Johannes Fröhlich

Berlin ist knorke, Berlin hat was zu bieten, Berlin geht ab wie Kokain. Und natürlich ist in Berlin buchstäblich der Teufel los. Wer einmal in der Metropole war, kommt nimmer von ihr los. Auch nicht die sechs Schauspielerinnen des Färbe-Ensembles in Singen. Unter der Regie von Andreas von Studnitz bieten die Darsteller gute anderthalb Stunden Klamauk von der besten Sorte. Witzig, skurril und mit Lacher auf Lacher geht es durch die „Pension Schöller“, das Publikum spendiert immer wieder offenen Szenenapplaus.

Als Bühnenbild sieht man lediglich eine schwarze Rampe, die Akteure kommen als Kleinwüchsige auf die Bühne, die künstlichen Schuhe sind an den Knien befestigt, die Beine bleiben unsichtbar, so sorgt die Szenerie schon von Beginn an für eine komische Note. Ein heiterer Abend soll es werden, eine Verwechslungskomödie ist angekündigt.

Der Stoff scheint einfach, der schwäbische Unternehmer Philipp Klapproth (Ralf Beckord) will endlich raus aus seinem tristen Alltag und etwas erleben. Er möchte in Berlin eine Irrenanstalt besuchen und bittet seinen Neffen Alfred (Fionn Stacey) dabei um Hilfe, im Gegenzug sichert der Onkel finanzielle Unterstützung zu. Ein kühnes Unterfangen möchte man meinen.

Sogleich hat einer der „Irren“, der Major a.D. Gröber (Elmar F. Kühling) mit den klassischen Berliner Accessoires Zeitung und Cognac seinen ersten Auftritt. Was ist Glück? Ein bisschen Trinkgeld? „Erschießen Sie sich“, gleich wird es krass und deftig. Die Schriftstellerin Josephine Krüger (Bianca Waechter) dokumentiert den ganzen Klamauk, der junge Alfred möchte Schauspieler werden. Ob das gut geht?

Fließende Grenzen zwischen Wahnsinn und Normalität

Kühling kommt als Großwildjäger auf die Bretter, interpretiert „I was born under a wondering Star“ im tiefen Bariton, er entpuppt sich als Weltenbummler, der Klapproth auffordert, mit ihm auf Reisen zu gehen. Alfreds Kumpel Ernst Kissling (Daniel Leers) macht den Kellner und den Schöller, die Rollen des Ensembles sind doppelt und dreifach besetzt, dabei verlangt die Regie vom Publikum höchste Konzentration.

Doch nach und nach wird klar, worum es geht, nämlich um die fließenden Grenzen von Wahnsinn und Normalität. Die Akteure treiben es immer bunter, die einen sprechen Berliner Dialekt, Klapproth schwäbelt gekonnt, Schöller gibt astreines Kölsch.

Sehenswert bei all dem Wirrwar auch die Kostüme, viel Tüll und Brokat bei den Damen, Landlord-Style und Zweireiher bei den Herrn. Alexandra Born ist als Klapproths Schwester und als Tochter von Schöllers Schwägerin eine imposante Erscheinung. Im Café konsumiert man Schokolade mit Schlagsahne oder Bouillon mit Ei, Klapproth diktiert der jungen Schreiberin einen vollkommen unsinnigen Text für ihren Roman.

Der Onkel hat Geld und nach dem Motto „eine Hand wäscht die andere“ möchte er Spaß haben und auf seine Kosten kommen. Bei den Schöllers wird eine deftige Party gefeiert, dabei kommt es zu mancherlei Verwechslungen und Irrtümern. In wessen Oberstübchen läuft etwas schief? Wer darf sich normal schätzen, wer ist meschugge? Dabei inszeniert von Studnitz das Spektakel so rasant, dass den Zuschauern kaum Luft zum Atmen bleibt. Kühling erweist sich einmal mehr als genialer Sänger, parliert fließend Englisch.

