Afrika begann gleich hinter unserm Jägerzaun: Vorne die Brennnessel-Savanne, dahinter der mannshohe, fußballfeldgroße Brombeer-Dschungel, so dornig, dass wir mit selbstgeschnitzten Holz-Macheten tiefe Schneisen hineinschlagen mussten. Und ganz hinten, quasi in Südafrika, da lag unser Hauptquartier. Ein Baumhaus in fünf Meter Höhe, thronend in vier Buchen, die scheinbar wie bestellt im Quadrat gewachsen waren und nun als Eckpfeiler unserer Hütte dienten.
Traumhaus für Kinder
Von hier oben kontrollierten meine Freunde Guido, Michael und ich ganz Afrika, mal als Tarzan oder Ranger, mal als Safari-Jäger und immer mit Fernglas und Flitzebogen. Aber höchstens so lange, bis der mütterliche Ruf „Reinkommen, Abendessen ist fertig“ aus dem Küchenfenster gellte. Dann mussten wir aus dem abenteuerlichen Wildnisgrundstück namens Afrika zurück in die Prilblumen-Zivilisation.

Dieses Afrika der 1970er-Jahre ist längst einem Rotklinker-Doppelhaus-Dorf gewichen, mit akkurat arrondierten Rasenflächen in Badehandtuch-Größe. Nicht nur bei uns hinterm Haus, sondern vielerorts in Deutschland. Denn in Städten gibt es sie fast nirgends mehr, diese wunderbaren brach liegenden Grundstücke mit Gestrüpp, Schilf und Kletterbäumen, aber ohne Betreten-verboten-Schild.
Dennoch, ein Baumhaus ist bis heute das Traumhaus für Kinder. Wann immer sie gefragt werden, wie ein Spielgelände umgestaltet oder neu angelegt werden soll, bei Kindern steht ein hölzerner Hochsitz ganz oben auf der Hitliste. Und auf der so manches Erwachsenen ebenso.

Baumhäuser haben Tradition
Caligula, der spleenige römische Kaiser (er ernannte sein Pferd zum Nachfolger) soll rauschende Feste hoch oben in einer riesigen Platane gefeiert haben. Königin Elisabeth I. von England liebte es angeblich, in einer Linde zu frühstücken. Und Mitglieder der Familie Medici wetteiferten im 16. Jahrhundert um das schönste Baumhaus aus Marmor. Der zehnjährige Lausbub Bart Simpson, bekannt aus der Zeichentrickserie „Die Simpsons“, plant in seinem Baumhaus regelmäßig Streiche und feiert Partys, auf denen keine Mädchen zugelassen sind. Immer mehr Menschen kommen auf den Geschmack und richten sich in luftigen Höhen ihre Büros ein.
Auch in der Tourismusbranche bieten Hotels immer öfter Übernachtungen in Baumhäusern an. Das zurzeit höchste touristisch genutzte Baumhaus der Welt steht in Kerala in Indien. In 26 Meter Höhe können Touristen im Green Magic Tree House übernachten. Hinauf kommt man mit einem Fahrstuhl. Ganz ohne Fahrstuhl lebt der Stamm der Korowai im Dschungel von Papua Neuguinea noch heute in Baumhütten, die in einer Höhe von bis zu 40 Meter liegen.
Abenteuerspielplatz mit Prickelfaktor
Denn bis dort oben fliegen die Pfeile gelegentlich angreifender feindlicher Clans nicht. Ein Höhenvorteil, den auch deutsche Kinder schätzen. Nicht, dass sie sich bedroht fühlten, aber beobachtet – von ihren Eltern. Im Baumhaus jedoch sind sie vor ihnen sicher. Hier lassen sich prima Streiche aushecken, Geheimnisse abhörsicher besprechen, Ärger und Frust verdauen.

