„Die Malerei ist tot. Es lebe die Malerei“, lautete 2004 der Titel einer Ausstellung in der Städtischen Galerie Karlsruhe über die 150-jährige Geschichte der Karlsruher Kunstakademie. Tatsächlich wurde das traditionsreiche Medium immer wieder totgesagt, erfreut sich jedoch einer ungebrochenen Beliebtheit – auch und gerade in den Reihen der jungen Kunstschaffenden.
Diese neue Attraktivität und Aktualität der Malerei in der Kunst der Gegenwart rückt eine ambitionierte grenzübergreifende Großausstellung im Kunstmuseum Singen und im Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen in den Fokus. Unter dem Motto „Ohne Titel“ versammeln die Kuratoren Christoph Bauer (Singen) und Julian Denzler (Schaffhausen) rund 60 Positionen „junger Malerei aus Süddeutschland und der Deutschschweiz“ zu einer äußerst vielfältigen Präsentation.
Nach dem Besuch der Singener Ausstellung lenken wir nun den Blick auf die ebenso umfangreich bestückte und überaus sehenswerte Präsentation im Schaffhauser Museum. Dabei wird deutlich: Die jungen Künstler im Alter zwischen 20 und Mitte 40 erkennen in der klassischen Disziplin ein gültiges Aktionsfeld für ihren Ausdruckswillen.

Dabei offenbart sich ein gewandeltes, erweitertes Verständnis von Malerei, bei dem die Grenzen zu anderen Gattungen wie Skulptur, Objektkunst, Rauminstallation, Digitales, Video und Fotografie fließend sind. Die Bildschöpfungen atmen ein Streben nach Innovation, Freiheit, Experiment, Identität. Auch neue Strategien der Wahrnehmung werden erprobt und die Schnittstellen zwischen den Genres mit Frische und Energie ausgelotet.
Analog zur Ausstellung in Singen stammen die Künstler und Künstlerinnen aus der Region zwischen Basel und St. Gallen, München und Karlsruhe, und ihre Arbeiten sind vorwiegend in den 2020er-Jahren entstanden.
Wenn Malerei begehbar wird
Zum Auftakt zeigt Sanna Reitz (Jahrgang 1985), dass Malerei auch als begehbare Bodeninstallation aufgefasst werden kann. Ihre Arbeit „Walk The Line“ besteht aus teils bemalten Pflastersteinen und zerfällt nach Ausstellungsende wieder in ihre Einzelteile.
Die Nähe zum Film suchen die mit fotografischer Präzision auf die Leinwand gebannten Selbst- und Gruppenporträts von Mariana Tilly (Jahrgang 1995): Eine raffinierte Licht- und Farbregie rückt die Personen in eine besondere, emotional aufgeladene Atmosphäre.
Materialvielfalt kennt keine Grenzen
Auf der Tradition geometrischer Farbflächenmalerei bauen die fast monochromen Strukturkompositionen von Enrico Bach (Jahrgang 1980) auf, in denen das Wechselspiel von Kolorit und Bildraum subtil ausgelotet ist. Einen wuchtig expressiven Kontrast dazu setzen die archaisch anmutenden Materialbilder von Marie Do Linh (Jahrgang 1997), worin mit schroffer Gestik Textilien, Holzreste, Bitumen und Ölkreiden zum Einsatz kommen.
In direkter Nachbarschaft dazu entwirft Andriu Deplazes (Jahrgang 1993) auf großen Formaten surreal beklemmende Landschaften mit gespenstisch verlorenen Figuren. Ebenso düster und bedrohlich wirken die Assemblagen von LINO (Jahrgang 1998): Mittels verschiedener Materialien wird eine symbolbeladene Aura des Elementaren und Urtümlichen beschworen.

Geradezu altmeisterlich erscheinen dagegen die romantisch gestimmten Nachtlandschaften von Jan Gemeinhardt (Jahrgang 1988), die mit ihrem poetisch-schaurigen Unterton an Szenen von Edgar Allan Poe denken lassen. Seltsame Zwitterwesen zwischen Mensch und Vogel tummeln sich in den farbintensiven, verspielt wirkenden Bade-Szenen von Jan Zöller (Jahrgang 1992), die formale Bezüge zur Klassischen Moderne von Matisse, Picasso oder Miro aufscheinen lassen.
Ein Feuerwerk des Sehens, erzeugt durch gesprayte und gepinselte Lacke auf Aluminium, entwirft Dave Bopp (Jahrgang 1988) in seinem monumentalen Farbfleckenfries „Gemea“ – das flimmernde Werk bringt zwölf Quadratmeter Reizüberflutung auf die Wand.
Wie wunderbar Alltagsverpackungen als Malgrund dienen können, beweisen die Werke von Urban Zellweger (Jahrgang 1991), der seine idyllischen Naturdarstellungen auf Pizzakartons malt und dabei ebenso humorvoll wie provokant die kunstgeschichtliche Tradition der Landschaftsmalerei hinterfragt.
Das ironische Spiel mit Malmaterial und Stofflichkeiten findet seine Fortsetzung in den starkfarbigen Arbeiten von Laurentius Sauer (Jahrgang 1987), die teilweise auf ausgebreitete Regenjacken gemalt sind. Hochglänzende Aluminiumbleche dienen Elza Sile (Jahrgang 1989) als Bildträger für ihre technisch-skripturalen Kompositionen, die gleichermaßen an freie Abstraktionen wie an Computerplatinen erinnern.

Einen Unterschied zur Schau in Singen bilden in Schaffhausen Exponate, in denen Malerei gezielt als Mittel der objekthaften Rauminstallation fungiert. Stefan Bircheneder (Jahrgang 1974) inszeniert eine ganze Büro-Einrichtung mit Schreibtisch, Stuhl, Wanduhr und Notausgangsschild, die durch illusionistisch bemalte und zusammengefügte Leinwände die Grenze zwischen Realität und Fiktion ausloten.
Als plötzliche „blow up“-Erscheinung hat sich Melanie Dorfers (Jahrgang 1986) „Silent Mutation“ in einer Ecke des Treppenaufgangs eingenistet. Ebenfalls als räumliche Eckkonstruktion begegnet uns die Installation von Patric Sandri (Jahrgang 1979), in der transparente Stoffbespannungen ein sanftes Farbleuchten erzeugen, das an minimalistische Farbfeldmalerei erinnert.
Mirjam Blanka Inauen (Jahrgang 1982) schließlich interveniert mit ihrer riesigen freihängenden Bildfahne „Shift“ aus strengen Schwarz-Weiß-Formen rhythmisch in den letzten Raum der Ausstellung. Ein erfrischender Parcours!
Die Ausstellung „Ohne Titel. Junge Malerei aus Süddeutschland und der Deutschschweiz“ ist bis zum 16. April 2023 im Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen zu sehen. Geöffnet ist Dienstag bis Sonntag von 11–17 Uhr. Weitere Informationen finden Sie hier.