Nüchtern betrachtet ist Corona ein wohlklingendes Wort. Es bezeichnet zwar ein ziemlich fieses Virus, das die Welt in Atem hält (oder den Schwachen den Atem löscht). Der Freund der Vokale hingegen erfreut sich am Klang des Wortes: sechs Buchstaben, davon drei Vokale, darunter zwei Mal ein „o“. Das klingt wie ein Kurztrip nach Italien, wo auch viele leckere Dinge auf „o“ enden. Der Komponist Frank Leenen ließ sich von Corona nicht davon abhalten, eine Messe zu komponieren. Sie heißt „Missa in tempore pandemiae“ („Messe in Zeiten der Pandemie“) und zeigt, wie die erzwungene Verbannung ins Häusliche auch ein kreatives Feuerchen entfachen kann.

Vor einigen Tagen wurde das Werk im Liebfrauendom in München aufgeführt – der Bischofskirche, in der Joseph Ratzinger zelebrierte, bevor er nach Rom berufen wurde. Was ist nun anders an einer Messe, die für die Zeit der Pandemie geschrieben wurde?

Maximal reduziertes Personal

Ohne zu hören, sieht man den Unterschied bereits: Gerade einmal sieben Sänger bestreiten den chorischen Teil, alle stehen in gebührend großem Abstand zueinander. Dazu kommt ein Solo-Sopran sowie eine Orgel, die allein die Begleitung stemmt. Das Personal ist also maximal reduziert – eine Notbesetzung statt pompöser sakraler Sinfonik. Denn die große Festmesse mit einem Chor von 50 oder 70 Köpfen darf seit knapp zwei Jahren nicht mehr aufgeführt werden, schon gar nicht mit sprühintensiven Blasinstrumenten.

Frank Leenen, 71, kennt sich in der Geschichte der Kirchenmusik so gut aus wie andere Menschen in ihrer Küche. Er sagt: Schon immer wurde exquisite Musik auch für kleine Ensembles geschrieben, zum Beispiel für ein vokales Quartett oder ein Oktett. Leenen lehrte an der Musikhochschule Karlsruhe lange Jahre das Fach Chorleitung. Er weiß, was geht und was nicht und was einem Chor liegt (kaum singbare Kompositionen gibt es zuhauf). Im Vorwort zur Missa schriebt er: „Notlagen regen die Fantasie an.“

Schlicht soll die Musik sein

Bei der Motivsuche griff er schlicht auf Vorhandenes zurück und wählte bekannte Lieder aus dem Gesangbuch. Damit erzeugt er Vertrautheit. Über die Choräle aus dem Gotteslob setzt er dann die Linie der Solo-Sängerin. Deren melodischer Pfad hat es in sich.

„Stilistisch ist das Werk ganz durchwachsen“, sagt Leenen im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Er versteht sich nicht als Neutöner, sondern setzt auf gemäßigte Moderne. Eines seiner Vorbilder, das er im Gespräch erwähnt, ist der Este Arvo Pärt, der zu den führenden Komponisten der Zeit zählt. „Ich will schlichte Musik schreiben“, sagt der ehemalige Professor. Die Ausführenden, wie es so schön heißt, werden es ihm danken: Die Missa kann auch eine Sängerschar einstudieren, die nicht professionell geschult ist.

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Leenen ist im Erzbistum Freiburg eine bekannte Größe. Der gebürtige Westfale wirkte als Bezirkskantor in Hinterzarten im Schwarzwald. Später wurde er in Rottenburg zum Domkapellmeister berufen – damit war er für die Musik an der Bischofskirche St. Martin verantwortlich. Was er bis heute bedauert: Er schied im Streit mit Bischof und Diözese aus dem Amt und ging früher. Bis zum Erreichen der regulären Altersgrenze unterrichtete er dagegen in Karlsruhe. Seine Schülerinnen und Absolventen musizieren landauf und landab. In Freiburg-St. Georgen dirigiert er bis heute den Kirchenchor in St. Peter und Paul.

„Ich habe immer komponiert“, erwähnt er beiläufig. Kurze Stücke, Messen, Schauspielmusik – sein Repertoire ist umfangreich und immer strikt auf die Praxis und auf die Situation bezogen. Auch die Corona-Komposition reagiert mit ihren schlichten Weisen auf eine Situation – eine Notlage. 2008 dirigierte Leenen den Rottenburger Domchor in Schloss Bellevue in Berlin. Der damalige Bundespräsident Horst Köhler saß in der ersten Reihe. Er hatte ihn eingeladen.