Was steckt nicht alles drin in diesem Rheingold, dem ersten Teil von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“! Kapitalismuskritik, Gesellschaftsanalyse im Sinne von oder auch im Widerspruch zu Wagners Zeitgenossen Karl Marx. Es geht um die rücksichtslose Durchsetzung von Macht und Weltherrschaft, um toxische Männlichkeit und die radikale Ausbeutung der Natur. Und wenn Fricka ihrem Göttergatten Wotan vorwirft: „Was ist euch Harten doch heilig und wert, giert ihr Männer nach Macht!“, kann man sogar einen feministischen Ansatz daraus lesen. Das „Rheingold“ hält eben für jede Epoche und jede Sichtweise etwas bereit. Wer den „Ring“ und damit zunächst das „Rheingold“ auf die Bühne bringt, kann also aus einem ganzen Strauß an Deutungsansätzen auswählen.

Doch genau das tut Andreas Homoki nicht, der seine 2025 zu Ende gehenden Intendanz am Opernhaus Zürich mit einem neuen „Ring“ krönt. Während an der Stuttgarter Oper Regisseur Stephan Kimmig den Vorabend von Wagners Tetralogie vergangenen Herbst in einen abgewirtschafteten Zirkus verlegt hat und Valentin Schwarz für seinen Bayreuther „Ring“ im Sommer bereits ein Familienepos im Netflix-Format angekündigt hat, möchte Homoki „dem Zuschauer keine fertige Deutung servieren, die er auf Treu und Glauben zu schlucken hat, sondern ihn einladen, seine eigene Deutung des Gesehenen zu finden“.

Loge (Matthias Klink, links) und Wotan (Tomasz Konieczny) staunen über die Verwandlungskünste Alberichs, der im Schrank als Drache ...
Loge (Matthias Klink, links) und Wotan (Tomasz Konieczny) staunen über die Verwandlungskünste Alberichs, der im Schrank als Drache erscheint. | Bild: Monika Rittershaus

Also Zurücknahme der Regie zugunsten des Werks selbst? Viele Operngänger, die sich ohnehin maximal genervt fühlen von den sich überbietenden Deutungsorgien des Regietheaters – und von solchen Operngängern gibt es unter den Wagner-Fans besonders viele -, dürfte das freuen. Ein Abend, der einfach nur das auf der Bühne zeigt, was im Stück steht. Oder wie es Homoki formuliert: „Wir zeigen nicht, was der Riesenwurm unserer Meinung nach bedeutet, sondern wir zeigen den Riesenwurm.“

Freilich muss auch Homoki Übersetzungen für die Gegebenheiten des Theaters finden. Dass er für die Rheintöchter im Flussbett tatsächlich Betten auf die Drehbühne stellt, passt zwar einerseits zum Thema – schließlich geht es genau darum, dass Alberich versucht, die Rheintöchter ins Bett zu kriegen –, wirkt in der von Homoki angestrebten Deutungsenthaltsamkeit allerdings auch auf naive Art komisch. Wie man überhaupt den Eindruck hat, Homoki hätte bei der Entwicklung seiner Inszenierung eine Schar Kinder vor Augen gehabt, die nun mit dem Inhalt von Wagners Opus Magnum vertraut gemacht werden sollen.

Bett statt Flussbett: Die drei Rheintöchter (Uliana Alexyuk, Niamh O‘Sullivan und Siena Licht Miller) halten Alberich (Christopher ...
Bett statt Flussbett: Die drei Rheintöchter (Uliana Alexyuk, Niamh O‘Sullivan und Siena Licht Miller) halten Alberich (Christopher Purves) zum Narren. | Bild: Monika Rittershaus

Das muss nicht unbedingt schlecht sein. Und es ist auch beileibe nicht so, dass nun Nixen, Zwerge, Riesen und Götter die Bühne bevölkern würden. Homoki entscheidet sich da für eine behutsame Verankerung im 19. Jahrhundert. Die Kostüme (Ausstattung: Christian Schmidt) markieren Wotan und die Seinen als Angehörige der Bourgeoisie. Und auch die Drehbühne zeigt Räume dessen, was man heute einen Altbau nennt. Ein massiver Eichenschrank bildet die Eintrittstür zu einer Art Aufzug zwischen den Welten über und unter der Erde.

So weit, so solide. Verlässt man sich allerdings allein auf die theatralisch wirkungsvolle Erzählung des Inhalts, rückt automatisch deren Glaubwürdigkeit in den Vordergrund. Warum etwa versucht Freia (Kiandra Howarth) nur so halbherzig, sich dem Zugriff der Riesen zu entwinden und stellt sich immer wieder in deren Blickfeld? Und setzt sich die Drehbühne nicht auch deswegen so penetrant oft in Gang, weil sonst keine schlüssigen Lösungen für Auf- und Abtritte der Figuren und für manchen Bühnenvorgang gefunden wurden?

Auch Wotan (Tomasz Konieczny) erliegt den Versprechungen des Rings. Hier hat er ihn Alberich (Christopher Purves) abgenommen.
Auch Wotan (Tomasz Konieczny) erliegt den Versprechungen des Rings. Hier hat er ihn Alberich (Christopher Purves) abgenommen. | Bild: Monika Rittershaus

Über all das kann man freilich auch großzügig hinwegsehen. Immerhin ist Homoki mit dem „Rheingold“ eine konsensfähige Inszenierung gelungen, der ein Buhkonzert wie in Stuttgart erspart geblieben ist. Und die sich nahtlos in die Ästhetik der Zürcher Oper einfügt – clean, glatt und auch ein bisschen risikoscheu.

Zur Zürcher Operntradition gehört aber auch die exzellente musikalische Umsetzung. Und die gelingt auch dieses Mal wieder ganz hervorragend – mit Gianandrea Noseda am Pult der Philharmonia Zürich, der auf Transparenz und ein klares Klangbild setzt, und einem ausgezeichneten Ensemble an Gesangssolisten. Hier seien stellvertretend nur einige hervorgehoben: Tomasz Konieczny, der als Wotan nicht nur kraftmeiert, sondern im Ausdruck wohltuend differenziert agiert; Matthias Klink als mephistohafter Loge; Christopher Purves, dem der Wechsel vom gedemütigten zum herrischen Alberich hervorragend gelingt (auch wenn er in dem Rollendebüt etwas mit dem Text zu kämpfen hat) sowie die drei harmonisch aufeinander abgestimmten Rheintöchter Uliana Alexyuk, Niamh O‘Sullivan und Siena Licht Miller.

Sie alle tragen mit ihrer differenzierten Rollengestaltung dazu bei, dass die Aufführung zumindest ansatzweise in die von Homoki angestrebte Richtung geht. Der nämlich versteht das „Rheingold“ überraschenderweise als Konversationsstück. Eine Deutung, die dann doch ähnlich gewagt erscheint wie mancher Regieansatz. Man darf gespannt sein, wie Homoki sie im September in der „Walküre“ fortsetzt.

Weitere Aufführungen: 3., 7., 10., 14., 18., 22., 25. und 28. Mai. http://www.opernhaus.ch