In Berlin klappt vieles nicht. Die jüngsten Wahlen haben gezeigt, was ohnehin alle wussten: Sie können es einfach nicht. Zuerst unfähig, eine Wahl abzuhalten, dann die Wiederholung der Wahl und selbst danach musste mehrfach gezählt werden, bis ein verlässliches Ergebnis herauskam. Chaoshauptstadt. Vom Flughafen, überlasteten Bezirksämtern, vermüllten Straßen und der Silvesternacht ganz zu schweigen. Was ist los in der Hauptstadt? Warum funktioniert nichts und warum klappt manches doch überraschend gut? Eine Spurensuche.

Maroder Klassenraum im Gynmasium Europasportpark.
Maroder Klassenraum im Gynmasium Europasportpark. | Bild: Annette Riedl

Der Ruf

Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich in Berlin im Widerspruch zu Wilhelm Busch eben nicht ganz ungeniert. Es ist eine Mischung aus berechtigten Mängeln und Vorurteilen, die Berlin vor sich hertragen muss. Handwerksfirmen machen schon einen Bogen um Berlin, weil die Ausschreibungen als schikanös und überbürokratisiert empfunden werden.

Das Etikett „arm, aber sexy“ wirkt hemmend bei der Anwerbung neuer Arbeitskräfte, weil die Bezahlung in der Hauptstadt eher unter dem Bundesdurchschnitt liegt. Familien mit Kindern tun sich schwer, eine Schule zu finden, in der der Migrantenanteil nicht über 50 Prozent liegt. Im Länder-Ranking der Bildung belegt Berlin dauerhaft hintere Plätze, viele Schulgebäude sind marode, der Lehrkräftemangel ist hausgemacht durch fehlende Verbeamtung und schlechtere Arbeitsbedingungen.

Ähnliches gilt für Sicherheit und Sauberkeit. Sperrmüll auf den Straßen, verwahrloste Grünanlagen und kriminalitätsbelastete Hotspots lassen die Stadt abstoßender erscheinen als sie ist.

Anti-Olympia-Demonstranten im Jahr 2015.
Anti-Olympia-Demonstranten im Jahr 2015. | Bild: Gregor Fischer

Die Mentalität

Berliner haben ein dickes Fell. Vermutlich dank ihrer wechselvollen Geschichte. „Nur nich uffrejen“ wird Überlebensmotto. Daraus ergibt sich Schnoddrigkeit, die in Gleichgültigkeit übergeht. Ein „is mir doch ejal“ dient als bequeme Problemlösung und lässt sich sogar als Toleranz verkaufen. Berlinerinnen und Berliner werden gerne in Ruhe gelassen und sind mit allem zufrieden, so wie es ist. Auch wenn sie stets etwas zu meckern haben.

Bestes Beispiel: 63 Prozent der Wählerschaft war mit der bisherigen rot-grün-roten Koalition unzufrieden. Dennoch hatte genau dieses Bündnis bei der jüngsten Wiederholungswahl eine Mehrheit. Defizite werden als wohltuendes Unterscheidungsmerkmal empfunden, schließlich will man nicht so schnieke sein wie London, Rom, Paris oder Madrid.

Zwei Olympia-Bewerbungen Berlins scheiterten bereits an unzureichender Vorbereitung und mangelndem öffentlichem Interesse. Oft fehlt die Verbundenheit der Einwohner mit ihrer Stadt. Viele sind nur Bürger auf Zeit, Studierende kommen und gehen, auch bei Berufstätigen ist die Fluktuation groß.

Junge Berliner demonstrieren gegen die Wohnungsnot.
Junge Berliner demonstrieren gegen die Wohnungsnot. | Bild: Jörg Carstensen

Wohnen

Zu den größten Problemen gehört die Wohnungsnot. Nicht umsonst gab es einen positiven Volksentscheid, große Wohnungskonzerne zu enteignen. Doch was als Lösung des Problems gedacht war, wurde selbst zum Problem. Allein die Diskussion um Enteignungen ließ die Zahl der Neubauten stark zurückgehen.

Außerdem bestehen Zweifel, wie Berlin die bei Enteignung fälligen Entschädigungen für rund 300.000 Wohnungen – viele davon sind sanierungsbedürftig – aufbringen will. In keiner anderen deutschen Großstadt ist der Anteil an Wohneigentum so gering.

