Das hat Stil. Es war ein Flugzeug der französischen Luftfahrtgesellschaft Air France, das am Nachmittag als letzte Maschine von Berlin Tegel aus abhob. So wie es auch eine Air-France-Maschine war, die am 2. Januar 1960 den Linienflugbetrieb in Tegel eröffnet hatte.
Nur Alliierte durften Berlin anfliegen
Nach dem Zweiten Weltkrieg war es zunächst nur den vier alliierten Besatzungsmächten erlaubt, Berlin anzufliegen. Und Tegel, ein Ortsteil des Bezirks Reinickendorf, lag in der französischen Zone. Doch geflogen wird in Tegel schon sehr viel länger.

Auf dem Gelände des ehemaligen preußischen Artillerieschießplatzes wurden bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts Luftschiffe gebaut und erprobt, nach dem ersten Weltkrieg entstand ein Raketenschießplatz, auf dem auch der spätere Raumfahrtpionier Wernher von Braun geheime Raketenpläne für die Nationalsozialisten entwickelte.
Nach dem Krieg entstand während der Blockade West-Berlins als Entlastung für den Flughafen Tempelhof in Tegel die mit 2428 Metern damals längste Landebahn Europas, damit im Rahmen der Luftbrücke die Berliner mit Lebensmitteln versorgt werden konnten.
Von Tempelhof nach Tegel
Mit dem vermehrten Aufkommen der Düsenjets zogen immer mehr Fluggesellschaften von Tempelhof um nach Tegel. Schnell ergab sich dort die Notwendigkeit eines neuen Flughafengebäudes, das nach nur vier Jahren Bauzeit am 1. November 1974 für ganze 430 Millionen D-Mark eröffnet wurde.

West-Berlin hatte nun einen der modernsten Flughäfen der Welt, mit kurzen Wegen und direktem Autobahnanschluss. Möglich machte das neue Flughafengefühl das magische, platzsparende Sechseck der Architekten Meinhard von Gerkan, Volkwin Marg und Klaus Nickels.
Ganze 28 Meter vom Taxistand zum Gate und von dort 15 Meter zum Flugzeug, das war Weltrekord für einen Flughafen dieser Grüße. Auf einem separaten Parkplatz konnten sich Auto- und Taxifahrer an einer riesigen Anzeigetafel orientieren, zu welchem Eingang der Fluggast gebracht werden musste. Check-In, Sicherheitskontrolle und Einstieg über bequeme Fingerdocks, alles lag nur wenige Schritte auseinander.

Doch diese paradiesisch anmutenden Zustände waren damals für ein Passagieraufkommen von jährlich fünf Millionen Fluggäste ausgelegt, im Betriebsjahr 2019 waren es 24 Millionen, vor den corona-bedingten Einschränkungen startete und landete in Tegel alle zwei Minuten ein Flugzeug.
Aus dem Vorteil der kurzen Wege wurde bald der Nachteil der drangvollen Enge. Warteräume und die dezentrale wie personalintensive Sicherheitsabfertigung war für Maschinen von maximal 100 Passagieren konzipiert und nicht für heutige Urlaubjets mit dem fast doppelten Fassungsvermögen.
Enge Gänge, zu wenigen Toiletten, Verspätungen bei der Gepäckausgabe
Um nach der Schließung des Flughafens Tempelhof im Jahr 2008 den Betrieb überhaupt aufrecht halten zu können, mussten Erweiterungsbauten (Terminal C , D und E) errichtet werden, die dem architektonischen Glanzstück von einst den tristen Charme gesichtsloser Wellblech-Gebäude anklatschten.

