Schönes neues Arbeiten: betriebliche Mitbestimmung statt Befehlskultur, kumpelhaftes Duzen wo gestern noch Kasernenhofton vorherrschte, und wer mag, erledigt seine Aufgaben zu Hause. Möglich macht es die smarte, glatte, digitale Lebenswirklichkeit, in der sich sogar Liebesbeziehungen ganz unkompliziert und störungsfrei per App anbahnen lassen.
Doch wer glaubt, ein smartes Leben sei auch ein glückliches, unterliegt womöglich einem Irrtum. Britta Boerdner erzählt in ihrem neuen Roman von Leistung und Liebe in einer allzu perfekt eingerichteten Welt. Der Plot ist schnell erzählt.
Elena, leitende Angestellte eines Finanzdienstleistungsunternehmens, blickt auf ihre Bettgeschichte mit dem 15 Jahre jüngeren Mitarbeiter M. zurück. Nach und nach erfahren wir: Diese Affäre fand ein schmerzhaftes Ende, welches die Managerin sogar ihren Job kostete. Von einer gewissen Jana gehen auf der Mailbox fordernde Nachrichten ein.
Es handelt sich um M.s Lebensgefährtin, die ihrer Nebenbuhlerin die Wahrheit erfahren will. Doch diese Wahrheit ist bitter. Denn das Ende der Affäre markierte ein Selbstmord: M. stürzte sich aus dem obersten Stock des Bürogebäudes. Er hatte zuvor seine Kündigung erhalten. Der Unternehmensführung war die Beziehung nämlich nicht verborgen geblieben, Elenas Vorgesetzter sah darin ein „massives Compliance-Problem“.

Boerdner führt ihren Leser tief in die Innensicht ihrer Protagonistin. Sichtbar wird darin eine einsame, getriebene Seele, die ihren Arbeitsalltag „als Kriegerin“ antritt und stets das Gefühl hat, die Zeit laufe ihr davon. Dabei ist ebendiese Zeit einem penibel durchdachten Regiekonzept unterworfen. Tagsüber achtet Elena darauf, keinesfalls zu früh am Konferenztisch zu erscheinen, sondern gerade in dem Maße zu spät, dass der Eindruck einer schwer beschäftigten, aber dennoch gut organisierten Führungskraft dominiert. Abends vergisst sie niemals, Mails zu versenden, die anderen Vorständen eine späte Uhrzeit signalisieren.
Es ist eine Taktung, die den Menschen an die Arbeit ausliefert. Oder vielmehr: die ihn an ein Denken ausliefert, das jeden Aspekt des Lebens zuallerst an seinem Potenzial zur Optimierung oder Profitmaximierung beurteilt.
Auch M. sollte darin nur ein Instrument sein, um die lästigen Bedürfnisse nach körperlicher Nähe so geräuschlos wie möglich zu befriedigen. Dummerweise schiebt sich mit jeder gemeinsam verbrachten Nacht die innere Einsamkeit immer stärker ins Bewusstsein vor. Eltern, Geschwister? In Elenas karger Welt ist davon keine Rede. Und Freundinnen gibt es zwar, jeden Freitag trifft sie sich mit ihnen an einem Weinstand. Doch bei näherer Betrachtung wird ihr klar: Ihre Aufnahme in diese Runde verdankt sie nur einer von ihnen. Und selbst die ist eine Freundin nie wirklich gewesen.
Für diese Erkundung der eigenen Eiszeit findet Boerdner eine Sprache von bemerkenswerter Präzision und Glaubwürdigkeit. Wenn sie ihre Heldin in aller Verzweiflung hilflos nach Plastikwörtern wie „Quality-Time“ und „Work-Life-Balance“ greifen lässt, zeigt sich der psychische Abdruck eines durchfunktionalisierten Arbeitslebens in aller drastischen Härte.
Man fühlt Elenas Selbstekel, als sie gewahr wird, mit welch menschenverachtender Ironie sie auf Kosten anderer ihre eigene Verletzlichkeit zu tarnen versucht. Und wenn die Protagonistin auf der Suche nach einem Wort für ihren Alltag beim allzu naheliegenden Ergebnis „traurig“ erschrickt – dann lässt diese Lektüre den Leser selbst zusammenzucken.

Für eine sich selbst fremd gewordene Seele erweist sich die erfahrene Nähe zu M. als Schocktherapie. Sein Tod markiert so gesehen eine Wiedergeburt: Durch die Kündigung vom Diktat der „Performances“ und „Mindsets“ befreit, beginnt die einst so erfolgreiche Finanzkauffrau in neuer Wohnung ein neues Leben. Auch wenn auf ihm der Schatten des Vergangenen noch lange und schwer lasten wird.
Das Büro, reflektiert Elena schließlich, sei der einzige Ort gewesen, an dem sie etwas galt. Menschen an diesen Punkt zu bringen: Das ist Sinn und Zweck der neuen smarten Arbeitswelt.