Frau Paredes, der Narrenschopf hat vor einigen Tagen auffälligen Zuwachs erhalten: Eine Kölner Delegation schenkte Ihnen das Närrische Dreigestirn. Passt das überhaupt in die schwäbisch-alemannische Fasnacht?
Ja, denn Rheinland und Südwesten haben sich in den letzten Jahren angenähert. Das Dreigestirn besteht aus Prinz, Bauer und Jungfrau, so heißen die drei Figuren. Lange Zeit waren beide Traditionen völlig getrennt. Die Annäherung hat damit zu tun, dass wir gemeinsam in die Weltliste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen werden wollten. Wir hoffen, dass das klappt.
Wo sind sie verwandt? Der rheinische Karneval und die hiesige Fasnacht haben kaum Berührungspunkte.
Das stimmt nicht ganz. Es sind unterschiedliche Gesichter desselben Festes. Die Ursprünge sind identisch – es geht immer um die Zeit vor der Fastenzeit. Ich gehe noch einen Schritt weiter: Der kölnische Karneval hat die Fasnacht am Anfang des 19 Jahrhunderts vor dem Untergang bewahrt.
Wie meinen Sie das? War die Fasnacht denn je gefährdet?
In bürgerlichen Kreisen galt die Fasnacht um 1800 als nicht mehr zeit-gmäß. Bedingt durch die Aufklärung war die Fasnacht nicht mehr gerne gesehen: Sie galt als grob, ordinär und schmutzig. Durch die Kölner Karnevalsreform von 1823 entstand der gesittete bürgerliche Karneval – mit Themen-
umzügen Sitzungen, Tischordnung etc. Das war etwas, das man vorzeigen konnte.
Dann hat das Rheinland die Fasnacht in Baden oder Schwaben gerettet?
Das kann man so sagen. In ganz Südwestdeutschland hat man ab den 1830er-Jahren „Carneval“ nach dem Kölner Vorbild gefeiert. Erst ab 1870 etwa kehren die Schwaben und Alemannen wieder zu ihrer alten Fasnachtsform zurück.
Sie stellen hier fröhlich Karnevalsfiguren aus. Wie sagen die Mitgliedszünfte dazu?
Viel Zustimmung. Natürlich gab es Einzelne, die etwas skeptisch werden beim Stichwort rheinischer Karneval in Bad Dürrheim. Doch halte ich diese Zusammenarbeit gerade in heutiger Zeit für richtig.
Wie war das mit der Fasnacht im Dritten Reich? Die Narrenvereine feierten fröhlich weiter.
Autoritäre Regime haben grundsätzlich die Neigung, alle karnevalistischen Umzüge zu verbieten. Diese Umzüge entfalten zu viel Kraft, zu viel gefährliches Eigenleben. Selbst General Franco in Spanien gehört in diese Reihe, er hat den Karneval mit einem Totalverbot belegt. Etwas anders die NS-Zeit in Deutschland. Hier versuchte das Regime, die Fasnacht für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Die Fasnacht wurde hier nicht verboten, die Narren wurden hofiert. Es ist ein schwieriges Kapitel. Vereinzelt gab es auch Widerstand.
Zum Beispiel?
In Weingarten etwa trat ein Narr mit Hitlermaske auf und provozierte damit die NS-Prominenz. Man hat nie herausgefunden, wer es war. Die Maske tauchte kürzlich auf einem Dachboden auf.
Die Fasnacht verändert sich ständig. Oft hört man die Theorie: Mit der Fasnacht wird der Winter vertrieben.
Das stimmt so nicht. Richtig ist: In der dunklen Jahreszeit wurde immer gerne gefeiert. Die Fasnacht hat einen christlichen Ursprung. Fasnacht ist die Nacht vor der Fastenzeit.
Woher kommt das Märchen mit dem Winter, der angeblich ausgetrieben wird?
Es wurde im Dritten Reich stark forciert. Dahinter steckten Volkskundler wie Eugen Fehrle und Hermann Eris Busse, der sich dafür starkmachte. Sie wollten den christlichen Hintergrund ausklammern, weil die NS-Ideologie damit nichts am Hut hatte.
Es erstaunt, wie lange sich die Winter-Theorie hält. Bis heute hört man davon.
Busse und Fehrle waren die ersten Wissenschaftler, die sich überregional mit der Fasnacht beschäftigt haben. Ihre Winteraustreibungsdeutung war etwas Neues. Das fanden die Leute interessant und haben sie übernommen.
Da gibt es noch etwas: Die einen schreiben Fastnacht, andere Fasnacht, wieder andere Fasnet. Was ist richtig?