Tempelhof war längst geschlossen, der neue Flughafen Berlin-Brandenburg wurde und wurde nicht fertig. In dieser Zwickmühle fand sich das ständig wachsende Flugaufkommen der Hauptstadt, das von Tegel und dem in die Jahre gekommenen DDR-Flughafen Schönefeld bewältigt werden mussten.
Auch wenn die Zustände in Tegel mit seinen engen Gängen, zu wenigen Toiletten, Warteschlangen im Sicherheitsbereich, Verzögerungen beim Heranfahren der Treppe an die Maschine durch Personalmangel auf dem Rollfeld, sowie Verspätungen bei der Gepäckausgabe zum Schluss unzumutbar wurden, war die emotionale Bindung der Fluggäste an diesen so unverwechselbaren Flughafen ungebrochen.
Volksbegehren zum Weiterbetrieb scheiterte
Für die West-Berliner war es der schnellste und einfachste Weg aus der ummauerten Stadt heraus zu kommen, Ost-Berliner blickten sehnsuchtsvoll den so nahen und doch so unerreichbaren Fliegern nach auf ihrem Weg in alle Welt.
Selten lagen Bewunderung für die als futuristisch empfundene Anlage und nostalgische Verklärung so nahe beieinander wie in den letzten Tagen von Tegel. Und das obwohl zwischen Eröffnung und Schließung nur 46 Jahre vergangen sind.
Nicht verwunderlich, dass bei vielen der Abschiedsschmerz so groß wurde, um per Volksbegehren ein Weiterbetrieb auch nach der Eröffnung des neuen Flughafens zu erzwingen.
Vergeblich trotz Mehrheit. Juristische und technische Hürden standen dem im Weg. Und so wird nach Johannisthal, Staaken, Gatow und Tempelhof mit Tegel nun erneut ein Berliner Flughafen für immer geschlossen. Nur Schönefeld wird nicht ganz verschwinden, sondern im neuen Flughafen Berlin Brandenburg aufgehen.

Betriebsfähig soll Tegel aber noch bis zum Mai 2021 bleiben, mit seiner Infrastruktur und Technik. Sozusagen als Netz und doppelten Boden, falls der BER doch noch an schweren Kinderkrankheiten leiden sollte. Dann aber übernimmt die „Gesellschaft Berlin TXL“ das Steuer.
Die landeseigene Firma will auf 200 Hektar ein Wissenschafts- und Forschungscampus errichten zusammen mit 5000 Wohnungen für 20.000 Menschen. Bleibt zu hoffen, dass ihnen eines Tages vergönnt sein wird, was Millionen von Fluggästen immer vermisst haben: Eine U-Bahnstation.
Ein Kunstwerk zum Abheben: Die Architektur des Flughafens
Es ist mehr als nur ein Flughafen, was den Berlinern in diesen Tagen abhandenkommt. TXL, so das internationale Kürzel, steht seit fast einem halben Jahrhundert für die gelungene Einheit aus Form und Funktion, aus Ästhetik und Praktikabilität, wie sie in vielen Zweckbauten neueren Datums schmerzlich vermisst wird. Es ist das bestechend einfache Grundkonzept des Sechsecks, das die Architekten Meinhard von Gerkan, Volkwin Marg und Partner (Büro gmp) vom Flughafen in Köln abgeschaut und perfektioniert haben.
Im Gegensatz zum Rechteck bietet das Hexagon zwei Seiten und zwei Dreiecke mehr, an denen Flugzeuge andocken oder Fahrzeuge vorfahren können. Mit dieser geometrischen Grundform lässt sich auch bei der Gestaltung der Innenräume nahezu unbegrenzt spielen. Ob Tower, Fliesen oder Deckenelemente, überall dominieren Drei- und Sechseck.
Umso bemerkenswerter, dass ein solcher Kunstgriff, der inzwischen unter Denkmalschutz steht, nicht einem legendären Studio aus New York oder Tokio gelang, sondern zwei jungen Männern, die sich beim Studium in Braunschweig kennengelernt hatten. Um Geld zu verdienen hatten Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg für andere Architekten Wettbewerbsentwürfe gezeichnet. Auf diese Weise eingeübt, wagten sie schließlich eigene Bewerbungen, von denen sie sieben tatsächlich auch gewannen. Darunter der Entwurf für den Flughafen Tegel, sozusagen das Meisterstück der jungen Truppe.
Die Karriere des Teams war nicht mehr aufzuhalten. Bauten wie der Berliner Hauptbahnhof, die Flughäfen Berlin Brandenburg, Stuttgart, Hamburg und Moskau, das chinesische Nationalmuseum in Peking oder das Hanoi Museum in Vietnam folgten ebenso wie nationale und internationale Preise und Auszeichnungen. Inzwischen gilt der heute 85-jährige Meinhard von Gerkan als einer der einflussreichsten Architekten der Welt. Sein Büro beschäftigt 500 Mitarbeiter rund um den Globus. (baw)