Frau Lippold, warum sind Sie Freimaurerin geworden?

Ich war so um die 40, da stellte ich fest, dass mir etwas in meinem Leben fehlte. Ich war beruflich weit gekommen, mit der Familie war auch alles gut – aber mir fehlte etwas. Ich erlebe das oft, dass es anderen auch so geht. Wir nennen diese Menschen „Suchende“.

Ich arbeitete damals in Düsseldorf und war im Internet darauf gestoßen, dass es Freimaurerinnen gibt. Ich bin dann zu einem Gästeabend gegangen, war ein Jahr Gast und habe schließlich einen Aufnahmeantrag gestellt, dem die Schwestern zugestimmt haben.

Ich habe eine Institution gesucht, bei der Beruf und Status keine Rolle spielen, sondern in der entscheidend ist, wie man sich verhält. Bei den Freimaurern muss ich nichts glauben, man unterhält sich auf Augenhöhe. Es ist ein Austausch ohne Dogmen.

Die Freimaurer haben ja Symbole wie Zirkel und Winkelmaß. Das wirkt alles sehr traditionell, um nicht zu sagen, extrem retro...

Zirkel und Winkelmaß erinnern an mittelalterliche Bauhütten, diese Symbolik hat man behalten, weil wir an einer besseren Gesellschaft mitbauen wollen. Aber auch das Buch – die Bibel – spielt eine Rolle. Das Buch ist die ethische Grundlage unseres Handelns, der rechte Winkel erinnert an das Thema Gerechtigkeit und der Zirkel, der den Kreis schlägt, an die Liebe.

Die Symbole: Winkel und Zirkel liegen auf der Bibel.
Die Symbole: Winkel und Zirkel liegen auf der Bibel. | Bild: engineer – stock.adobe.com

Die ersten Freimaurer wurden im Großbritannien des 17. Jahrhunderts gegründet, und später gab es prächtige Logenhäuser. Lange Jahre waren nur Männer erlaubt, vor etwa 70 Jahren hat man sich dann auch den Frauen geöffnet.

Die Rituale dienen dazu, eine meditative Ebene in das zu bringen, was wir tun, und sie stiften Gemeinschaft. Das kann auf Außenstehende ein bisschen antiquiert wirken.

Worüber reden Sie in Ihren Zusammenkünften?

Über Tagespolitik weniger. Oft geht es um philosophische Themen, wie Ethik und Menschenwürde. So nehmen wir europaweit auch zu Themen wie der Flüchtlingstragödie im Mittelmeer Stellung. Manchmal geht es auch um das Arbeiten mit Symbolen. So war das auch bei der „Lichteinbringung“, bei der die Konstanzer Frauenloge vor Kurzem symbolisch „in Arbeit gesetzt wurde“, wie wir das nennen.

Der Tisch: ein paar Blumen und Kerzen genügen für den Meistertisch.
Der Tisch: ein paar Blumen und Kerzen genügen für den Meistertisch. | Bild: Petra Lippold

Wir waren im Konstanzer Konzil mit etwa 80 Gästen. Da gibt es dann einen „Meistertisch“ mit unseren Symbolen, und der Meisterin der neuen Loge wird ein Hammer überreicht. Eine große Rolle bei den Treffen spielen auch Kerzen. Wir tragen dabei alle einheitliche Kleidung in Schwarz, die zeigen soll, dass wir alle den gleichen Status haben.

In den Treffen hält oft eine Mitschwester ein Referat zu einem bestimmten Thema, über das wir im Anschluss diskutieren. Wer reden will, muss erst das Wort erhalten. Man lernt, sorgfältiger zu formulieren, zuzuhören, Dinge zu hinterfragen, und anderen Zeit zu lassen. Bei uns kommen auch die Leute zu Worte, die stiller sind. Das ist das genaue Gegenteil von Facebook und vielen Diskussionen im Fernsehen.

Einer bestimmten Religion muss man nicht angehören?

