Wer vermummte, schwer bewaffnete Gangster, die in wenigen Metern Entfernung einen Millionenraub begehen, mit dem Handy fotografiert, ist gewiss kein ängstlicher Mensch. Doch ein knappes Jahr später bewegt der 60-Jährige im Zeugenstand nervös die Beine hin und her. Schließlich sitzen drei Männer, die nach Überzeugung des Staatsanwalts an der aufsehenerregenden Tat beteiligt waren, schräg hinter ihm. Tauschen vielsagende Blicke aus mit Bekannten auf den Zuschauerbänken.
Im Saal 704 des altehrwürdigen Berliner Landgerichts in Moabit muss der grauhaarige Mann schildern, wie sein morgendlicher Weg zur Arbeit vor der Mündung eines Sturmgewehrs vom Typ Kalaschnikow endete. Wie er Zeuge eines der spektakulärsten Verbrechen in der Kriminalgeschichte der deutschen Hauptstadt wurde. Begangen mutmaßlich von Männern aus dem Milieu der berüchtigten arabischen Familienclans. Einer Szene, die den Rechtsstaat verachtet, Polizei und Justiz immer dreister herausfordert.

Jetzt hat der Staat den Clans den Kampf angesagt. Vor wenigen Tagen sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer: „Wir vertreten inzwischen einen Null-Toleranz-Ansatz“. Der CSU-Politiker verwies auf das aktuelle Lagebild des Bundeskriminalamts zur organisierten Kriminalität. Demnach wurden 2018 in Bund und Ländern 45 Ermittlungsverfahren „kriminellen Mitgliedern ethnisch abgeschotteter Subkulturen“ zugeordnet.

Der Kampf gegen die Macht der Clans findet nicht nur auf den Straßen von Problemvierteln, sondern auch vor Gericht statt. Und er ist selten einfach, dafür oft zermürbend und frustrierend. Am Landgericht Berlin zeigt sich das derzeit fast täglich. Im mit dunklem Holz getäfelten Saal schildert der Zeuge seine finsteren Erlebnisse von Mitte Oktober 2018. Das Verfahren hat eben erst begonnen, es soll bis ins Frühjahr dauern. Eine Prognose über den Ausgang will derzeit niemand wagen, obwohl die Beweislage als vergleichsweise gut gilt.
Selber Tag, selbe Uhrzeit, selbes Gerichtsgebäude: Im Saal 817 müssen sich drei Angehörige des fraglichen Clans verantworten. Den Brüdern Ahmed und Wayci R. sowie ihrem Cousin Wissam R., alle Anfang 20, wird vorgeworfen, im Frühjahr 2017 eine der größten Goldmünzen der Welt aus dem berühmten Bode-Museum auf der Museumsinsel gestohlen zu haben. Die 100 Kilo schwere kanadische „Big Maple Leaf“ hatte zur Tatzeit einen Wert von 3,75 Millionen Euro. Die drei Hauptangeklagten sollen die nötigen Informationen von ihrem Kumpel, einem Museums-Wachmann, erhalten haben.

Die vier Männer wirken wie die jüngeren Ausgaben der Verdächtigen im Geldtransporter-Prozess. Exakt gestutzte Bärte, Trainingsklamotten, teure Turnschuhe mit dicken Luftpolstersohlen. Der Prozess dauert schon seit Anfang des Jahres, Insider rechnen demnächst mit einem Urteil. Äußerlich regungslos bis demonstrativ gelangweilt verfolgen die jungen Männer den Prozess. An ihre Seite tippen Top-Juristen aus den feineren Anwaltskanzleien der Stadt in ihre Laptops.
Entscheidend für den Ausgang dieses Prozesses könnte das Gutachten eines Wissenschaftlers sein, der Überwachungsvideos von den vermummten Tätern mit modernsten biometrischen Methoden analysiert hat. Und zum Schluss gekommen ist, dass Körpermaße und Bewegungsmuster der Männer auf dem Video mit denen der Angeklagten übereinstimmen. Noch ist nicht klar, ob das Gericht das relativ neue Verfahren für ausreichend beweiskräftig hält. Die Verteidiger lehnen die Methode als „unseriös“ ab.

Bushido und der Clan
Eine weitere Baustelle der Justiz im arabischen Clan-Milieu ist die Affäre um den Rapper Bushido und den berüchtigten Berliner Clanchef Arafat Abou-Chaker. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat jetzt Anklage gegen Abou-Chaker und mehrere seiner Brüder erhoben. Die Ermittler werfen ihnen eine Reihe von Straftaten vor, die überwiegend in Verbindung mit dem Musiker stehen sollen. Der mutmaßliche Haupttäter ist demnach Arafat Abou-Chaker. Er ist unter anderem angeklagt wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung, Freiheitsberaubung, gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung. Neben Arafat Abou-Chaker sind auch Yasser, Nasser und Rommel angeklagt – Nasser und Rommel wegen Beihilfe. Yasser Abou-Chaker soll seine beiden Kinder gegen den Willen der Mutter aus Dänemark entführt haben. (AFP)