Nicola Maria Reimer

Herr Reim, in Vorbereitung auf unser Treffen habe ich ein bisschen recherchiert und das Video „Euphorie“ angeschaut. Nun habe ich einen Ohrwurm. Danke dafür.

(lacht) Wenn Sie das Lied nicht aus dem Kopf bekommen, dann können Sie sich ja vorstellen, wie es mir erging, fast drei Monate lang daran zu arbeiten und ein Musikvideo zu produzieren, bei dem es locker 500 Mal lief.

https://www.youtube.com/watch?v=KUrp0yEuYeI

Wo ordnen Sie sich musikalisch ein?

Ich mache deutsche Popmusik – auch wenn es Richtung Schlager geht, das hat aber einen Grund. Fast alle aktuellen deutschen Popsongs sind sehr pianolastig und todtraurig. Ich finde es gut, über dunkle Themen zu sprechen und zu singen, aber nicht nur. Ich mag Pop mit einem Up-tempo, das macht gute Laune. Ich feiere amerikanische Popmusik und Independent Artists. Aber nehmen wir mal Ed Sheeran, die Musik ist von der Form her eigentlich Schlager, aber auf Englisch und klingt cool.

Ich habe, damit ich nicht mit meinem Dad verglichen werde, auch versucht, englische Texte zu machen, aber mein Dad hat mich gewarnt, dass ich da nicht authentisch sein könnte. Da hilft mir meine Eins in Englisch auch nicht, denn das ist ganz einfach nicht meine Muttersprache. Das hat an meinem Ego gekratzt und ich wollte schauen, ob ich auch auf Deutsch texten kann – das ist von der Phonetik her wesentlich schwieriger.

Sie haben Abitur gemacht, hätten studieren können. Was für eine Alternative hätte es für Sie zur Musik gegeben?

Ganz ehrlich, mein Abi habe ich nicht dazu gebraucht, um zu studieren, sondern um meine Mutter glücklich zu machen. Aber das ist eine gute Frage, ich habe da wohl nicht sonderlich intelligent voraus gedacht. (grinst) Für mich gab es nur die Musik, darauf habe ich mich früh vorbereitet, habe nicht nur Gitarre und Klavier gelernt, sondern auch Songwriting und wie man produziert. Mir war wichtig, dass ich nicht von anderen abhängig bin, sondern einen Song von A bis Z allein rausbringen kann.

Sie haben für Ihren Vater einige Songs geschrieben. Mal ehrlich, wie ist die Zusammenarbeit zwischen Matthias und Julian Reim?

Eigentlich habe ich anfangs Songs geschrieben, nur um Matthias nach seinem Feedback zu fragen. Einige sind dabei hängen geblieben und so wurde ich zufällig zum Songwriter für einen der bekanntesten Sänger Deutschlands, ohne dabei mein Zimmer verlassen zu müssen. Und nebenbei ist das für mich eine super Reputation.

2010 hatte Julian Reim (links neben ihm sein Vater Matthias) seinen ersten TV-Auftritt in der ZDF-Show „Willkommen bei Carmen ...
2010 hatte Julian Reim (links neben ihm sein Vater Matthias) seinen ersten TV-Auftritt in der ZDF-Show „Willkommen bei Carmen Nebel“ (rechts die Moderatorin). | Bild: Carmen Jaspersen/dpa

Sind Sie auf Augenhöhe?

Nein! Überhaupt nicht, das geht ja auch gar nicht, schon allein wegen seiner Erfahrung. Jetzt mal ehrlich, ihm ist es mit „Verdammt, ich lieb‘ dich“ gelungen, über Generationen bekannt zu werden. Wenn ich höre, wie eine 14-Jährige das Lied textsicher mitsingt, dann frage ich mich, wie tief muss dieser Zeitgeist eingedrungen sein? Aber ich fühle mich durchaus von ihm ernst genommen.

Sie haben eine Zeitlang auf Mallorca gelebt, um dort Ihre Karriere voranzubringen. Warum sind Sie wieder nach Deutschland gezogen?

