Herr Wippermann, wenn man durch die Innenstädte und Fußgängnerzonen in Deutschland flaniert, fällt immer mehr auf: Viele Einzelhändler geben ihr Geschäft auf. Werden wir bald keine Einkaufsstraßen mehr haben?
Wir erleben gerade große Veränderungen. Es hat bereits eine deutliche Teilung zwischen Einkaufen und Shopping begonnen. Die Läden, die jetzt in Bedrängnis kommen, gehören zum Bereich Einkauf. Die Läden, die inszenieren, die Neugierde befriedigen und Überraschungen für den Kunden bieten, werden in der Zukunft deutlich zunehmen. Diese Entwicklung ist nicht ganz neu. Aber sie wird sich deutlich beschleunigen.
Worin unterscheiden sich Einkaufen und Shopping?
Was langweilt, wird automatisiert. Die wiederholten Einkäufe des täglichen Bedarfs, die uns nicht überraschen, nicht amüsieren, die keine sozialen Bedürfnisse befriedigen, werden in den virtuellen Raum wandern. Shopping dagegen ist mit Erlebnis verbunden.
Mein wöchentlicher Lebensmittel-Einkauf wird dann bald nur noch digital erledigt?
Nicht unbedingt. Bei Lebensmittelhändlern sieht man eine deutliche Gegenwehr. Plötzlich kann man in den Supermärkten wieder kleine Imbisse zu sich nehmen. Waren sind frisch und werden so inszeniert, als ob man sich auf dem Marktplatz befindet. Das, was wir hinter uns gelassen haben, sind die industriell gefertigten Produkte in Kartons und Dosen. Also alles das, was nicht so spannend ist.
Wenn ein Einzelhändler also der Pleite entgehen will, muss er auf Erlebnis-Shopping setzen?
Es gibt kein sicheres Todesurteil. Es ergeben sich immer Chancen, wenn sich etwas verändert. Gerade im Lebensmittelhandel, wo E-Commerce [Anm. d. Red.: elektronischer Handel] noch eine ganz untergeordnete Rolle spielt, werden die Händler anfangen, ihre Geschäfte neu aufzustellen. Spannend wird es, wenn Unternehmen wie Amazon wie in den USA eigene Läden ausrollen, die für schnelllebigen Bedarf da sind. Dort meldet sich der Kunde mit dem Smartphone an, geht in den Laden, nimmt sich die Sachen aus dem Regal, die er braucht. Dann verlässt der Kunde den Laden. Kassen gibt es keine mehr. Das Smartphone registriert die mitgenommenen Waren und bucht den Rechnungsbetrag automatisch vom Konto ab.
Wird Amazon der Supermarkt um die Ecke?
In Seattle an der US-Westküste hat Amazon damit angefangen, und in den nächsten zwei Jahren wird der Internethändler 3000 Läden dieser Art führen. In China macht das bereits der dortige Marktführer Alibaba. Amazon hat in Deutschland noch kein Ladengeschäft eröffnet. Aber dafür wird der Online-Schuh-Shop Zalando sechs neue Geschäfte in Deutschland eröffnen. Eines davon in Konstanz. Dieser Trend wird noch zunehmen. Unternehmen wie Amazon oder Zalando, die mit E-Commerce groß geworden sind, gründen tatsächlich immer mehr Pop-up-Shops. Letztlich ist es einem Internethändler egal, wo sie einkaufen – ob in der digitalen oder realen Welt.

Warum drängen diese reinen Online-Shops jetzt plötzlich in die reale Welt?
Menschen sind nicht nur virtuelle Avatare, sondern sie sind aus Fleisch und Blut. Shopping ist eben auch ein soziales Erlebnis. Die Rationalisierung, die im E-Commerce steckt, ist mittlerweile so weit, dass die auch wiederum in realen Läden einsetzen kann. Das heißt, es geht nicht mehr nur um die Identifizierung von Produkten, sondern von Konsumenten.
Und wer sind die Konsumenten in der Zukunft?
Das wird die Generation Z sein – also die aktuell 20-Jährigen. Sie beeinflussen jetzt im Moment die Zukunft des Einkaufens. Aus ihrem aktuellen Kaufverhalten können wir konkrete Thesen für die Zukunft herleiten. Zum Beispiel sind die neuen Supermodells für diese Generation, die Instagramer und Blogger. Sie sind Identifizierungs- und Vertrauenspersonen. Sie haben gerade in den Lifestyle-Communities [Anm. d. Red.: Lebensstil-Gemeinschaft] eine große Bedeutung, weil sie Beziehungen organisieren. Entweder man gehört zu dieser Community, also Gruppe, oder eben nicht. Es geht ganz stark um das Thema Individualisierung. Die klassische Fernseh-Werbung versucht alle Konsumenten zu erreichen- erreichen aber oft nicht die Generation Z, die in 20 Jahren die stärkste Kaufkraft bilden werden. Insofern sind die Influencer die wahren Verkäufer von heute.