Außerdem ist diese „Zweigstelle“ in der Astgabel ein Abenteuerspielplatz mit hohem Prickelfaktor, etwa beim Übernachten. Nicht nur wegen der Gänsehaut, wenn die Schlafsäcke klamm werden bei der ersten Übernachtung im Baumwipfel.
Überall raschelt und krabbelt es, streunende Katzen kreischen nachts, der Uhu ruft wie im Gruselkrimi. Natürlich hat keiner der tapferen Baumhausschläfer Angst, aber jeder ist insgeheim erleichtert, wenn ab vier Uhr morgens die Kohlmeisen ihren Weckruf zwitschern und erste Lichtstrahlen durch die Astlöcher der Sperrholzwände stechen.

Sie wollen einen Fahrstuhl hoch zum Baumhaus? Auch das geht. Mit einer Badewanne. Eine Videoanleitung (ab Minute 2:20):
Ein kurze Bauanleitung für Eltern
Wer seinem Kind oder seinen eignen Kindheitstraum vom Baumhaus erfüllen will, sollte nicht einfach darauf los hämmern. Denn man darf nicht überall ein Baumhaus errichten und sollte etwas handwerkliches Geschick besitzen. Worauf Eltern beim Bau achten sollten:
- Darf ich in meinem Garten einfach losbauen? Das sollten Sie lieber lassen. Sonst geht es Ihnen womöglich wie Familie Schneider aus Buchholz bei Hamburg. Vater Peter Schneider hatte das Baumhaus für seine drei Kinder gerade fertig, da stand der Mann von der Bauaufsicht im Reihenhausgarten, in Marsch gesetzt durch eine anonyme Anzeige von Nachbarn. Der Beamte identifizierte das Baumhaus als „genehmigungspflichtige bauliche Maßnahme aus Holz“. Und zwar nur, weil Ingenieur Peter Schneider auf die Sicherheit seiner Kinder geachtet und die Hütte nicht nur am Baum befestigt, sondern auch auf Stelzen gesetzt hatte. Die Luft zwischen den Stelzen jedoch gilt als „umbauter Raum“. Damit hatte das Baumhaus mehr umbaute Fläche, als laut Vorschrift ohne Genehmigung erlaubt ist. Folglich mussten die Schneiders ihr Luftschloss wieder abreißen.
- Wie sieht es mit wilden Bauen aus? Davon raten Baumhaus-Experten dringend ab: Mieter sollten vor Baubeginn den Grundstückseigentümer ausführlich über das Projekt informieren. Auch ein Blick in die Baumschutzverordnung ist oft hilfreich, denn einige Bäume stehen unter Naturschutz und dürfen nicht beschädigt und bebaut werden. Andere Möglichkeit: Eine Elterninitiative gründen und von Anfang an mit den Zuständigen bei der Stadt zusammenarbeiten.
- Welcher Baum ist geeignet? „Ideal sind gesunde Eichen, Buchen, Ahorn oder auch Kiefern“, rät Johannes Schelle, Chef der Firma Baumbaron, die seit mehr als zehn Jahren individuelle Baumhäuser konstruiert. „Der Stamm sollte einen Durchmesser von wenigstens 40 Zentimeter haben“, rät Schelle. Und dann unbedingt prüfen, ob der Baum gesund ist, stand- und bruchfest. Hat er stellenweise kahle, abgestorbene Äste? Dann ist der Baum nicht geeignet.
- Wo und wie platziere ich im Baum das Haus? Das Gerippe für das Baumhaus sollten drei, besser noch vier kräftige, oberschenkeldicke Äste bilden, nicht zu weit entfernt vom Stamm und ebenfalls ausgesucht und intensiv auf Belastung und Bruchsicherheit getestet von Erwachsenen. „Passen Sie Ihre Planungen dem Baum an, nicht umgekehrt“, rät Johannes Schelle: „Wo muss man womöglich keinen Ast wegnehmen? Wie sieht es mit dem Lichteinfall aus? Wo ist der Blick besonders?“ Wenn möglich, die Hütte so groß planen, dass drei Kinder drin schlafen können. Sind die Äste ausladend genug, um so ein Baumhaus zu tragen? Und nicht höher als zwei, drei Meter? Wenn ja, dann kann das Fundament darauf entstehen – am besten aus Rundhölzern, mindestens von der Dicke eines Unterschenkels. Diese sind so auf den Ästen zu befestigen, dass das Gewicht der späteren Hütte gleichmäßig auf ihnen verteilt wird.
