Nicht totzukriegen, das Musical-Theater. Mit Beginn des Lockdowns im März 2020 stellte das deutsche Stage Entertainment Theater zwar den Betrieb ein. Doch inzwischen redet keiner mehr von Corona. Auch nicht in Stuttgart, neben Hamburg der zweite Standort von Stage Entertainment.

Im Apollo-Theater hatte jetzt „TINA – das Tina Turner Musical“ Premiere. Die Nachricht, dass das Musical, das exklusiv von Tina Turner und ihrem Gefährten und ehemaligen Produzenten Erwin Bach mit entwickelt und autorisiert wurde, löste laut Stage Entertainment Begeisterung aus. Den Angaben zufolge wurden bereits 100.000 Tickets verkauft.

Das erstaunt, weil seit geraumer Zeit eine andere Produktion, „Tina – The Rock Legend“, hierzulande über die Dörfer zieht. Aber ihr fehlt das Gütesiegel Turner/Bach. Dazu kommt, dass Stage Entertainment den perfekten Rahmen für spektakuläre Musical-Erlebnisse bietet.

Und ja, dann sind da die bekannten Songs von Tina Turner, allesamt mit Lizenz zum Ohrwurm ausgestattet. Als Anna Mae Bullock in der tiefsten Provinz von Tennessee geboren, von der Großmutter aufgezogen – in „Nutbush City Limits“ besingt sie den Ort ihrer Kindheit – ist Tina Turner eine der größten Pop-Künstlerinnen aller Zeiten.

Mehr als 20 Lieder von Tina Turner sind im Musical zu hören.
Mehr als 20 Lieder von Tina Turner sind im Musical zu hören. | Bild: Manuel Harlan/Stage Entertainment

Sie gilt als Pionierin des Female Empowerment, sie ist ein Vorbild für viele Frauen und Musikerinnen. Dass Anne Mae, die im Chor der Kirche der Gemeinde ihre erste Gesangserfahrung machte – was nicht untypisch für schwarze Interpreten ist – sich durch ein Tal der Tränen tanzte und sang, ehe sie zur „Queen Of Rock“ aufstieg, davon handelt das Musical.

„TINA – Das Tina Turner Musical“ ist, so die Terminologie, ein Jukebox-Musical, das auf den Songs der Sängerin basiert. Mehr als 20 Lieder sind in Stuttgart zu hören, auf Deutsch (wie seltsam das klingt) und auf Englisch (ganz vertraut). Katori Hall, eine mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Dramatikerin, hat das ereignistreue Drehbuch geliefert, das Lachen und Weinen provoziert – mit Blick auf den allzeit gewaltbereiten Musiker Ike Turner, mit dem Anna Mae alias Tina 16 Jahre verheiratet war, allerdings auch bestürzt.

Jede Bewegung sitzt bei Tina Turner-Darstellerin Aisata Blackman und ihren Kolleginnen.
Jede Bewegung sitzt bei Tina Turner-Darstellerin Aisata Blackman und ihren Kolleginnen. | Bild: Christoph Schmidt/dpa

Zugleich erzählt Hall im Subtext auch eine Geschichte über Rassismus. Diskriminierung dieser Art erlebt Tina nach der Trennung von Ike, als sie ohne Perspektive, ohne Engagement oder einen Plattenvertrag dasteht.

Aber die Betroffenheit im Apollo-Rund ist endlich. Es dominiert die Begeisterung über die Spitzenunterhaltung auf der Bühne. Hier ist zuallererst Aisata Blackman zu nennen, die am Premierenabend als Tina gesetzt ist und sie bereits in Hamburg gespielt hat. Charlotte Looman und Peti van der Velde stehen als Ersatz parat, gespielt wird acht Mal in der Woche.

Keine Kopie des Originals

Blackman macht den härtesten Job auf der Bühne. Sie ist, anders als Carlos De Vries, der in der undankbaren Haut des Ike Turner steckt, fast durchgängig auf der Bühne. Sie singt und tanzt die Lieder temperamentvoll und leidenschaftlich, mit den vom Original bekannten sexy-provokanten Outfits. Blackman ist aber keine Tina-Kopie, sie findet ihre eigene und berührende Interpretation.

„TINA – Das Tina Turner Musical“ ist kein Blockbuster. Was ganz sympathisch ist. Das Set-Design von Mark Thomson ist zurückhaltend, die fahrbaren Bühnenelemente sind zweckdienlich, die Kostüme, für die ebenfalls Thomson zeichnet, sind der erzählten Zeit geschuldet.

Im Stuttgarter Stage Apollo Theater läuft „TINA – Das Tina Turner Musical“, das die Karriere der Sängerin nachzeichnet.
Im Stuttgarter Stage Apollo Theater läuft „TINA – Das Tina Turner Musical“, das die Karriere der Sängerin nachzeichnet. | Bild: Christoph Schmidt/dpa

Das digitale Zeitalter hat ebenfalls Eingang gefunden: Eine Videowand mit Projektionen von Jeff Sugg und das Lichtdesign von Bro Poet ergänzen das Set, machen den Verzicht auf Möblierung locker wett. Für die Choreografie ist Anthony van Laast verantwortlich.

Wobei: Die Schlusssequenz hat doch noch was von einem Blockbuster. Am 16. Januar 1988 trat Tina Turner im Estádio do Maracanã von Rio de Janeiro vor 188.000 Menschen auf. Der Auftritt war der Gipfel ihrer Karriere. Davon gibt es einen Film.

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In Stuttgart ist das die erste Szene, in der Tina Turner vor der Treppe ins Stadion meditiert, aber auch die letzte, doch die zeigt sich ganz anders: Da posiert die von Leif Klinghardt geleitete Live-Band auf der grell ausgeleuchteten Bühne.

Aisata Blackman donnert im roten Leder und mit Löwenperücke wie einst Tina Turner „Simply The Best“ in den Saal. Die Menschen im Apollo-Theater steigen aus den Stühlen, tanzen und jubeln. Ein Triumph. Welch ein Abgang. „Simply The Best“ – einfach die Beste.