Sir,
Sie merken, ich habe mich vorbereitet. Bei der erstmaligen Ansprache hat man Sie mit Your Majesty, also: Eure Majestät, anzusprechen, anschließend ist Sir ok. Wenn ich eine Politikerin der Linken wäre, würde ich drauf pfeifen und Sie vermutlich schlicht Charles nennen oder vielleicht Herr Windsor. Bin ich aber nicht und finde es deswegen absolut angebracht, mich an die Regeln zu halten, die Sie anlässlich Ihres Staatsbesuchs in Deutschland aus Großbritannien mitgebracht haben.
Das war ja ein ganz schön straffes Programm, das Sie und Ihre Gattin Camilla am Mittwoch, Donnerstag und Freitag dieser Woche absolviert haben. An einem Staatsbankett haben Sie teilgenommen, einen Baum gepflanzt und eine Rede im Bundestag gehalten. Sie waren in Berlin auf dem Wochenmarkt, haben einen sehr praktischen Einblick in die Käseproduktion gewonnen und sind freiwillig mit dem ICE gefahren – jeder, der schon Erfahrungen mit der Deutschen Bahn gemacht hat, wird Sie allein dafür bewundern. In Hamburg haben Sie eine Hafenrundfahrt gemacht und einem Shanty-Chor gelauscht. Langweilig ist Ihnen an den drei Tagen bestimmt nicht geworden.

Aber auch wenn das vielleicht so klingt, Sie wissen es natürlich besser: Der Großteil Ihrer Zeit geht für ganz andere Dinge drauf. Wo auch immer Sie sind, treffen Sie Menschen. Nicht zwei oder drei, eher 20 oder 30 und vielleicht auch mal 200 oder 300 innerhalb kürzester Zeit. Ob das nun Flüchtlinge aus der Ukraine sind, Politiker aller Parteien, Prominente (eins der schönsten Bilder Ihres Deutschlandbesuchs zeigt Sie und Ihre Frau mit einem strahlenden Lächeln, als Sie Motsi Mabuse treffen, Jurorin in der RTL-Show „Let‘s Dance“, aber auch im britischen Pendant „Strictly Come Dancing“, dessen Fan Sie bekanntermaßen sind) oder ganz normale Berliner oder Hamburger, die einfach mal einen König in echt sehen wollen.
Die ihm die Hand schütteln und schnell noch ein Selfie machen wollen. Es muss ganz schön nervig sein, in mehr Smartphones als menschliche Gesichter zu blicken. Aber Sie wissen eben, wie wichtig es ist, mit der Zeit zu gehen – und dass man sich, wenn die Monarchie eine Zukunft haben soll, nicht beschwert, sondern tut, was von einem erwartet wird.
Mit welcher Gelassenheit Sie diese Menschenmengen abschreiten, nicht eine Hand auslassen, die sich Ihnen entgegenstreckt, und auch noch für jeden ein Lächeln übrig haben, ein nettes Wort oder sogar Zeit für ein wenig Smalltalk – man kann von der Monarchie halten, was man will, aber das soll Ihnen erst mal jemand nachmachen.
Mit inzwischen 74 Jahren hatten Sie natürlich viel Zeit, dieses königliche Verhalten zu perfektionieren. Sie sehen das als Ihre Lebensaufgabe und ich glaube, dass Sie diese Verantwortung gern tragen, vielleicht auch nur, weil Sie es nicht anders kennen. Nicht jeder ist für so ein Leben geschaffen, Ihr Sohn Harry zum Beispiel. Umso lieber sage ich Ihnen: Machen Sie bitte noch ganz lange weiter so!