- Reicht es, wenn ich das Baumhaus mit Seilen befestige? Nur Baumhaus-Profis sollten die Rundhölzer mit Seilen oder Tauen verschnüren. Lange Nägel sind die eindeutig sicherere Lösung. Sofern sie nicht aus Kupfer sind, schaden sie dem Baum nicht, sondern piesacken ihn lediglich wie ein Mückenstich den Menschen. Schrauben hingegen können Bäume so sehr schädigen, dass sie morsch werden und absterben.
- Womit fange ich an? Erst einen Fußboden auf das Rundholz-Fundament nageln, dann die Baumhaus-Wände hochziehen. Für beides eignen sich am besten vorher zugeschnittene Profilbretter aus dem Baumarkt oder vom Schreiner um die Ecke. Diese Hölzer greifen wie Parkett an den Kanten ineinander. Dadurch werden Fußboden und Wände stabiler, zugige Ritzen können von vornherein vermieden werden. Zwischen tragenden Ästen und Wänden jedoch sollte ein wenig Platz bleiben, damit die Bäume sich im Wind weiterhin bewegen können, ohne dass die Hütte dabei beschädigt wird. Fenster nicht vergessen, sonst ist es am Ende düster in der Hütte. Wenn möglich, sollten die Kinder im Baumhaus stehen können. Oben drauf gehört entweder ein Spitzdach oder ein Pultdach. Jedenfalls schräg muss es sein, damit das Regenwasser abfließen kann. Unbedingt Dachpappe drauf nageln, damit´s nicht durchtropft.
- Welche Sicherheitsvorkehrungen sollte man treffen? Um die Knochenbruch-Wahrscheinlichkeit entscheidend zu senken, sollte die Baumhaus-Tür nur nach innen aufgehen, damit die Bewohner nicht beim Öffnen rausfallen können. Außerdem muss vor der Tür noch eine Art Mini-Terrasse mit Geländer (mindestens 70 Zentimeter hoch) gebaut werden, um Stürze zu verhindern. Und der Boden unter der Hütte sollte sehr gut gepolstert sein, etwa mit einer dicken Schicht Rindenmulch. Für den Aufstieg in die Hütte ist eine fest installierte Treppe mit Geländer die sicherste Variante. Aber nur, wenn keine kleinen Kinder da sind, die im unbeobachteten Moment hochklettern. Um dies zu verhindern, sind abnehmbare Strickleitern die bessere Lösung. Aber generell sollte man das Hochsteigen mit den Kindern üben.
- Gibt es auch fertige Baumhäuser? Ja, auch das gibt es. Diese gibt es aber etwa 5000 Euro. Das Unternehmen Baumraum bietet zum Beispiel maßgefertigte, nicht wärmegedämmte Baumhäuser an. Der Bremer Architekt Andreas Wenning hat sich darauf spezialisiert. Etwa drei bis sieben Monate brauchen seine Zimmerleute, um ein solches Haus zu konstruieren und aufzubauen, vorzugsweise aus unbehandelter Lärche. Wenn das Baumhaus nicht nur von außen, sondern auch von innnen richtig schöne werden soll, kostet so ein Baumhaus zwischen 18 000 und in Luxusvarianten bis zu 150 000 Euro. Dann ist es aber auch wärmeisoliert, hat Stromanschluss, filzbespannte Sitz- und Bettflächen sowie einen Mini-Balkon für lauschige Sommerabende.