Kulturrevolutionen dauern immer ein bisschen, bis sie in Deutschland ankommen. 1969 hatten die Musiker von Led Zeppelin die britischen Albumcharts aufgemischt, mit ihrem im Herbst 1968 eingespielten gleichnamigen Debütalbum. Ebenfalls 1968 hatten sich in Birmingham Black Sabbath gegründet, ein Quartett um den 19-jährigen charismatischen Sänger John Michael Osbourne, genannt Ozzy. Die Songs ihres Debütalbums konnten es an Aggressivität mit denen der Zeppelins mühelos aufnehmen – und das düstere Image der Band (die sich nach einem alten Schwarz-Weiß-Horrorfilm benannt hatte) sorgte für einen hohen Aufmerksamkeitsfaktor bei Rockfans weltweit.

Die Entwicklung in Deutschland folgte mit Verzögerung: Am 1. März 1970 stürmte der Song „Whole Lotta Love“ der britischen Band Led Zeppelin den Spitzenplatz der bundesrepublikanischen Single-Hitparade, all die Roy Blacks, James Lasts und Peter Maffays brüsk auf die Plätze verweisend. Es war das erste Mal, das ein derart harter Rocksong hierzulande zur Nummer 1 avancierte – und er blieb dort ganze neun Wochen lang.

Erst später fanden Deep Purple zu ihrem bekannten Dampframmenspiel

Ironischerweise hatte sich diejenige Band, die heute als Inbegriff des Hardrock gilt – Deep Purple – anfangs einem ganz anderen musikalischen Stil verschrieben. Mit dem Begriff Klassik-rock lässt sich wohl am ehesten der Sound etikettieren, der auf den ersten vier Alben (1968/69) zu hören war: überlange orgelbetonte Monsterstücke, oft sehr eigenwillige Coverversionen bekannter Hits, die manchmal sogar zusammen mit einem Streicher-ensemble („April“) oder einem Sinfonieorchester („Concerto For Group And Orchestra“) eingespielt wurden. Erst auf der im Sommer 1970 erschienenen LP „Deep Purple In Rock“ fand die Gruppe zu dem Dampframmenspiel, das sie bis heute kennzeichnet. Nachfolge-Alben wie „Fireball“ und „Machine Head“ untermauerten den Ruf der Band, die Speerspitze der globalen Hardrock-Bewegung zu sein: Songs wie „Smoke On The Water“ und „Highway Star“ gelten seit Jahrzehnten als Klassiker des Genres (beide von „Machine Head“).

Ursprünglich ein überwiegend britisches Phänomen, schwappte die Hardrock-Welle in die USA über, mit Acts wie Alice Cooper, Grand Funk Railroad, Mountain und Blue Öyster Cult. Zentrum der Bewegung blieb jedoch England – das Argument, bereits die Who und die Kinks hätten dort mit gelegentlichen Hardrock-Riffs in ihren Songs ab Mitte der 1960er-Jahre den Boden für den neuen Sound vorbereitet, ist nicht ganz von der Hand zu weisen.

Apropos Gitarre: Elektrisch verstärkt und mit ohrenbetäubender Lautstärke gespielt, dominierte sie den neuen Stil, und ein langes Solo auf diesem Instrument darf seit jeher in keinem zünftigen Hardrock-Song fehlen. Ein Konzert der US-Band Kiss im Sommer 2009 im kanadischen Ottawa gilt als das lauteste Rock-Konzert aller Zeiten – mit sage und schreibe 136 Dezibel beschallten die Musiker damals ihr Publikum (zum Vergleich: Ein startender Düsenjäger kommt auf etwa 130 Dezibel, ein Presslufthammer auf rund 120).