In wessen Oberstübchen läuft etwas schief? Ralf Beckord (links) und Elmar F. Kühling in „Pension Schöller“.
In wessen Oberstübchen läuft etwas schief? Ralf Beckord (links) und Elmar F. Kühling in „Pension Schöller“. | Bild: Eric Bührer

Die Welt ist schön, oder nicht? Die Schriftstellerin foltert mit ihren Fragen, die Waechter macht das sehr schön, sie nervt, insistiert, löchert und scheint immer gewissenhaft. Und dann muss die alles entscheidende Frage kommen: Was ist Liebe? Erste Pärchen scheinen sich anzubahnen. Das Leben könnte ein Roman sein, oder umgekehrt. Es wird genuschelt und getuschelt, als Vorlage für ein gutes Buch sind „große Kleinigkeiten“ unabdingbar.

Wieder stört Kühling: „Berlin is a good place to stay.“ Wie recht er hat. Und wenn es keine wahren Geschichten gibt, die es sich zu erzählen lohnt, dann erfindet man eben welche. In jedem Hirn scheint ein Furz zu spuken, Schampus für alle lautet das Motto der Stunde, und es wird gekuppelt was das Zeug hält. Wer nun mit wem und warum oder auch nicht, das ist im Endeffekt nicht so wichtig. Es ging auch den Autoren des Stücks, Jacoby und Laufs, vermutlich nicht um eine astreine und klare Sicht der Dinge, vielmehr steht der Klamauk im Fokus.

Mit Tröte auf die Bühne

Eine Posse im besten Sinne. Stacey trägt ein Liebesgedicht als Rap vor, er schwurbelt gekonnt die Luftgitarre, Leers kommt mit Plastikhütchen und Tröte auf die Bühne, komischer geht es nicht. Die Dialoge geraten aus den Fugen, Schiller wird zitiert mit „Kabane und Hiebe“, die gesamte Familie Schöller scheint kurz vor dem Durchdrehen, doch ein bisschen Verrücktheit hat noch keinem geschadet. Ja, ja die Berliner Luft, Luft, Luft. Sie ist voller krachender Kalauer, immer etwas schräg, immer am Rande zum Unfug. Wo ist bei alledem die Zeit hin?

„Leckst mi im Orsch“, gibt Beckord die Parole, Kühling will Klapproth auf große Fahrt mitnehmen, doch der Plan entpuppt sich als nicht durchführbar. Ahnt Klapproth schon, dass er sich gar nicht in einer Irrenanstalt befindet, sondern in einem Hotel?

Er sperrt die Insassen in diverse Zimmer ein, denkt, er sei noch Herr des Geschehens, bestellt Zwangsjacken und bereitet sich auf das Schlimmste vor. „Die Luft riecht nach Maggiwürze“, so ist das Stück denn auch in der Stadt Singen angekommen. Pardauz! Der Major kommt mit zwei Säbeln und verlangt Satisfaktion. Jeder bekommt schließlich seine Isolierzelle, es passiert nicht wirklich Schlimmes, es bleibt (zum Glück) bei Andeutungen. Selbst in den ausweglosesten Situationen ist eine gehörige Portion Humor der gangbarste Ausweg.

Das könnte Sie auch interessieren

Klapproth hat scheinbar alles im Griff, doch eben nur scheinbar. In Wahrheit ist er längst auf dem Weg in das Irresein, sein Wunsch, eine Irrenanstalt von innen zu sehen wird ihm schlussendlich zum Verhängnis. Ihm „gebührt“ die Zwangsjacke, er ist krank im Kopf, er gehört hinter Schloss und Riegel. Die ganze Welt ist eine Irrenanstalt. Lediglich die Liebe scheint des Rätsels Lösung. Pardauz!

Vorstellungen bis Ende März jeweils Mi/Do/Fr/Sa immer um 20.30 Uhr. Weitere Informationen: http://www.die-faerbe.de