Ich mag Eckart von Hirschhausen nicht. Und doch ist der Mann ein Grund für mein Vorhaben. Der Doktor witzelt beruflich über Kuriositäten aus Medizin und Wissenschaft. Mir begegnete sein Gesicht in einem Video zur Berliner Bundespressekonferenz, er lächelte vom Podium hinunter und sprach über die „Fridays for Future“-Bewegung. „Ein Mann, der sich gerne reden hört und die Klimaproteste für die Vermarktung seiner Person nutzt“, dachte ich. Von Hirschhausen sagte aber einen Satz, der mich den Tag über begleitete. "Jeder kann in seinem Leben an Stellschrauben drehen, die sich positiv auf das Klima auswirken."
CO2-Emissionen pro Bundesbürger: 11,6 Tonnen
Ich wollte seinen Rat überhören. Damit wäre alles gescheitert, bevor es begonnen hätte. Am Abend erzählte mir meine Zwillingsschwester dann von ihrer fleischfreien – und sie betonte, wie klimafreundlich das sei – Ernährung. Erst von Hirschhausen, nun meine Schwester. Eine seltene Emotion breitete sich in mir aus. Reue.
Ich fragte mich zum ersten Mal ernsthaft: Welchen Beitrag leiste ich jeden Tag, um meine persönliche CO2-Bilanz klein zu halten? Die Antwort ist ernüchternd. Wenig bis keinen – zumindest nicht bewusst. Dabei gibt es den Klimawandel nicht nur durch Kohlekraftwerke und abgeholzte Wälder. Wir alle stecken mit drin. 11,6 Tonnen beträgt die durchschnittliche Treibhausgas-Emission eines jeden Deutschen pro Jahr, so die Berechnungen des Umweltbundesamtes.
Ich werde den Klimawandel spüren
Eine Zahl, die mich schockiert. Mit meinen 27 Jahren werde ich die Auswirkungen unseres heutigen Handels am eigenen Leib zu spüren bekommen. Ich will nicht nichts getan haben. Deshalb fange ich an, aktiv zu werden – für das Klima, für mich, meine und die folgenden Generationen. Ich will meinen ökologischen Fußabdruck so klein werden lassen, wie es mein Leben zulässt.
Seraja Bock hilft mir bei meinem Vorhaben. Er kennt solche Leute wie mich. Der Umweltethiker am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung betreut derzeit 100 Haushalte in Berlin. Familien, Paare oder Singles versuchen beim Projekt „Klimaneutral leben in Berlin“ (Klib) ihren CO2-Verbrauch in einem Jahr um 40 Prozent zu vermindern.
Bundesregierung kann Ziele nicht erreichen
Der Wert ist symbolisch mit dem deutschen Klimaziel für 2020 gleichgesetzt, das seitens der Bundesregierung bereits aufgegeben wurde. Die Versuchsteilnehmer haben ihr Ziel währenddessen kurz vor Augen. Mitte April liegt der durchschnittliche CO2-Verbrauch pro Person bei 7,3 Tonnen im Jahr – das sind rund 39 Prozent Einsparung zum deutschen Durchschnittswert. Es scheint also möglich zu sein. Das bestärkt mich.
Verbrauch auf der Arbeit fließt nicht in mein CO2-Konto
Nur, wie fange ich das Ganze überhaupt an? Umweltethiker Bock erklärt mir, dass ich zu Beginn meinen Verbrauch bilanzieren müsse. Das sei in fünf Bereichen möglich: Ernährung, Mobilität, Wohnen, Konsum und öffentlicher Konsum. „Der persönliche Fußabdruck ergibt sich nur aus den Emissionen, die dem Privatleben zuzuordnen sind.“ Mein täglicher Stromverbrauch, der durch meine Arbeit am Computer entsteht, fließt in den Abdruck meines Arbeitgebers, erklärt Bock. Um herauszufinden, wie hoch mein Jahresverbrauch ist, rät er zum CO2-Rechner des Umweltbundesamtes.
Gesagt, getan. Ich fülle die Online-Maske des Rechners gewissenhaft aus und beantworte alle Fragen zu meinem Lebensstil. Welche Art der Heizung nutze ich? Ernähre ich mich fleischbetont? Kaufe ich gebrauchte Gegenstände? Am Ende kommt ein Wert heraus, der mein schlechtes Gewissen leicht auflockert. Mein jährlicher Verbrauch liegt bei 10,82 CO2 im Jahr. Auffallend hohe 1,25 Tonnen spare ich in meinem Konsumverhalten, dazu zählen beispielsweise Hotelübernachtungen.
Darf ich nach Island fliegen?
Mein Ist-Zustand ist damit geklärt. Doch bevor ich mein Einsparszenario durchrechnen lasse, habe ich noch einige Fragen an Seraja Bock. Mir graut es davor, dass ich mir selbst eine Radikalkur auferlege, die meinem Leben jede Freude raubt. Ich plane im nächsten Jahr eine Reise ins isländische Reykjavik. Allein der Hin-und Rückflug schlägt mit rund 1,7 Tonnen CO2-Ausstoß in meine Bilanz ein. Darf ich überhaupt in den Flieger steigen?
Das müsse ich selbst entscheiden, so der Umwelt-Experte. Er erklärt, dass es bei einer klimafreundlichen Lebensweise nicht per se um Einschränkungen gehe. Vielmehr sollen eigene Gewohnheiten reflektiert werden. Was ist mir wichtig? Wo liegt meine Schmerzgrenze? Verbessert eine Veränderung sogar meine Lebensqualität? Diese Fragen müsse ich zuerst beantworten und später danach handeln. Er warnt jedoch: „Das Aufbrechen alter Routinen ist sicher keine einfache Sache.“
Fahrrad löst mein Auto ab
Mit dem Wissen nutzte ich zum zweiten Mal den CO2-Rechner, nun mit der Intention ein klimafreundliches Leben zu führen. Der erste Punkt, der bei mir großes Veränderungspotenzial birgt, ist mein Verhältnis zu meinem Auto. Meine 6700 Kilometer, die ich im Jahr zurücklege, müssen reduziert werden. Selbst die lächerlich kurzen zehn Minuten zur Arbeit fahre ich.
Ich entschließe mich, dass mein Kilometerstand mit jährlich 400 Kilometer Radfahrerei entlastet werden soll. Dazu werden Heimatbesuche in Stuttgart künftig mit Bus oder Bahn angepeilt. Ist das eine günstige Alternative, verkaufe ich mein Auto.
Fleisch nur zu besonderen Anlässen
Der zweite Punkt ist meine Ernährung. Bock sieht meinen Wohnort Konstanz als Vorteil. In einem ländlichen Umfeld hätten die Märkte öfter Kooperationen mit lokalen Bauern. Das ist gut für meine künftige Speisekarte. Sie besteht nicht mehr aus Tiefkühlkost, sondern zum Großteil aus regionalen und saisonalen Waren. Fleisch kommt nur zu besonderen Anlässen auf den Teller.
In puncto Heizung werde ich Wohntemperatur um mehr als ein Grad senken. Mein Kaufverhalten für Gegenstände bleibt niedrig. Rechnet man alle meine Ziele um, lande ich in zehn bis 15 Jahren bei einem CO2-Verbrauch von 7,23 Tonnen im Jahr. Um diesen Wert zu erreichen, drehe ich ab heute an meinen Stellschrauben. Eckart von Hirschhausen wäre sicherlich stolz.
