Eine Sprache, die etwa zehn Prozent von Brauns Gesprächspartnern beherrschten. Dabei fiel dem Entwicklungshelfer auf, dass ihm auffallend viele Fragen über das Leben in Deutschland gestellt wurden, wenn er sich im hinteren Teil des Gartens aufhielt. "Dieser Bereich war wohl nicht verwanzt", mutmaßt er heute.

Überhaupt lernte Frank Braun im Verlauf seines Aufenthalts, zu differenzieren: "Die Regierung ist das Eine – die Menschen etwas ganz Anderes!" Deshalb könnte er es sich auch gut vorstellen, nach Nordkorea zurückzukehren, um bei der Umsetzung der ausgearbeiteten Energiekonzepte mitzuhelfen. Der Ludwigshafener sieht es als seine Aufgabe an, mit der Zivilbevölkerung in Kontakt zu bleiben. "Egal, was die Regierungen sagen!"