Als ab Mitte der 1970er-Jahre die britischen und amerikanischen Punkrocker die etablierte populäre Musikszene aufmischten, gerieten auch die inzwischen reich und berühmt gewordenen Hardrock-Idole unter Druck. Deep Purple lösten sich 1976 auf, Led Zeppelin 1980. Ein Jahr vorher wurde Ozzy Osbourne als Black Sabbath-Frontmann gefeuert – angeblich wegen seines exorbitanten Drogenkonsums (Nicht weniger als sechs verschiedene Leadsänger verschliss die Band in den Jahren danach; erst 1997 stieß Ozzy wieder zu seinen alten Kumpels). Punkmusik war noch um einiges aggressiver als Hardrock: eine ausgeprägte Anti-Establishment-Attitüde kam hinzu, und das Credo der Szene war: „Nimm eine Gitarre in die Hand und fange an zu spielen.“ Ausgedehnte Instrumentalsoli und technische Brillanz waren demzufolge verpönt – ein krasser Gegensatz zu den Ansprüchen der Zeppelin/Purple/Sabbath-Gitarreros und ihrer Epigonen.

New Wave of British Heavy Metal

Apropos Epigonen: Um die Jahrzehntwende 1979/80 herum startete in England die sogenannte „New Wave of British Heavy Metal“, ein Sammelbegriff für eine ganze Reihe von Bands, die wiederum von einem Dreigestirn – Iron Maiden, Judas Priest, Motörhead – angeführt wurde und die außerordentliche Aggressivität des Punk mit der technischen Virtuosität des klassischen Hardrock verband.

Insbesondere Motörhead schafften es bis zum viel zu frühen Tod ihres Frontmanns „Lemmy“ Kilmister 2015 mühelos, sowohl Punk- als auch Hardrock- beziehungsweise Metal-Fans hinter sich zu vereinen (bis in die 1980er-Jahre waren die Begriffe Hardrock und Heavy Metal praktisch austauschbar; erst in den letzten Jahrzehnten wird unter Metal die ultraharte Variante des Genres verstanden). Zu regelrechtem Stadionrock-Status stiegen in den letzten 25 Jahren Iron Maiden auf; seit längerer Zeit bauen sie auch Elemente des Progressive Rock in ihre Songs ein.

Eher vom Bluesrock her kommen die australischen AC/DC, die international mit ihrem Album „Back in Black“ (1980) durchstarteten. Auch bei ihnen bilden kernige Eingangsriffs das Grundgerüst ihrer Songs, auch sie sind bekannt für dezibelstarke Live-Auftritte. Ebenso wie Iron Maiden, die 1984 re-formierten Deep Purple und die von 2010 bis letztes Jahr wieder aktiven Black Sabbath füllen sie heute noch die größten Stadien, auch wenn ihr Sänger Brian Johnson aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht mehr live auftreten kann und ab 2016 durch den Frontmann der stilverwandten Guns’n’Roses, Axl Rose, ersetzt wurde (eine unter AC/DC-Fans sehr umstrittene Entscheidung).

Unbestrittene Könige der harten Rockmusik sind heute die Musiker der 1981 in Los Angeles gegründeten Band Metallica, die von einer Nischen-Existenz zu einer der erfolgreichsten und beliebtesten Rockgruppen aller Zeiten aufgestiegen sind. Knapp 130 Millionen LPs, CDs und bespielte Kassetten hat sie bisher verkauft. Das Geheimnis ihres Erfolges ist wohl ähnlich wie bei Motörhead die Kombination aus technischer Virtuosität und rotziger „punkiger“ Attitüde – und die Fähigkeit, unterschiedliche Fangruppen anzusprechen, auch solche, die ansonsten mit Metal oder Hardrock nicht allzuviel am Hut haben.

Selbst vor elegischen Mainstreamballaden à la Scorpions schrecken die Musiker nicht zurück – gern garniert mit lärmigen Soli, die die sanft-melancholische Grundstimmung regelrecht zerfetzen. Ob Thrash Metal, Doom Metal, Nu Metal oder Grunge – fast alle Subgenres werden auf die eine oder andere Art in den Metallica-Sound integriert. Die Popularität der Band ist ungebrochen: Fast alle Konzerte der im Februar startenden Europa-Tour sind schon ausverkauft, in vielen Städten mussten Zusatztermine anberaumt werden. Der Hardrock blüht und gedeiht auch 2018 – und das ein halbes Jahrhundert nach seiner Geburt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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