Frau Diehl, wo stehen wir derzeit beim Thema Integration in Deutschland?

Wir sehen in Deutschland, dass es bei allen Gruppen in allen Bereichen voran geht. Aber wir sind sehr ungeduldig, was die Integration betrifft. Integration ist ein Projekt, das im Generationenverlauf stattfindet. Die zweite Generation von Migranten ist den Mehrheitsangehörigen schon sehr viel ähnlicher als die erste. Deutschland steht hier im internationalen Vergleich nicht schlecht da. Die große Herausforderung ist aber, dass viele Einwanderer nach Deutschland zunächst die Sprache nicht sprechen. Auch hier geht es voran, es braucht aber einfach Zeit.

Claudia Diehl ist seit 2013 an der Universität in Konstanz. Die 51-Jährige lehrt und forscht in den Bereichen Migration und Integration. ...
Claudia Diehl ist seit 2013 an der Universität in Konstanz. Die 51-Jährige lehrt und forscht in den Bereichen Migration und Integration. Sie beschäftigt sich vor allem mit der Frage, wie Religion sich auf den Bildungserfolg auswirkt. Diehl ist Mitglied im Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Migration und Integration. | Bild: Privat

Welche Rolle spielt die Schule bei der Integration von Migranten?

Die Schule spielt eine Schlüsselrolle, wenn es um Integration geht. Wenn in der Schule alles gut läuft und entsprechende Abschlüsse erreicht werden, gelingt meist auch die Arbeitsmarkt-Integration. Beides ist gerade in Deutschland sehr eng miteinander verknüpft, der Erfolg auf dem Arbeitsmarkt hängt stark vom Bildungserfolg ab. Die Schule ist aber auch ein Ort, an dem viele andere Bereiche der Integration gefördert werden. Dort eröffnen sich Möglichkeiten, Kontakt zu Mehrheitsangehörigen zu knüpfen, die Sprache zu lernen und dort werden natürlich auch Werte vermittelt.

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Das klingt, als wäre es für Migranten ein Vorteil, wenn sie schon im Schulalter nach Deutschland kommen. Stimmt das?

Je früher der Integrationsprozess startet, desto besser. Im Bereich der Sprachforschung gibt es die Annahme einer kritische Periode etwa im Alter ab der Pubertät. Danach ist es fast unmöglich, eine neue Sprache akzentfrei zu lernen. Wir sehen das gerade auch bei den Geflüchteten: Bei denjenigen, die im Grundschulalter zuwandern, läuft es mit der Integration in der Regel gut. Die Älteren haben es schwerer, weil sie erst die Sprache lernen müssen, bevor sie mit dem inhaltlichen Lernen und eine Ausbildung beginnen können.

Welche Faktoren sind außerhalb der Schule wichtig für eine Eingliederung?

Ein sehr wichtiger Faktor sind ausreichend Kontakte mit Mehrheitsangehörigen. Wenn Migranten in gemischten Stadtvierteln leben, lernen sie „alltagsintegriert“ die Sprache und haben Zugang zu wichtigen Informationen, beispielsweise über die Nachbarschaftskontakte oder Freundschaften. Bei den Geflüchteten versuchen viele Patenschaftsprogramme genau dies zu erreichen, indem sie systematisch solche Kontakte schaffen.

Welchen Einfluss hat die Religion?

Religion ist kein entscheidender Faktor für die Integration im Bildungssystem und in den Arbeitsmarkt. Entscheidend ist viel mehr, wie privilegiert das Elternhaus der Kinder ist. Kinder mit Eltern, die schon Abitur gemacht haben, haben es im Bildungssystem einfacher und machen viel häufiger das Abitur. Das hat einerseits damit zu tun, dass die Kinder oft schon mehr wissen, wenn sie in die Schule kommen. Andererseits werden in solchen Familien andere Bildungsentscheidungen getroffen. Aufstiege sind möglich, aber sie sind nicht so einfach. Das ist eine Herausforderung, mit der Migrantenkinder besonders häufig konfrontiert sind. Wenn man dies berücksichtigt, hat die Religion unseren Forschungen nach keinen eigenständigen Einfluss auf den Bildungserfolg. Wir sehen nicht, dass religiöse Kinder die Sprache weniger gut sprechen oder sich im Bildungserfolg unterscheiden, wenn man sich Noten und schulische Positionierung anschaut.

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Egal, ob die Kinder hier in Deutschland den Islam leben oder nicht, das hat keinen Einfluss auf ihre Integration?

Das kann man für die Integration im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt so sagen. Entscheidend für den Bildungserfolg ist der soziale Hintergrund. Man kann nicht sagen: Die religiösen Muslime sind im Bildungssystem weniger erfolgreich als die säkularen. Das stimmt einfach nicht.

Wie beurteilen Sie die Tatsache, dass es in Baden-Württemberg mittlerweile an 86 Schulen Islamunterricht gibt?

Es ist in einer Gesellschaft, die zunehmend plural wird, eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass alle Religionsgruppen vom Staat gleich behandelt werden. Daher hat das Angebot von islamischem Unterricht vor allem etwas mit Gleichberechtigung zu tun.

Wird mit dem Islamunterricht ein Zeichen für Integration gesetzt?

Er ist kein Zeichen von Integration in dem Sinne, dass er den Bildungserfolg fördert. Aber natürlich ist Integration nicht nur eine Aufgabe für die Migranten selbst, sondern auch für die Gesellschaft. Die sollte eine gleichberechtigte Teilhabe aller Gruppen ermöglichen. Da ist der islamische Religionsunterricht ein wichtiger Schritt.

Andererseits könnte man auch denken, dass es der Integration widerspricht, wenn Familien hier weiter nur in ihrer Religionsgemeinschaft leben.

Religionsfreiheit ist unserer Gesellschaft ein hohes Gut und das gilt nicht nur für Gruppen, die hier schon seit Generationen leben. Ich glaube nicht, dass die Deutschen etwas dagegen haben, dass die Migranten hier ihre Religion leben. Das Problem ist eher, dass die Religion in den Augen vieler für etwas anderes steht – etwa undemokratische oder fundamentalistische Ansichten. Aber das gilt für viele Muslime nicht.

Was muss der Unterricht leisten, um die muslimischen Kinder zu integrieren?

Primär sollten die Kinder die Chance haben, etwas über ihre Religion zu lernen. Der Unterricht sollte sie da abholen, wo sie stehen. Er muss von Lehrern unterrichtet werden, die hier ausgebildet wurden und den Hintergrund der Kinder kennen. Das sind grundlegende Voraussetzungen.

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