Wenn man es wissenschaftlich korrekt schreibt, dann heißt es Fastnacht mit einem „t“ in der Mitte. Damit wird klar, dass es etwas mit Fasten zu tun hat. Die Nazis favorisierten die Schreibung ohne „t“ in der Mitte, um eben die christliche Wurzel zu verwischen. Dahinter steckte Absicht.
Hat es auch mit Dialekten zu tun?
Im Dialekt heißt es halt Fasnet. Jeder Ort verfügt über seine eigenen Ausdrucksmittel. Das ist richtig und schön so. Diese Vielfalt sollte man bewahren – unabhängig von der wissenschaftlichen Präzision.
Sie sprachen vorhin von der Rettung der Fasnacht vor etwa 200 Jahren. Wie alt ist sie wirklich?
Sie geht bis ins hohe Mittelalter zurück. Damals war es ein großes Fress- und Saufgelage. Die Menschen wussten, dass sie in der Fastenzeit auf Magerstufe gesetzt werden. Deshalb wurde kurz vor Beginn des Fastens noch einmal kräftig auf den Putz gehauen – besonders Fleisch, Fett, Süßes kamen auf den Tisch.
Wo findet man die ältesten Spuren in den Städten?
Es gibt mehrere. Rottweil, Villingen auch Konstanz haben alte Belege. Ein eindeutiges Datum können wir nicht setzen. Doch werden früh in den Urkunden bereits Fastnachtshühner, Fastnachtsküchle oder sogar erste Verbote erwähnt. Das ist ein klarer Hinweis.
Nun gibt es auch Zünfte, die weit nach dem II. Weltkrieg entstanden sind. Sie tragen zum Teil fantastische Bezeichnungen. Was halten Sie davon? Können diese Zünfte Mitglied bei Ihnen werden?
Wir haben einen Kodex, an den sich jedes Mitglied halten muss. Zum Beispiel wollen wir, dass die Masken von Hand gemacht werden und nicht gefräst sind. Das ist ein wichtiges Kriterium. Wenn sich ein junger Narrenverein daran hält, kann er in die Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen werden. Jede Tradition fängt ja irgendwann einmal an.
Wenn sich eine Zunft 2019 gründet, hat sie also eine Chance auf Mitgliedschaft?
Die VSAN nimmt keine neuen Zünfte in ihrem Verband mehr auf. Aber es gibt ja noch andere Narrenvereinigungen.
Seit einigen Jahren laufen wilde Perchten am Rande von Umzügen mit. VSAN-Präsident Roland Wehrle lehnt das ab. Wie sehen Sie das?
Man muss sich schon genau ansehen, was dazu passt und was nicht. Perchten passen nicht dazu, sie gehören in die Weihnachtszeit. Ich würde sie nicht aufnehmen.
Sie sprechen oft vom Weltkulturerbe. Was haben die Narren davon?
Dieses Prädikat bringt viele Vorteile. Zum Beispiel bei Förderungen, Schutz vor Missbrauch, Rückhalt in der Öffentlichkeit usw... Aber das Materielle ist nicht so wichtig: Die Auszeichnung würdigt eine Tradition. Und sie zieht Touristen an.
Sie haben einen spanischen Vater und eine deutsche Mutter. Kann es sein, dass Sie die Fasnacht – ob mit einem oder zwei „t“ – deshalb in einem größeren Rahmen sehen – als Teil einer weiten europäischen Folklore?
Feiern war schon immer Teil meines Lebens. In Spanien gibt es die meisten Feste in ganz Europa. Es wird mehr gefeiert als in Deutschland, viel mehr. Mein Vater kommt aus Valencia, da werden einmal im Jahr während der Fallas riesige Figuren aus Pappmaché aufgestellt und verbrannt. Die Kultur des Feierns ist mir also sehr vertraut.
Was ist Ihr persönlicher Zugang zur Fasnacht?
Ich bin nicht an einem bestimmten Ort verwurzelt. Deshalb schaue ich mir vieles an – eher als Zuschauerin, nicht als Akteurin, also bin ich selten verkleidet.
Wo sind Sie in den kommenden Tagen?
Ich schlüpfe in kein Häs. Dafür fahre ich jedes Jahr an einen anderen Ort und sehe mir dort die Bräuche an. Dieses Jahr zieht es mich nach Schömberg im Zollernalbkreis zur Polonaise der dortigen.
Fragen: Uli Fricker.Der schöne Narr und das Biest: Saray Paredes präsentiert zehn Typen der Fasnacht:
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