Herr Grupp, Sie haben in einem halben Jahrhundert mehrere Tausend Arbeitnehmer eingestellt. Kann man da unterschiedliche Generationen ausmachen, oder bleibt der Mensch im Großen und Ganzen konstant?

Es liegt immer am einzelnen Menschen, wie er sich verhält, das gilt für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber. Ob es ein Hausangestellter ist, ein Gärtner oder jemand im Geschäft: Wir brauchen die vernünftigen Menschen und da ändert sich über die Jahre im Wesentlichen nichts! Ich selbst habe mich in meinen 53 Jahren ja auch nicht verändert.

Wirklich gar nicht?

Jedenfalls komme ich nicht mit offenem Hemd, zeige allen meine Brust, duze alle Leute und begrüße sie mit der Faust. Wenn ich solche heute ja durchaus üblichen Umgangsformen sehe, denke ich mir: Die Welt ist doch nicht mehr normal! Solange Sie als Vorgesetzter nicht ständig dem Mainstream nachjagen, brauchen Sie auch nicht zu befürchten, dass Ihre Angestellten plötzlich alles Mögliche anders haben möchten.

Ihr Kollege vom Europapark Rust, Roland Mack, sagt: Die Jungen wollen alle nur noch drei Tage in der Woche arbeiten und keinesfalls am Wochenende . . .

Ich schätze die Familie Mack sehr, das sind großartige Unternehmer. Sie haben aber ein ganz anderes Problem als ich: Sie sind auf Wochenendarbeit angewiesen. Und natürlich versucht jeder, am Wochenende freizuhaben. Dass die Jungen aber allgemein weniger arbeiten wollen als frühere Generationen, erlebe ich so nicht. Wenn bei uns ein Bewerber auf eine Lehrstelle sich meldet und sagt: „Ich möchte gerne bei Ihnen arbeiten, aber bitte mit verlängertem Wochenende und dieses und jenes . . .“ Da braucht er gar nicht weiterreden, den nehmen wir nicht!

Und solche Bewerber werden nicht mehr?

Das Problem wird zumindest hochstilisiert. Es ist doch so: Je mehr Sie einem Kunden im Preis nachgeben, desto mehr fordert er. Das ist ja ganz natürlich. Er sagt sich dann: Wenn ich mit dem zu diskutieren anfange, lässt er nach! Bei mir gibt‘s keine Diskussionen. Jeder weiß: Trigema bietet einen Preis an unabhängig davon, ob jemand mit mir lange reden will oder nicht. Weil ich korrekt bin und ein Kunde weiß, dass ich auf einen Auftrag auch verzichten kann, fängt er mit dem Diskutieren gar nicht erst an.

Und so ist es bei den Mitarbeitern auch?

Ja. Wenn ein Mitarbeiter auf Erfüllung besonderer Wünsche besteht, muss ich auf ihn auch verzichten können. Sonst sagen bald seine Kollegen: „Wenn der das darf, will ich das auch!“ Je mehr Ausnahmen Sie freiwillig zulassen, desto mehr Ausnahmen müssen Sie zwangsläufig machen.

Sie sagten eingangs, Sie können sich nicht vorstellen, mit offenem Hemd zur Arbeit zu erscheinen. Warum eigentlich?

Wenn ich Sie zehn Jahre lang mit „Herr Dr. Bruggaier“ anspreche, da komme ich doch nicht eines Tages einfach an und sage: „Herr Dr. Bruggaier, wir waren jetzt zehn Jahre lang per Sie, ich würde sagen, jetzt ändern wir das mal auf Du!“ Das gibt‘s bei mir einfach nicht. Ich schätze übrigens auch die Anrede „Fräulein“ noch. Wenn eine Dame unverheiratet ist und ich habe schon immer zu ihr Fräulein Müller gesagt, dann sage ich auch heute noch Fräulein Müller.

Und da gibt es keinen bösen Spruch zurück? Nach dem Motto: Herr Grupp, das gehört sich aber nicht mehr?