Nein, wir fragen nicht nach Religion oder Parteizugehörigkeit. Man kann als Öko, aber auch als Konservative Freimaurerin sein. Wer neu zu uns kommt, wird „Lehrling“ genannt. Diese Frauen suchen danach, wer sie sind. Als „Geselle“ geht es dann schon um die Gemeinschaft, und die „Meisterin“ ist für die Loge verantwortlich.

Der Schmuck: Zu ihrer schwarzen Kleidung tragen die Frauen bei ihren Treffen diese Anhänger. Gut zu sehen: der Bodensee.
Der Schmuck: Zu ihrer schwarzen Kleidung tragen die Frauen bei ihren Treffen diese Anhänger. Gut zu sehen: der Bodensee. | Bild: Petra Lippold

Ein berufliches Netzwerk – wie etwa die Burschenschaften – sind die Freimaurerinnen also nicht?

Nein. Wir sind kein berufliches Netzwerk, sondern ein geistiges. An Berufen ist bei uns alles vertreten, von der Hausfrau bis zur Ärztin, von der Sekretärin bis zur Architektin oder Erzieherin. In Konstanz sind Frauen im Alter von 30 bis 65 Jahren dabei.

Freimaurer halten sich sehr bedeckt, als Außenstehender kann man in den abgeschlossenen Kreis kaum hineinblicken. Warum diese, verzeihen Sie, Heimlichtuerei?

Also, Geheimnisse gibt es keine (sie muss lachen). Aber es gibt viele Vorurteile und Verschwörungstheorien, in denen den Freimaurern die Schuld an allem möglichen auf der Welt zugewiesen wird. Deswegen zeigen sich die Mitglieder auch nicht im Internet. Kirchlich Beschäftigte müssen zum Beispiel mit massivem Ärger rechnen, wenn sie Freimaurerinnen sind.

Das Logenhaus in Konstanz.
Das Logenhaus in Konstanz. | Bild: Freimaurerinnen Konstanz

Im Internet schwirren immer noch Bücher wie „Die Protokolle der Weisen von Zion“ herum, die Freimaurer und Juden als Weltverschwörer bezeichnen. Es ist sehr schwer, gegen solche Theorien zu argumentieren.

An unseren Gästeabenden kann jeder kommen und Fragen stellen. Da hören wir oft die abstrusesten Dinge, wir würden Gott lästern, wir seien ein Geheimbund, und so etwas. Da können wir dann im Gespräch aufklären und klarstellen, worum es uns wirklich geht.

Über unsere Rituale sprechen wir nicht gern, weil sie für uns bleiben sollen. Es ist auch eine gewisse Emotionalität dabei, die wir schützen wollen.

Warum haben Sie eine Frauenloge gegründet?

Eine Loge kann man nicht allein gründen. Wir sind alle in einer Frauenloge aufgenommen worden und möchten in dieser Tradition auch gerne weiterarbeiten. Etwas Anderes stand eigentlich auch nie zur Diskussion. Wir können im Logenhaus der Konstanzer Männerloge arbeiten, in friedlicher Koexistenz.

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Braucht man die Freimaurer heute überhaupt noch? Passt eine solche Gruppe noch ins 21. Jahrhundert?

Ich finde schon! Wir pflegen Traditionen, mit denen wir schon fast wieder modern sind. Wir unterhalten uns live miteinander, nehmen uns Zeit und hören einander zu. Ganz anders als im Netz, wo es so drunter- und drübergeht. Da haben wir durchaus etwas anzubieten.

Wir diskutieren aber nicht nur, wir handeln auch. Wir haben vor Kurzem eine größere Spende ans Konstanzer Frauenhaus übergeben. Das ist ein weiterer Aspekt der Freimaurerei. In unseren Grundsätzen heißt es: „Geht raus in die Welt und tut auch etwas.“ Da steht aber auch: „Wehret dem Unrecht, wo immer es sich zeigt, seid aber auch achtsam auf euch selbst.“ Das finde ich einen sehr modernen Grundsatz.

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