Lieber Matthias Reim,
es ist nicht nett, ein Geburtstagskind noch vor der eigentlichen Anrede auf einen Fehler zu stoßen, ich weiß, deshalb erst einmal herzlichen Glückwunsch! Sie werden am Samstag 65 – das ist eigentlich kein Alter, aber Sie haben in diesen 65 Jahren so viel erlebt wie es andere nicht in mehreren Leben tun. Gutes wie Schlechtes.
65 ist die Zahl, bei der man an den Ruhestand denkt, auch wenn sich das Renteneintrittsalter bekanntermaßen nach und nach erhöht. Sie müssten immerhin nicht bis zu Ihrem 67. Geburtstag warten. Aber: Sie sind Künstler, ein Freiberufler, da ist manches anders.
Zu lange gewartet?
Wer so für die Musik brennt wie Sie, der wird nicht damit aufhören, egal in welchem Alter. Oder? Seit Ihrem Burnout wissen Sie, wie wichtig es ist, sich auch mal echte Ruhe zu gönnen. Aber, und das war der Fehler, der verhängnisvoll hätte sein können: Sie haben gewartet, bis Sie keine Wahl mehr hatten.
Langweilig wird es Ihnen sicher auch in den ruhigeren Zeiten nicht werden, immerhin sind Sie vor ein paar Monaten zum siebten Mal Vater geworden. So ein kleines Kind, das die Welt erst noch entdecken wird, das macht etwas mit einem. Fragen Sie Peter Maffay – der war fast 70, als seine jüngste Tochter zur Welt kam.

Wenn Sie heute in aller Stille mit Ihrer Familie feiern, denken Sie hoffentlich vor allem an schöne Dinge. Aber zum Bilanzziehen – so etwas macht man ja an wichtigen Geburtstagen – gehören eben auch die weniger schönen. Davon haben Sie, ich muss es leider so sagen, nicht wenige erlebt, die Sie aber letztendlich zu dem Menschen gemacht haben, der Sie heute sind.
Beziehungen scheiterten, Songs wurden nicht mehr zu Hits, Sie verspekulierten sich mit ostdeutschen Immobilien und hatten Schulden in Millionenhöhe. Sie hätten nach diesem tiefen Fall aufgeben können. Das wäre einfach gewesen. Sie taten es aber nicht, sondern haben gezeigt, dass ein Comeback immer möglich ist. Das ist etwas, auf das Sie stolz sein können.
Die Reißleine gezogen
Stolz können Sie auch darauf sein, dass Sie vor fast knapp drei Monaten die Reißleine gezogen haben, als es Ihnen immer schlechter ging, Sie aber trotzdem weitermachen wollten, um sich nicht wie ein Verlierer zu fühlen.
Es ist nichts Verwerfliches daran, mal die Zähne zusammenzubeißen, wenn es einem schlecht geht. Das macht jeder Mensch, der nicht nur des Geldes wegen arbeitet. Aber man muss lernen zu erkennen, wann es wirklich nicht mehr geht – und zwar ohne schlechtes Gewissen.
Sie haben gesagt, Sie wollen so einen Burnout nicht wieder erleben. Die Einsicht ist wichtig. Ganz ruhig lassen Sie es trotzdem nicht angehen, dafür ist Ihnen Ihr „unstetes Musikerleben“ zu wichtig, klar. Zwei statt vier Konzerte pro Woche, das ist aber ein erster Schritt.
Tun Sie Ihrer Familie und Ihren Fans bitte einen Gefallen: Vergessen Sie diese guten Vorsätze nicht. Ihre Gesundheit ist Ihr größtes Kapital – der Zusammenbruch war eine klare Ansage. Unverwundbar sind Sie nämlich nicht.