Dieser böse Spruch würde kommen, wenn ich plötzlich gesagt hätte: „Ich habe irgendwo gelesen, dass ich jetzt Frau sagen soll, also Frau Müller...“ Das „Fräulein“ nimmt mir hier keiner übel. Man kennt mich ja und weiß, dass ich den Mainstream nicht mitmache.

Haben Sie viele Bewerber aus der jungen Generation?

Es werden natürlich weniger, weil die Jahrgänge schwächer sind. Aber wir haben dennoch viele junge Bewerber, auch in der Verwaltung. Es gibt aber noch einen anderen Grund: Die Leute meinen immer mehr, sie müssten Abitur machen und studieren. Wer Abitur macht, geht natürlich nicht mehr an die Nähmaschine.

Ist das wirklich so?

Wenn Sie verbreiten würden, dass Ihre Kinder eine Lehre zum Beispiel in der Näherei bei Trigema machen, dann munkelt man doch sofort: Die scheinen ja ein bisschen doof zu sein. Wer ein bisschen intelligent ist, muss Abitur machen und studieren, so lautet doch heute der Mainstream!

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Sie halten das für falsch?

Ja, natürlich. Wenn bei mir jemand eine Maschine reparieren kann, interessiert es niemanden, ob er Abitur hat oder nicht. Das sind aber die Leute, die überall gesucht werden! Ich schätze solche Leute höher ein als mich selbst, denn ich kann so eine Maschine nun mal nicht reparieren.

Die junge Generation ist also zu intellektuell?

Ich erinnere mich an einen Vorfall, da fragte ich mal eine Näherin nach den Plänen ihrer zweiten, jüngeren Tochter, da die ältere Tochter auch bei uns nähte. Sie lächelte stolz und sagte: „Herr Grupp, sie macht Abitur!“ Sie hätte auch sagen können: „Herr Grupp, die kriegen sie nicht!“ Das ist das Problem, wenn wir meinen, alle müssten Abitur machen. Es ist ja völlig unbestritten, dass wir Menschen brauchen, die studieren und dann bestimmte Positionen besetzen. Aber noch mehr brauchen wir sachverständige, gescheite Leute mit handwerklichem Geschick. Wir haben zum Beispiel keine Akademiker im Unternehmen, außer meiner Familie.

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Bewerben sich etwa keine?

Doch, durchaus. Von Akademikern bekomme ich etwa jede Woche eine Bewerbung. Da steht dann drin, wie gut sie sind und was für tolle Positionen sie schon innehatten. Ich hege da aber keinen Gedanken daran, sie zu engagieren. Wenn jemand wirklich so gescheit ist und sich aus Hamburg in Burladingen bewirbt, dann scheint er ein Problem zu haben! Denn wenn er top wäre, hätten ihn die Hamburger ja wohl behalten.

Sie haben selbst zwei Kinder. Welches davon Ihre Nachfolge antreten wird, ist noch offen. Sehen Sie Unterschiede zu Ihrer eigenen Generation?

Ich sehe keine Unterschiede. Das ist eine Frage der Vorbildfunktion. Beide wollten nach ihrem Studium in England sofort in die Firma nach Burladingen, weil wir es ihnen positiv vorgelebt haben. Hätte ich jeden Abend zu Hause darüber gestöhnt, wie furchtbar die Textilbranche ist, wäre es nur logisch gewesen, wenn die Kinder sagen: Das mache ich später bestimmt nicht!

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Sie wollen also nicht im Homeoffice arbeiten?

Nein, wir machen aus dieser ganzen Geschichte doch eine viel zu große Sache. Wenn wir die Normalität in den Mittelpunkt stellen, würden viele Dinge, von denen heute behauptet wird, sie seien Mainstream, gar nicht mehr diskutiert. Wäre die Pandemie nicht gewesen, dann würde heute doch niemand über Homeoffice sprechen!

Das Homeoffice ist also ein Irrtum?

Wenn man mir vorher gesagt hätte, „Entschuldigung, aber meine Sekretärin ist heute im Homeoffice“: Ja, das kam erst durch die Pandemie, in der man gar keine andere Wahl hatte! Ich finde: Was eine Ausnahme ist, muss man nicht zur Selbstverständlichkeit machen.

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