Ich finde es wichtig, als junger Mensch wegzuziehen, sich vom Elternhaus abzulösen, selbständig zu werden. Es ist aber ein Unterschied, ob du von dem Jungen mit der Gitarre träumst, der Hits schreibt, oder ob du in der Realität lebst.

Also sind Sie auf Mallorca gescheitert?

Nein, nicht wirklich gescheitert. Aber mein Dad kam – und es dauert echt lange, bis er sich bei seinen Kindern einmischt – und hat mich nach meinen konkreten Plänen gefragt und mich damit dazu gedrängt, mir klarer darüber zu werden, was ich möchte und wie ich es erreichen will. Und meine Ziele konnte ich in Deutschland besser erreichen als in Spanien.

Preisgekrönt: Julian Reim erhielt 2021 die „Gläserne 4“ als Durchstarter des Jahres.
Preisgekrönt: Julian Reim erhielt 2021 die „Gläserne 4“ als Durchstarter des Jahres. | Bild: Bernd Weißbrod/dpa

Sie sind mit 15 Jahren an den Bodensee gezogen und haben fünf Jahre dort gelebt. Aktuell leben Sie wieder in der Region.

Na ja, die Gegend ist einfach genial. Die Natur, im See schwimmen können, Boot fahren oder Stand-Up-Paddling, das ist schon echt cool. Köln war schön, aber voll, und ich habe den See vermisst. Das ist mir immer aufgefallen, wenn ich hier meine Family besucht habe. Außerdem haben mein Dad und Christin hier ein komplett eingerichtetes Tonstudio, das ich nutzen kann. Nicht zuletzt bin ich auch wieder mit meiner Freundin zusammengekommen, die hier lebt. Ein Grund mehr, an den See zurückzukehren.

Macht Ihre Freundin auch Musik?

Nein, gottlob nicht. Sie ist Erzieherin und ich bin stolz auf sie, dass sie grade ihren Bachelor mit einem grandiosen Abschluss macht. Wir wohnen in dem wohl kleinsten Dorf in der Nähe von Stockach, zusammen mit unserem Siamkater und einem Mops.

Sie haben eine große Familie, gerade gab es noch mal Zuwachs. Wie ist es, mit 25 Jahren wieder großer Bruder zu werden?

Wenn das noch paar Generationen so weiter geht, sind wir alle irgendwann mit den Reims verwandt. (lacht) Ne, keine Ahnung, die Kleine ist schon extrem süß, aber ich habe Respekt vor dem Konzept Baby und trau‘ mich nicht, sie auf den Arm zu nehmen. Und klar, irgendwann will ich auch mal eigene Kinder haben.

Kürzlich ist Ihre neue Single rausgekommen, am 6. Mai erscheint Ihr Album.

Ja, die neue Single heißt „Ich hab‘ dich lieb“ und es geht um die platonische Liebe, zu Freunden, der Familie. An dem Album habe ich drei Jahre lang geschrieben und bei zwei Stücken dachte ich: Das kannst du besser! Also habe ich getüftelt und noch mal den Termin geschoben. Es sollte perfekt sein und das ist es jetzt auch für mich. Ich denke, da ist kein Song drauf, bei dem man skippen möchte.

https://www.youtube.com/watch?v=_bqfAB_j4qw

Es ist auch ein Duett mit Ihrem Vater auf dem Album.

Ja, Matthias hat früher mit seinem Vater und dann später auch mit mir „Father And Son“ von Cat Stevens gesungen. Wir haben da so im Studio rumgeklimpert und haben spontan den Song eingesungen. Erst auf Englisch, dann haben wir unseren Text auf Deutsch gemacht. Eins zu eins geht das nicht, also wir haben unsere Geschichte erzählt, die wohl allgemeingültig ist: Das Wissen und die Erfahrung des Vaters gegen den Sohn, der das irgendwie anders machen will.

Im September tritt Matthias Reim im Radolfzeller Milchwerk auf. Werden Sie den Song zusammen präsentieren?

Zuletzt habe ich mit der Schülerband zum Realschulabschluss im Milchwerk auf der Bühne gestanden. So ein Auftritt mit Matthias wäre geradezu Katharsis. (lacht) Aber: Schau‘n wir mal.