Die Digitalisierung ist also etwas ganz Natürliches für diese Generation?
Ja, das zeigt sich auch darin, dass es für die Generation Z ganz natürlich ist, per Sprachassistenten einzukaufen. Spracheingabe zum Shopping ist heute noch verschwindend gering, wird aber in der Zukunft massiv zunehmen.
Werden wir bald alltägliche Dinge von Sprachassistenten einkaufen lassen?
Das ist eine Entwicklung, von der ich glaube, dass sie sehr schnell gehen wird. Ich denke hier an Abo-Programme. Zum Beispiel ist es nicht wahnsinnig aufregend, Toilettenpapier regelmäßig einzukaufen. Aber es muss gemacht werden. Solche Bedarfsartikel können in einer Art Abo gekauft werden.
Kurz gesagt: Zum Supermarkt muss ich wegen Toilettenpapier bald nicht mehr selbst gehen.
Exakt. Der Gang zum realen Supermarkt erübrigt sich und das vielleicht sogar ganz.
Wie das?
Durch Virtual Reality und Augmented Reality, die erweiterte Realität. Diese Technologien werden relativ schnell kommen. Apple hat schon konkret angeboten, ab 2020 neue VR- und AR-Produkte auf den Markt zu bringen. Wenn wir dann also eine AR-Brille im Supermarkt aufsetzen, werden zusätzliche Produktinformationen durch die Hightech-Brille in unser Blickfeld eingeblendet. In China hat Alibaba sogar das New Yorker Kaufhaus Macys virtuell nachgebaut, sodass Chinesen durch das Kaufhaus virtuell schlendern und dort einkaufen konnten. Das ist bisher aber nur ein Versuch gewesen. Die VR-Technik ist aber noch nicht so weit, dass dies in Serie gemacht werden kann. Es wird aber mit Sicherheit kommen.
Ich werde dann aus Deutschland heraus in New York shoppen können?
In der Tat und das nicht alleine. Es wird vermehrt zu sozialen – gemeinsamen – Shopping-Erlebnissen kommen – also dass man mit Freunden aus aller Welt im Macys virtuell shoppen kann. Die Avatare der Kunden flanieren dann gemeinsam durch das Ladengeschäft, suchen sich dort Kleidungsstücke aus und teilen die Fotos von den Klamotten als Post in den sozialen Medien. Das wird die Zukunft sein.

Verkäufer, die jeden Tag im Laden stehen, haben Angst, dass das Online-Geschäft ihnen die Jobs wegnimmt, und Besitzer befürchten das Aus. Ist diese Befürchtung berechtigt?
So pauschal kann man das nicht beantworten. Dazu muss man die Entwicklung betrachten. Als in den 1950er-Jahren die ersten Supermärkte eröffneten, waren diese im Grunde nichts anderes als begehbare Lager, in dem die Kunden die Arbeit von Angestellten übernommen haben. Sie holten sich die Produkte selbst aus den Regalen und brachten sie selbst zur Kasse. Die Idee wurde im Textilhandel dann relativ schnell übernommen. Das heißt auch: Der Verkäufer als Experte, der wirklich für einen da ist, ist im Allgemeinen eher die Ausnahme. Herausstechen tun dafür die Läden, wo der sympathische Verkäufer oder die nette Kassiererin arbeitet. Dort kommt man gerne wieder zurück.
Die Sympathie ist hier also das entscheidende Kriterium . . .
In dem Moment, wo sie etwas Besonderes anbieten und sich Verkäufer gegenüber dem Kunden eher partnerschaftlich verhalten, wird das Geschäft keine Schwierigkeiten bekommen. Wir als Kunden sind Individuen, die Anerkennung suchen – und das auch im Konsum.
Fragen: Kerstin Steinert
Zur Person
Peter Wippermann, 69, ist Trendforscher, Berater, Autor und Experte für Zukunftsthemen. 1992 gründete er gemeinsam mit dem Zukunftsforscher Matthias Horx das Trendbüro Hamburg. Nach seiner Lehre als Schriftsetzer, arbeitete Wippermann zunächst als Setzer bei der Zeitschrift "konkret", dann als Art Director beim Rowolt-Verlag und beim "Zeit"-Magazin. 1990 war er Herausgeber des Zukunftsmagazins „Übermorgen“ und konzipierte die Events „Talk with Tomorrow“. Von 1993 bis 2015 lehrte Wippermann als Professor für Kommunikationsdesign an der Folkwand Universität der Künste in Essen. (kst)
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