Selbst wenn gebaut und saniert werden sollte, fehlt es an Personal und Baumaterial. Gleichzeitig wächst die Stadt. 240.000 zusätzliche Einwohner sind es seit der Wiedervereinigung, allein 75.000 Neubürger kamen im vergangenen Jahr hinzu. Der Krieg in der Ukraine, das Erdbeben in der Türkei, die Lage in Syrien und Afghanistan lassen die Zuzugszahlen weiter steigen, Wohnungen werden knapper und teurer.

Flüchtlinge warten auf ihre Registrierung. Bilder: dpa
Flüchtlinge warten auf ihre Registrierung. Bilder: dpa | Bild: Paul Zinken

Verwaltung

Wehe dem, der ein amtliches Dokument braucht. Eltern erhalten kein Kindergeld, solange sie keine Geburtsurkunde haben, Zugezogene sind verpflichtet, sich innerhalb von 14 Tagen anzumelden, bekommen aber keinen Termin, stattdessen einen Bußgeldbescheid wegen nicht erfolgter Ummeldung. Trauernde können ihre Angehörigen ohne Totenschein nicht bestatten.

In den Ämtern fehlt es an Personal, weil Berlin in den vergangenen Jahren trotz wachsender Einwohnerzahl gespart hat, „bis es quietscht“ (Klaus Wowereit). Die Mitarbeiter sind überlastet und weil sie überlastet sind, steigt der Krankenstand und weil so viele krank sind, sind noch mehr Mitarbeiter überlastet.

Rückstände in der Digitalisierung, Behörden-Pingpong und Kompetenzgerangel zwischen Senat und den autonomen zwölf Bezirken kommen noch hinzu. Ebenso, dass die Stadt bis 1990 geteilt war und über Nacht nichtkompatible Verwaltungsstrukturen aus Ost und West verschmolzen wurden. Außerdem ist der Anteil von Transferleistungs-Empfängern nirgendwo so hoch wie in Berlin.

Unkraut wächst auf dem stillgelegten ICC im Westend.
Unkraut wächst auf dem stillgelegten ICC im Westend. | Bild: Jens Kalaene

Wirtschaft

Wer durch Berlin fährt, entdeckt überall die prächtigen Industriebauten vergangener Epochen. Siemens, AEG, Borsig, die Bolle-Molkerei und zahlreiche ehemalige Brauereien prägen noch heute die Architektur.

Die meisten dieser Gewerbeflächen sind inzwischen umgewidmet in Kultur- und Veranstaltungszentren oder gastronomische Einrichtungen. Das Internationale Congress Centrum (ICC), ein Renommierprojekt der 60er Jahre, dämmert als Ruine vor sich hin.

Die großen gewerblichen Arbeitgeber fehlen oder sind nur noch in Teilen vorhanden. Heute ist das Erwerbsleben kleinteiliger geworden und dienstleistungsorientiert. Es fehlt der Stadt die Finanzkraft jener Großunternehmen.

Am Flughafen BER läuft vieles noch immer nicht rund.
Am Flughafen BER läuft vieles noch immer nicht rund. | Bild: Patrick Pleul

Der Flughafen

14 Jahre lang wurde er erbaut, siebenmal musste die Eröffnung verschoben werden, die Kosten lagen am Ende bei über sieben Milliarden Euro, dem Siebenfachen der ersten Planung. Die Ursachen sind vielfältig. Drei verschiedene Bauherren (Bund, Berlin, Brandenburg) schaffen Lücken bei der Bauaufsicht, die wiederum bauliche Mängel befördern, dazu Missmanagement bei Baufirmen und personelle Fehlbesetzungen.

Zu diesen Problemen treten Hindernisse, wie sie bei allen Großbaustellen auftreten, in Form von Rechtsstreitigkeiten, Anlieger-Einsprüchen und vielem mehr. Berücksichtigt man diese Fülle an Fehlerquellen, grenzt es an ein Wunder, dass der Flughafen BER am 31. Oktober 2020 überhaupt eröffnet werden konnte.

Aber auch heute läuft vieles noch nicht rund. Zeitweise warteten über 3000 gestrandete Koffer auf ihre Besitzer. Fehlendes Sicherheitspersonal, Probleme mit Aufzügen und Rolltreppen sowie unzureichende Anbindung an die City gehören dazu. Überdies bietet der BER für eine Hauptstadt zu wenig interkontinentale Verbindungen. Verschärft durch die Covid-Pandemie bewegt sich der Flughafen am Rande der Zahlungsunfähigkeit.